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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.02.2003, Nr. 32, S. 56
Kultur
Wir sind das Bauvolk
"TEXTxtnd" zeigen "Marx" im Frankfurter Mousonturm
Marx ist tot, die DDR Geschichte, und selbst die Kinder von Marx und Coca-Cola
aus Godards "Masculin - feminin" gehen langsam in Rente. "Ein
Gespenst geht um in Europa", schrieben Karl Marx und Friedrich Engels
in der Vorbemerkung zum "Kommunistischen Manifest", und als Gespenst,
das nur noch gelegentlich durch die Debatten geistert, scheint der Kommunismus
ein eher kümmerliches Dasein zu fristen. Nach umfangreichen Bearbeitungen
zu Brecht/Eisler und zum deutschen Volkslied hat sich das in Frankfurt ansässige
Künstlerkollektiv "TEXTxtnd", erweitert durch den Wiener Thomas
Dézsy, mit dem Marxismus wiederum einen umfangreichen Komplex vorgenommen,
dem es mit unterschiedlichen medialen Mitteln beizukommen sucht.
Während der Aufführung des "electronic music theater" im
Künstlerhaus Mousonturm wurde der vorläufige, experimentelle Charakter
der beiden minimalen Aufführungen im vergangenen Jahr erst so recht
deutlich. Las etwa Dézsy damals noch lange Passagen aus dem "Manifest" vor,
richtete Christoph Korn noch ein "Büro für orthodoxen Marxismus
ein", kommt bei "Marx" die Titelfigur nicht einmal mehr zu
Wort. Alles ist Material geworden, bloßes Zitat vergangener Epochen,
das dennoch eine wahre Flut von Assoziationen hervorruft, von den Künstlern
durchleuchtet, auf seinen Gehalt abgeklopft und schließlich musikalisch
destruiert wird.
"Wir sind das Bauvolk", ruft Oliver Augst zu Beginn in sein
Megaphon, und stehen auf der Straße, möchte man hinzufügen, während
Dézsy und Marcel Daemgen an ihren Laptops, Mischpulten, Keyboard und
sonstigen Soundmaschinen an den Reglern drehen, einen tiefen, wummernden
Baß in den Raum blasen und Korn die elektrische Gitarre so übersteuert,
daß es weh tut, bevor wiederum Augst mit fester Stimme das erste Lied
anstimmt: "Wir sind die Arbeiter von Wien". Wer würde so etwas
heute noch singen, mit Stolz, Hoffnung, in revolutionärer Pose? Immer
wieder im Laufe des Abends ertönt eines dieser Lieder aus der Arbeiterbewegung,
vom "Kleinen Trompeter" bis zum "Spartakist". Selten
nur, wie bei "Als ich dich gebar" von Brecht/Eisler, ist eines
identifizierbar.
Und immer wird ihnen von den hämmernden, grollenden, berstenden und
manchmal in extremen Höhen die Angst vor dem Zahnarzt befördernden
Kompositionen der Garaus gemacht, bevor wieder alles zur Ruhe kommt und einen
Moment völlige Stille herrscht. Nicht immer sind diese Augenblicke geplant,
denn jeder der vier hat seinen eigenen Baukasten dabei mit Geräuschen,
Samples, allerlei Loops, gefundenen Tönen, Liedern oder Textpassagen
und wirft sie dann und wann auf die Bühne. Und doch durchzieht ein kalkulierter
Rhythmus den Abend, ein Auf- und Abschwellen, Soundgewitter folgen auf beinahe
lyrisch wirkende Passagen, in denen Korn nur ein paar Töne auf der Melodica
spielt, als erinnere man sich an alte Zeiten.
