M#TTER / 2022
Sachbericht - Schilderung des Werks M#TTER
jeweils 20:00 Uhr
www.gallustheater.de
Setareh Alipour: Produktionsleitung, Social Media
Oliver Augst: Gesang
Petra Beck: Dramaturgie, Stimme
Marcel Daemgen: Sampling, Arrangements
Julian Glunde: Projektassistenz
Brezel Göring: Regie, Text, Sprache
Christoph Klenner: Bigband-Leitung, Arrangements
Isabella Koeters: Bühnenbild
Marburgjazzorchestra: Bigband
Pascale Schiller: Schauspiel, Sprache
Norbert Zacharias: Ton
KONZEPT
Der "Mythos" der Künstlermutter als "Die Deutsche Mutter", "Mutterikone" aber auch als "Mitarbeiterin", "Übersetzerin" "Darstellerin" und "Sekretärin" bis zur Rolle als "Hotel Mutter" wurde beleuchtet. Zwischen den Polen der Mutter und ihrem Künstlersohn besteht ein reibungsvolles Wechselverhältnis, welches als Ausgangspunkt für eine theateralisch-musikalische Auseinandersetzung verstanden werden soll.
Ohne Chronologie eines Handlungsablaufes wurde die Geschichte zweier Personen, die sich aneinander abarbeiten, präsentiert. Die Welten schienen getrennt, dabei sind die Personen in enger Verbindung. Sie sind Mutter und Sohn. Die Sehnsucht, jenseits dieser Rollen wahrgenommen zu werden, verbindet sie. Nähe und Distanz mussten verhandelt werden. Die Gesellschaft gibt Themen vor: Geld, Liebe, Sehnsucht, Politik, Qual, Ehrgeiz, Arbeit, Tod... Mein Sohn! Meine Mutter! Sie spielen zusammen, und schaffen eine gemeinsame Person. Die Mutter arbeitet an Texten und der Steuererklärung ihres Sohnes. Die Big Band spielt auf großer Bühne und gibt dem Abend seine Bildsprache - und seinen Sound.
M#TTER ist eine Produktion von textXTND 2022, gefördert durch das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst, das Kulturamt Frankfurt (im Rahmen einer Mehrjahresförderung), der Förderreihe "Klangwert - Aventis Foundation Ensemble-Förderung"
Projektträger ist VIV - international, Verein für internationale Verständigung und interkulturelles Lernen e.V.
HINTERGRÜNDE
Angestrebte Wirkung war es, die Künstlermutter und den Künstlersohn mit musikalische-theatralischen Mitteln zu repräsentieren und die Themen der Mutter sichtbar zu machen: eigenständige intellektuelle Arbeit, Abhängigkeiten von Männern. Das Miteinander sprechen von Sohn und der Mutter ist von Beginn an ein Ringen, ein Kämpfen um Verständnis oder gleich Sprachlosigkeit. Es war nicht üblich, dass Eltern und Kinder miteinander redeten. Nur Höflichkeitsfloskeln, Banales, Schweigen. Der Sohn nimmt die Kindheits- und Fremdheitserfahrung als Material. Und beide kämpfen mit der Realität des Anderen.
Alle Söhne haben eine Mutter, der Künstler hat mit ihr auch Material. Die Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft und der Familie wird häufig begleitet von der Perspektive des Kindes: schweigsam, ernst, unschuldig.
textXTND hat in M#TTER Materialien, die sich um diesen Themenkomplex drehen, zu einem Projekt verarbeitet und sich aus unerwarteten historischen Perspektiven gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Fragen gestellt, um diese mit kritisch-konfrontativen Dramaturgien und klanglich offensiven musikalischen Konzeptionen zu bearbeiten.
