M#TTER / 2022
Pressespiegel - M#TTER
Faustkultur.de, 08.06.2022
M#TTER
URAUFFÜHRUNG IM GALLUS THEATER
Ein Musical mit Liedern von Peer Raben und Texten von Hans Magnus Enzensberger,
Christian Friedrich Hebbel und Wolf Wondraschek.
Unter Verwendung von bisher unveröffentlichten Orchesterfragmenten komponiert von Peer
Raben.
Uraufführung: Oliver Augst, Brezel Göring, Pascale Schiller, Marburgjazzorchestra
Donnerstag, 16.06.2022, 20 Uhr
Hätte keinen Eintritt zahlen müssen:
Whistlers Mutter | © James McNeill Whistler,
Arrangement in Grey and Black No. 1
(Whistler’s Mother), 1871
Mütter. Nicht irgendwelche Mütter – sondern diejenigen, die einen Künstler oder eine
Künstlerin zur Welt gebracht haben. Alle KünstlerInnen haben eine Mutter, aber nicht jede
Mutter hat ein künstlerisch schöpferisches Kind. Daran erkennt man schon: KünstlerIn sein ist etwas sehr gewöhnliches, aber KünstlerInnen-Mutter: sehr selten, sehr exklusiv, sehr sublim. Anläßlich der Uraufführung von M#TTER im Gallus-Theater erhält jede KünstlerInnen-Mutter eine Freikarte. Und wer das Künstlerkind gleich mitbringt, bekommt zwei Karten.
Der “Mythos” der Künstlermutter als “Die Deutsche Mutter”, “Mutterikone” aber auch als
“Mitarbeiterin”, “Übersetzerin” “Darstellerin” und “Sekretärin” bis zur Rolle als “Hotel Mutter” wird beleuchtet. Zwischen den Polen der Mutter und ihrem Künstlersohn besteht ein
reibungsvolles Wechselverhältnis, welches als Ausgangspunkt für eine theateralischmusikalische Auseinandersetzung verstanden werden soll.
Ohne Chronologie eines Handlungsablaufes soll die Geschichte zweier Personen, die sich
aneinander abarbeiten, präsentiert werden. Die Welten scheinen getrennt, dabei sind die
Personen in enger Verbindung. Sie sind Mutter und Sohn. Die Sehnsucht, jenseits dieser
Rollen wahrgenommen zu werden, verbindet sie. Nähe und Distanz müssen verhandelt
werden. Die Gesellschaft gibt Themen vor: Geld, Liebe, Sehnsucht, Politik, Qual, Ehrgeiz,
Arbeit, Tod... Mein Sohn! Meine Mutter! Sie spielen zusammen, und schaffen eine
gemeinsame Person. Die Mutter arbeitet an Texten und der Steuererklärung ihres Sohnes.
Die Big Band spielt auf großer Bühne und gibt dem Abend seine Bildsprache – und seinen
Sound.
Eine Produktion von textXTND 2022, gefördert durch das Hessische Ministerium für
Wissenschaft und Kunst, das Kulturamt Frankfurt (im Rahmen einer Mehrjahresförderung)
und die Aventis Foundation, Förderreihe“Klangwert”
Projektträger: VIV -International e.V.
Quelle: https://faustkultur.de/kulturtipps-kunst/mtter/
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.06.2022
Meinung
Freikarten
Ach, Mutter!
Ach, Mutter!
Von Eva-Maria Magel
Mütter brauchen nicht studiert zu haben, um ihr Kind zu verstehen. Sie lieben",
schrieb Kurt Tucholsky, als er sich, wieder einmal, über Nietzsches Schwester
echauffierte. Eine äußerst kühne Behauptung, die Power-Mamis in sozialen Medien
zu Herzchen-Regen animieren dürfte. Die Wörter "Mutter", "verstehen" und "lieben"
sind schließlich mit den Schraubzwingen der Supermutter auf ewig verbunden - und
natürlich ist jedes Kind ein Superkind, was sonst. Im Internet treibt das die irrsten
und oft perverse Blüten, wo verständnisfrei liebende Mamis ihre Kinder gnadenlos
als Medienstars ausbeuten. Mütter und Abgründe scheinen derzeit in der Kunst hoch
im Kurs zu stehen: Welche Tragödie hinter den digitalen Kinderstars stecken kann,
erzählt die französische Autorin Delphine de Vigan in ihrem Roman "Die Kinder sind
Könige", den sie dieser Tage in Frankfurt vorstellt. Und das Duo textXTND wird sich
nun einer besonderen Spezies von Müttern annehmen: Der Künstlermutter.