Die Hochzeit der Arbeiterbewegung, Erster Weltkrieg, die DDR sind drei gewichtige
Brocken, die die Künstler aus dem Steinbruch Marxismus gebrochen haben,
die sie drehen und wenden, um zu schauen, was bleibt und, vielleicht, was
noch tauglich sein könnte für die Zukunft. "Hoch die internationale
Solidarität", hallt es vielstimmig in den Raum, doch wo sind sie,
die Massen, die so etwas heute noch auf einer Demonstration skandierten?
Dézsy sitzt da wie damals Brecht vor dem McCarthy-Ausschuß,
nur daß er alles zugibt: "I am a communist." Dann tauchen
sie doch noch auf im Mousonturm, die Gespenster. Leibhaftig.
"Dear Fred", "lieber Mohr" geht es hin und her, kein Satz
aber aus den Briefen von Marx und Engels, nicht über die Revolution und
schon gar keine Klagen des kranken Marx über seine Leber, über Geldmangel
oder was ihn sonst in London beschäftigte, ist zu hören. Kein Gespenst
geht um, nicht einmal ein Geflüster, wie es in einem der Lieder heißt,
und kein Arbeiter hört es. Während es langsam dunkel wird über
der Szene und nur der rote Himmel beharrlich strahlend leuchtet, summen die
vier Akteure beinahe schüchtern, ein wenig ergriffen, trotzig die Internationale,
immer weiter, während das Publikum über den Text sinnieren mag.
Doch niemand stimmt ein.
CHRISTOPH SCHÜTTE
Frankfurter Rundschau
Arbeiter, hörst du es nicht?
Marx als elektronisches Musiktheater im Mousonturm
Von Tim GorbauchDie Rückwand, na klar, ist rot. Vier Tapeziertische
davor sind als Büchertische mit alle Utensilien drapiert, die klassenkämpferischen
Geist beschwören.
Marx- und Polit-Schriften in allen Varianten, ein Megaphon. Ein Overhead-Projektor
zeigt an, dass Marx ja nicht nur für die Straße taugte, sondern
auch für den Hörsaal.
Vielleicht sogar eher. Hinter jedem der vier auch mit allerlei Elektronik
ausgerüsteten Tische platziert sich ein Musiker, von links nach rechts
Oliver Augst, Thomas Dèszy, Christoph Korn und Marcel Daemgen, denen
Karl Marx
als Folie eines knapp 90-minütigen elektronischen Musiktheaters dient,
das 2002 in Wien Modern uraufgeführt wurde und nun im Mousonturm zu
sehen ist. Marx ist da weniger nostalgischer Bezugspunkt oder gar politische,
soziale oder moralische Referenz. Eher gibt er einen Assoziationsraum vor,
den Augst,
Dèszy, Korn und Daemgen mit verschiedenem Material füllen.
Zitatbruchstücke sind ein Baustein dieses komplexen Marx-Puzzles, Arbeitergesänge
erweitern die Theorie ins Musikalische und beziehen etwa Hanns
Eisler mit ein, die Elektronik wird zur treibenden, musikalisch auch
tragenden Kraft, die von freien, eher theatralen Sequenzen aufgelockert wird.
Die Ebenen verschachteln und überlagern sich, verdichten sich bis zur
Unkenntlichkeit, um manchmal ganz überraschend auszudünnen und
einen ganz
friedlichen, ja fast sentimentalen Blick freizugeben auf das, was man Kapitalismuskritik
nannte. In solchen Augenblicken geistert die Internationale als schüchternes
Synthesizerfragment durch den Raum, die Elektronik knistert und knarzt freundlich
und verspielt im Hintergrund, Augst singt vom Arbeiter des Volkes und auf
dem Overhead-Projektor leuchtet in Großbuchstaben: "Wenn man sich
etwas ganz fest wünscht." Aber das Wünschen hilft schon lange
nicht mehr. Und
deshalb fegt die Live-Elektronik im nächsten Augenblick jede Utopie-Gemütlichkeit
weg, stürzt mit radikaler Geräuschkraft auf unser Ohr ein,
bearbeitet es mit allen erdenklichen Frequenzen, frisst sich durch den Gehörgang
weiter ins Gehirn, um dort alles zu tilgen und auszulöschen, was an
kapitalistische Produktionsweisen und Warenanalysen erinnert. Erst wenn Marx
aus unserem Ohr blutet, ist es genug.
Die Lust am Bruitistischen, die Lust an der Urgewalt des Geräuschs,
das Ertasten auch physischer Grenzbereiche ist in den Arbeiten von Augst,
Korn und Daemgen nicht ungewöhnlich. Ebenso die Idee der Montage, die
das Stück zusammenhält. Der Ablauf ergibt sich auch mal aus der
improvisierten Interaktion der vier Musiker, die mit vorab festgelegten Materialien
jonglieren. Das Risiko, in Leerstellen zu geraten, musikalisch praktisch
zum Stillstand zu kommen, ist einkalkuliert.
Die Erholung, die solche Leerstellen bieten, währt indes nicht lange.
Bald schon beugen sich alle vier über ihre Mischpulte und drehen die
Regler erbarmungslos nach oben, die Klänge, Geräusche, Gesänge überschlagen
sich, dehnen den Raum. Augst brüllt wieder und immer wieder ins Megaphon: "Arbeiter,
hörst du nicht?"
Ich vermute mal: nein.
Erscheinungsdatum 01.02.2003
Einen Lauschangriff der sperrigen Art leistet sich
das Electronic Music Theater Augst/Daemgen/Dezsy/Korn mit einer rückkopplungsfrohen Zerstückelung
alter Arbeiterlieder.
Allgemeine Zeitung 10.6.03 (zu "Marx", Open Ohr Festival Mainz)
D L F
Marx, electronic music theatre, Premiere 14.11.2002, Wien, WUK/ Festival Wien
Modern
Sendung Musikjournal 18.11.2002, 20.10 Uhr
Von Hanno Ehrler
Alle Musikbeispiele Augst/Daemgen/Desy/Korn: Marx, Reporterband
Wir berichten von der Uraufführung eines elektronischen Musiktheaters
mit dem Titel MARX in Wien.
In Wien wird der Monat November vom Festival Wien Modern dominiert. Im Konzertbereich
liegt ein Schwerpunkt auf dem Schaffen von Heinz Holliger und Wolfgang Rihm.
Musiktheater und Videokunst konzentrieren sich auf intermediale Projekte, die,
jenseits der traditionellen Oper, versuchen, das Zusammenwirken der Theaterkünste
und Medien neu zu bestimmen.
Zu diesen Projekten gehört ohne Zweifel auch das neue electronic music
theater MARX. Die Auto-ren, Oliver Augst, Thomas Dezsy, Marcel Daemgen und
Christoph Korn, aus Frankfurt am Main unternehmen mit diesem Stück keine
Hommage an den Philosophen und Frühkommunisten. Vielmehr sichten und hinterfragen
sie musikalisch das heute weitgehend verschüttete Liedgut der revolutionären
Arbeiterbewegung der späten 19ten und frühen 20sten Jahrhunderts.
Hanno Ehrler war bei der Uraufführung für uns dabei.
Musik 1 Communist1 bis 0´20´´, unterlegen
Die Bühne wird zum Tribunal. Es gilt sich zu bekennen, Kommunist zu sein
oder nicht. Sofort denkt man an die Kommunistenverfolgung McCarthys in den
USA. Geräuschhafte Klänge bilden einen rauhen, kratzigen Soundhintergrund
für die Gewissensfrage.
Musik 2 Communist 2
O-Ton Augst
Wir sind einerseits, was Texte angeht, bei sagen wir mal so assoziativem Material,
nicht im-mer unbedingt 1 zu 1 in Überschneidung mit dem, was Karl Marx
selbst hervorgebracht hat oder was seine direkten Zeitgenossen hervorgebracht
haben, aber auch ganz stark frag-mentierten Dingen, die sich auch zu so etwas
wie plakativen Formeln hin entwicklen, Also das heißt: solche Substrate
aus ganzen Abhandlungen, letztendlich Überschriften, Kompri-mierungen
oder so etwas.