Ein heikles, wenn nicht gar ein Minenfeld. Siehe Tucholsky, siehe Nietzsche, siehe
viele andere. Autoren neigen dazu, Mütter zu zerreißen oder zu vergöttern, da ist die
Künstlermutter womöglich gut bedient, deren Kind nur malt - ohne Worte. "M#tter"
heißt jetzt die Show, die den Künstlermüttern gewidmet ist. Einer "sublimen" Form
des Supermutterseins, glaubt man textXTND-Künstler Oliver Augst: Alle Künstler
hätten ja eine Mutter, aber nicht jede Mutter habe ein Künstlerkind. Weshalb Mütter,
die eine Künstlerin oder einen Künstler zur Welt gebracht haben, am 16. Juni im
Gallus Theater eine Freikarte bekommen sollen. Eine E-Mail an
contact@curatedbycrows.com genügt. Und man wüsste doch auch sehr gern, wie
Mütter das Künstlertum ihrer Kinder da so nachweisen. Ohne was mit Herzchen zu
posten.
Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.06.2022, Nr. 135, S. 38
Ressort: Seitenüberschrift: Kultur
Ressort: Rhein-Main-Zeitung
Serientitel: Glosse Rhein-Main Kultur
Frankfurter Rundschau, 17.06.2022
Verloren, bedroht und behütet
Von Hans-Jürgen Linke
Pascale Schiller, hinten das Marburgjazzorchestra. Foto: Pauline Schey © Pauline
Schey
„M#tter“ im Frankfurter Gallus Theater ist natürlich auch ein Musical über Söhne
Guten Abend, gute Nacht. Oliver Augst singt das, als Crooner kostümiert, mit
wohltönendem Bariton und selbstredend auf Englisch. Es klingt nicht im geringsten
nach Brahms, denn es ist ein Lied von Peer Raben, das in dem alten Film „Warnung
vor einer heiligen Nutte“ erklingt. Das Marburgjazzorchestra, geleitet von Christoph
Klenner, macht daraus im Frankfurter Gallus Theater ein fettes Stück
Show-Bühnen-Musik.
Aber von Anfang an ist klar, dass es nicht in erster Linie um den Crooner und die
Show geht. Dazu treiben sich zu viele verkleidete Leute auf der Bühne herum. Sogar
Marcel Daemgen, der die Musik arrangiert hat und vor seiner Elektronik an der
linken Bühnenseite sitzt, trägt eine güldene Perücke. Brezel Göring in nachlässigem
Transen-Habit mit türkisfarbenem Haar nölt seinen Part mit genervtem Unterton.
Sie liebt ihn bedingungslos. Es geht um Mütter, genauer: um die Gattung der
Künstlermutter, die ihren Sohn nicht versteht, aber bedingungslos liebt und nach
seinem viel zu frühen Tod zum Beispiel eine Foundation gründet, um (auch noch)
sein Nachleben zu kontrollieren. Die betont unangemessen kostümierte Mutter wird
mit ironischer Präsenz von Pascale Schiller verkörpert, gesprochen, getanzt.
Nein, der zugespitzte Mythos von Ödipus ist hier nicht das Thema und ein Vater weit
und breit nicht zu erkennen. Väter braucht keiner, überhaupt: Männer! Als
erwachsene Mitmenschen Versager, als Söhne von allen Seiten bedroht. Wie
verloren und bedroht (und natürlich von einem Mann bedroht) so ein Sohn ist,
darüber hat schon Christian Friedrich Hebbel das Gedicht „Der Heideknabe“
geschrieben. Gegen diese Ballade ist die beschönigte Vergewaltigungsdarstellung in
Goethes „Heideröslein“ eine Gutenachtgeschichte. Die Vertonung, die Oliver Augst
croont, ist von Peer Raben.
Die von Autor:innen und Regie (Petra Beck, Brezel Göring) gewählte
Gattungsbezeichnung ist „Musical“. Es gibt darin keine Held:innen und keinen
stringenten Handlungsverlauf. Es ist so gebaut, dass es sich nachträglich im
nachlauschenden, nachsinnenden Publikum eventuell zu einem Musical oder
vielleicht auch einer Crooner-Operette zusammensetzen kann. Davor besteht es aus
Liedern, viele von Peer Raben, mit Texten von Wolf Wondratschek, Hans Magnus
Enzensberger, Rainer Werner Fassbinder, Christian Friedrich Hebbel und David
Ambach, was ein Pseudonym von Peer Raben sein könnte.