Oliver Augst und die anderen Mitglieder der Frankfurter Gruppe Textxtnd, Marcel
Daemgen und Christoph Korn, haben viele Texte zum Thema "Marx" gesammelt.
Bei der Uraufführung des anderthalbstündigen Stücks "Marx" im
Wiener WUK-Theater verwendeten die Musiker Fragmente dieses Materials, einzelne
Worte, Textzeilen, Bruchstücke von Liedern. Sie werden eingespielt, gesprochen
oder gesungen sowie durch Mikrophone und Verstärkeranlagen verzerrt. Dazu
kommt musikalisches Material. Oliver Augst:
O-Ton Augst
Ein zweiter ganz großer Strang ist Liedmaterial, also tatsächlich
Arbeiterlieder, die aus der Zeit von Karl Marx entwachsen sind, die damals
schon verfaßt und auch gesungen wurden, bis hin zu etwas weiter entfernterem
Material, Studentenbewegung, auch DDR, unser nächster sozialistischer
Zugang. Da haben wir einiges ausprobiert, und sind letztendlich bei so einer
Mixtur hängengebliegen aus klassischen Kampfliedern wie Einheitsfrontlied
oder Heimlicher Aufmarsch oder so etwas bis in zu eher etwas entfernteren Dingen
und kleinen Eigenkompositionen, die gefühlsmäßig, auratisch
was aufgreifen aber nicht wirklich 1 zu 1 umsetzen.
Musik 3 Hymne
Das Thema "Marx" schließt sich an vorangegangene Arbeiten
der Gruppe Textxtnd an, zu Eisler, Brecht und zu Volksliedern. Außerdem
scheint es durchaus aktuell zu sein. Christoph Korn:
O-Ton Korn
Bei Marx zeigt sich dieses merkwürdige ambivalente Verhältnis, das
wir jetzt haben Anfang des neuen Jahrtausends, daß er zu einer Ikone
geworden ist, ein schweizer Bankenkosor-tium wirbt mit dem Bärtigen auf
großen Plakaten, in Kassel gibt es in einem Fast Food Re-staurant den
Marx Burger, hier in Wien gerade um die Ecke habe ich in einer Collage Marx
neben Monroe gesehen, Marx taucht als Ikone auf, und gleichzeitig hat er uns
ein Werk hinterlassen, daß eine Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise
formuliert hat, ein utopischer Entwurf, der bis heute nicht und nirgends eingelöst
wurde. Und genau in diesem ambivalenten Verhältnis bewegt sich auch unsere
Herangehensweise an Marx.
Tatsächlich geht es der Gruppe Textxtnd nicht um eine Stellungnahme oder
eine bestimmte politi-sche Positionierung. Vielmehr wollen die Musiker dem
Phänomen Marx assoziativ nachspüren, den Utopien und den geschichtlichen
Folgen. Sie zielen auf Erinnerungen und Gefühlslagen, die zum Beispiel
beim Hören der DDR-Nationalhymne aufkommen oder bei Reminiszenzen an die
McCarthy-Area. In diesen Erinnerungen spiegelt sich ein kulturelles Gedächtnis.
Auf der Bühne blitzt es in vielen unterschiedlichen Facetten auf.
Diese Facetten erscheinen jedoch nicht in einem festgefügten Zusammenhang. "Marx" ist
kein komponiertes Werk. Das Konzept des Stücks ist sein Material. Es steht
auf der Bühne bereit, im Sampler, auf Textblättern oder in Form von
Noten für Keyboard und Gitarre. Damit wird dann frei improvisiert.