Das alles bildet weniger eine Geschichte als vielmehr eine Materialsammlung, aus
der eine Reaktionsmasse entstehen kann. Denn natürlich geht es um Reaktionen,
und Reaktionen sind auch Beziehungen. Mütter und Söhne bilden eine unauslotbare
künstlerische Reaktions- und Beziehungsmasse, diffus und brisant.
Und Ruhe gibt es für sie nicht. Sie kommt nicht zur Ruhe, auch nicht, wenn schon
alles zu Ende ist und nur noch jemand an der Laterne vor dem großen Tor wartet,
dass jemand wiederkommt, „aus dem stillen Raume, aus der Erde Grund“, wie einst
Lili Marleen. Oliver Augst intoniert Hans Leips ewiges Soldaten- und Nachkriegslied
zum verfremdeten und völlig unsentimentalen Arrangement: „So woll’n wir uns da
wiederseh’n“.
Gallus Theater, Frankfurt: 18. Juni. www.gallustheater.de
Quelle: https://www.fr.de/kultur/theater/verloren-bedroht-und-behuetet-91616380.html
(erschienen online und im Print)
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.06.2022
Künstlermutter, Künstlersohn
Fluch oder Segen? Das Duo textXTND spürt mit Big Band und Mitstreitern dem
Phänomen Künstler und ihre Mütter nach.
Die Mutter aller Zensuren
von Moukhtar Bachi
FRANKFURT Arbeit von textXTND im Gallus Theater
Schöpferin, Lebensspenderin – seit jeher ist die Mutter Gegenstand der Kunst. Sei
es in der positiven Form der Madonna, fromm und liebend, oder negativ konnotiert
als Medea, rachsüchtig mordend. Auch Oliver Augsts und Marcel Daemgens
„M#TTER“ schenkt der Mutterschaft im Frankfurter Gallus Theater Beachtung, wenn
auch einer bislang eher unbeleuchteten Randgruppe: den Künstlermüttern. Mit dem
Hinweis „Keine Chronologie“ bereitet die Produktion von textXTND auf die
sprunghafte Inszenierung des Themas vor. Das Resultat ist ein auf musikalischer
und textueller Ebene erzeugtes Wechselspiel. Mal ertönen imposante
Swing-Einlagen von Augst zu Kompositionen von Peer Raben und Dichtungen von
Hans Magnus Enzensberger oder Wolf Wondratschek, die jeweils eigene Bezüge
zum Muttermotiv haben. Instrumental unterstützt wird das durch die Arrangements
von Eckart Rahn, der Rabens Musik für die Big Band des Marburg Jazz Orchestras
übersetzt hat.
Demgegenüber stehen emotionale Vorträge einer Künstlermutter an das Publikum,
unter Zuhilfenahme der Worte von Petra Beck und Brezel Göring, die den
Leidenskonflikt mal in Monologform, mal im Zwiegespräch mit dem geplagten Sohn
zeichnen. So legt die Mutter, empathisch-makaber gespielt von Pascale Schiller,
dem Publikum ihre Beziehung zum berühmten und talentierten Kind, leidend
dargestellt von Göring, in Form kurzer Psychogramme offen.
Wessen Mutter genau, bleibt unausgesprochen. Zu Beginn macht das ein humorvoll
interpretiertes Unterlassungsschreiben der Anwälte des Künstlers deutlich. Ein
sporadisch aufklingender Zensurton, visuell dargestellt durch ein aufleuchtendes
Rautenzeichen, erinnert mehrfach daran. Das Ensemble verpackt das
Namensverbot auf spielerisch amüsante Art und setzt so den Grundton des Stücks.
Ertönt der schrille Zensurton, fahren die Zuschauer aus ihrer Immersion auf, der
Fokus geht unerbittlich zurück auf die davon irritierte Mutter, Dreh- und Angelpunkt
des Abends. Den Künstler, dessen Name nicht genannt werden darf, dürften Kenner
im Publikum schnell enttarnen – die Produktion gibt durch Lieder und Texte
zumindest ein wenig Aufschluss. Aber auch wenn man die Figur nicht erkennt, wird
die Mutter im Stück von der Last der Bekanntheit ihres Sohnes doch entbunden. So
entsteht eine Art Archetyp, der bei allen Zuschauern Anklang finden kann.
Quelle: https://zeitung.faz.net/faz/rm-kultur/2022-06-23/b6cf2d299696d4c07603f0ba1095c8e
8/?GEPC=s5
(erschienen online und im Print)
mehr
Bühnentext (Brezel Göring)
Bühnenbild (Brezel Göring, Entwurf)
Programmhefttext (Wolfgang Müller)
Presse
Exposé
Sachbereicht
Foto
Flyer/Plakat