O-Ton Korn
Unsere Arbeitweise ist eben so, daß wir keine Vorab-Dramatrugie machen,
wie sich das Stück von A nach B entwickeln würde, nach abgesprochene
Kriterien, wir arbeiten anders, daß wir nämlich Materialien, die
jeder von uns erzeugt hat, live interagieren,
Dabei versuchen die Musiker, ihren Ideen so ungebunden wie möglich zu
folgen. Das führt gele-gentlich zu Leerstellen, die ganz bewußt
als Element des Improvisierten zugelassen werden.
O-Ton Korn
Dann kommt es natürlich auch vor, daß es durchaus dramaturgisch
an Nullpunkte kommt. Ich persönlich genieße das wahnsinnig, jetzt
diesen Nullpunkt auszukosten und nicht die Hatz zu entwicklen, gleich wieder
was reinzupowern, daß es schlüssig irgendwo hingehen möge,
sondern es bleibt an dem Punkt. Wir haben eine Qualität entwickelt, daß wir
genau diesen Nullpunkt, der eigentlich als Fehler rezipiert würde, weithin
auskosten.
Durch diese Leerstellen und vor allem durch die frei improvisierte Kombination
der Materialien ent-steht ein sehr offenes Verhältnis zum Publikum. Der
Hörer wird nicht in den Sog einer Dramaturgie gerissen. Er erlebt vielmehr
ein Gegenüber, zu dem er sich frei verhalten kann. "Marx" ist
ein kom-munikatives Stück. Es stellt keine Thesen in den Raum, sondern
es entfaltet ein Assoziationsfeld für den Hörer.
Das ist auch das Resultat der avancierten Klangarbeit, von Oliver Augst, Marcel
Daemgen und Christiph Korn, die in Wien mit dem österreichischen Musiker
Thomas Desy zusammenspielten. Hymen, Lieder und Texte sind, sehr virtuos, in
ein vielschichtiges, geräuschaftes Klanggeschehen gebettet. Kratzen, Knacken
und Rauschen, durch Mikrophon verzerrter Gesang und geräuschige Gitarrensoli
weichen die Eindeutigkeit des Vertrauten auf, verunsichern oder pointieren
es und überführen es in eine polyphone zeitgenössische Klangwelt.
Das Stück "Marx" entfaltet ein spannendes und aktuelles akustisches
Panorama auf das Phänomen Marx.
Musik 4 Elektronik, "Hoch die Internationale"
E N D E
WM 11 14 : WUK : Oliver Augst | Thomas Désy
| Marcel Daemgen | Christoph
Korn : »Marx - electronic music theater« UA.
Marxismus pur : "Ich
rede von Liebe und Barbara lacht, lacht und lacht. Da nehme ich ein Glas
und schütte ihr den Wein ins Gesicht." war zum Beispiel hinter
Namensvetter Korn auf einer Leinwand zu sehen, die wohl einem Pensionistenehepaar
entwendet worden ist, welches sich damit dereinst seiner Adria-Urlaube erinnerte.
Ansonsten ist die Negt-Kluge-Lastigkeit in der Marx-Betrachtung (die beiden
ich persönlich ja sehr schätze, derenthalben ich aber nach der "minimalen
Aufführung" im echoraum
fast eine Namensänderung des Projekts zu fordern im Begriff war) angenehm
in den Hintergrund getreten. Der, a propos, Bühnenhintergrund seinerseits
war ausnehmend offen an diesem Abend. Hinter den vier Herren, deren Arbeitstische
(»Werkbänke«), die neben allerlei Elektronik
liebevoll mit Artefakten aus der Marx-Forschung drapiert und punktuell beleuchtet
waren, öffnete
sich das Lichttechnik-Lager in all seiner stillenSchönheit. Marx' Enkel,
by the way, um noch kurz bei den Artefakten zu verweilen, beziehen ihr Fachwissen,
das Kommunistische Manifest zum Beispiel, aus einem Reclam-Heftl ! Das hätt's
zu unserer Zeit nicht
gegeben ! Ansonsten wäre zu vermerken, daß die Enkel, wie mir
scheint, "Marx" und "Material" wertfrei gleich setzen,
was, mein distanziertes Verhältnis zu meiner eigenen Vergangenheit als
bekannt vorausgesetzt, durchaus als angenehm empfunden wurde. Genommen wurde,
was für die Skizze
brauchbar war, und war das eben die Stimmung megaphongeleitet Sprechchöre
skandierender Massen bei einer Demo, dann durfte das minutenlang im Raum
stehen bleiben - ohne irgendwelche inhaltlich-politischen Ansprüche.
Die Aufführung war angenehm viel
lauter wie ihr Vorspiel im Juni im echoraum ! Die sounds, die die Herren
da aus ihren Kisten zauberten - an diesem Abend war beglückenderweise
der Herr mit dem "Korg" auch wieder mit dabei - konnten bei voller
Lautstärke
erneut bezaubern. Wie mir scheint wurde da einiges, was im Frühjahr
noch nur bruchstückhaft aneinandergereiht daherkam, weil,
wie im Falle des jetzt den Abend eröffnenden Wir-sind-die-Arbeiter-von-Wien-Liedes,
damals eben erst aufgefunden worden war, zu tragfähigen Strängen
verflochten, die das Geschehen über längere Zeiten zu halten imstande
waren. Besonders entzückend fand
ich jene Passage, als hinter Herrn Korn das Insert "Hirn, Muskel, Nerv,
Hand, usw." overhead zu sehen war, während Korn davor auf seine
Gutarre einschlagend solierte und sich nebenbei unter den Schlägen die
Klappe des Projektors langsam, ruckartig senkte und das Bild nach und nach
verschwand. Ein anderes Bild - neu in der Aufführung, den "damals" etwas
holprig gewirkt habenden "lockeren" Bruch mit diesem halb improvisiert
sein sollenden Gespräch ersetzend - eine Zeichnung zirka aus dem 19.
Jahrhundert : Im Hintergrund sehen wir, erläutert Korn, eine Eisenbahn,
die gerade erst erfunden worden ist. Im Vordergrund sehen wir drei Pferde
- arbeitslos. Während links hinten die neue Zeit vorbeirast ist rechts
davon gerade noch ein weiteres Pferd auszumachen, das arbeitet - es trägt
einen Eimer im Maul ! Im Vordergrund, so Korn weiter, bildet sich gerade
das Großbürgertum heraus, ein Pferd nimmt Ballettunterricht, eines
spielt Cello und eines Geige. Und für alle, die nicht deutsch sprechen,
ist das, was die Pferde sagen, am oberen Bildrand in Sprechblasen englisch
notiert. Spaßfraktion, und ich bin ja sonst kein Freund derselben,
ausnahmsweise mal vom Allerfeinsten, Musiktheater, wie
es sich gut und gerne in progress weiterentwickeln und noch ungeahnte Höhen
zustreben soll ! "Wir sind der Zukunft getreue Kämpfer" ließ uns
td gleich zu Beginn wahrheitsgetreu wissen, ein Zitat, das wir uns mal wertfrei
auf der Zunge zergehen lassen wollen... An manchen Stellen hatte ich sogar
den Eindruck, den Vorschein zukünftiger Pop-Musiken (auch das : positiv
unterfüttert) zu erhören. Minimal war an diesem Abend also nur
mehr das Publikum - wäre da nicht zwei Stunden zuvor
das Internationale Musiktheatersymposion "newop11" im WUK eröffnet
worden
und hätten nicht anschließend einige der Teilnehmer vorbeigeschaut,
ich wäre allein da gesessen (das Fernsehen natürlich ausgenommen,
Familienangehörige
selbstverständlich auch). Ach nein, Josef Wenzel-Hnatek war noch da!
24.1.03
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