Die Mutter, gespielt von Pascale Schiller
Ausschnitt Fotografie: Veit Braun
Vorerst als kläglich abgetan und im weiteren Verlauf der Produktion zu einem Gestaltungselement herangezogen: die Zensur der Fassbinder Foundation. Das Verbot, den Namen des Liedtexters für die meistens Stücke zu verwenden führte zu dem Entschluss, den Namen Fassbinder im Stück mit dem Hashtag Zeichen zu ersetzen. Der Leuchtkasten wurde per Knopfdruck von Petra Beck aktiviert. Die Mutter reagierte darauf meist irritiert, wenn nicht sogar entsetzt.
“Ein Schreiben der #Foundation.
Brezel: Sehr geehrter Herr Augst, betreff Ihrer Anfrage: Liederabend über # und seine Mutter! Mit den Kompositionen von Peer Raben, der die Musik für die Werke des von unserer Foundation
repräsentierten Künstlers komponierte! Wir müssen ihnen leider mitteilen: heutzutage will jeder seine kleine viertklassige Theaterproduktion mit großen Namen aufpolieren. Also, wir teilen leider mit: in diesem Fall beißen Sie auf Beton! Verboten! Per einstweiliger Fügung verbieten wir ihnen den Namen # zu verwenden oder biographische Details so hinzustellen, dass Rückschlüsse auf die betreffende Person möglich wären, wir sehen uns gezwungen, bei Zuwiderhandlung, Maßnahmen zur Bewahrung der Integrität unseres Nachlass- Verwaltungsauftrages zu ergreifen ecetera ecetera, mit verbindlichen Grüßen, die Anwälte scharren schon mit den Hufen,... Äh, was bedeutet denn dieses Zeichen?
Petra Beck als Erzählstimme
Fotografie: Pauline Schey
Petra: Das Zeichen # taucht immer dann in japanischen Comics auf, wenn eine Explosion stattfindet.
Brezel: Und was hat das jetzt mit uns zu tun?
Petra: Heute Abend werden wir dieses Zeichen immer dann einblenden, wenn wir eine Information oder einen Namen übermitteln möchten, deren Verwendung für uns juristisch gefährlich werden könnte! Das war ein Schreiben der #-Foundation.”
Ausschnitt aus dem Skript, geschrieben und gesprochen von Brezel Göring und Petra Beck
Des Weiteren fand ein berührender Austausch mit dem Musiker und Verleger der Raben Lieder, die feinsinnig von Marcel Daemgen und Christoph Klenner für das marburgjazzorchestra* arrangiert worden sind, Eckart Rahn statt, der es leider nicht zu den Aufführungen schaffte:
“das anhängende foto wurde ca. 1962 im marburger jazz-club gemacht. ich war der bassist des quintetts unter der leitung von pete schmidt. schöne erinnerungen. damals hätte es nicht genug musiker für eine big band in marburg gehabt. ein jahr später, mit 19 bin ich dann nach köln gegangen, wo ich eine erste anstellung im schallarchiv der deutschen welle als hilfskraft bekommen konnte. ich habe an meine jugend in marburg die schönsten erinnerungen. es gab schon alles ohne internet.
für ihre projekte wünsche ich ihnen viel glück und erfolg!
bestens
e.r.”
Es geht bei textXTND um das Spiel mit musiktheatralischen Formen und Gestalten, um ein Jonglieren und Experimentieren mit Klängen, die alles akustisch Verfügbare einschließen.
Das Arbeiten der Künstler vollzieht sich sowohl individuell als auch im Kollektiv, im Spagat der
Kommunikation zwischen künstlerischen (Einzel-)Persönlichkeiten und einem Großensemble.
Zwischen diesem und dem inter-subjektiven Zusammenspiel der Individuen entsteht die eigentliche Form des Musiktheaters.
Gemeinsam mit weiteren Akteuren, wie Brezel Göring und dem marburgjazzorchestra, mit denen bereits die Produktionen “Lou Reed in Offenbach” (2020) und “Ernst Neger Komplex” (2017) entstanden sind, bleibt die Arbeitsweise von textXTND auch bei M#TTER virtuos, radikal und stets an den Schnittpunkten von Komposition, Installation, Theorie und Text.
PROBEN, AUFBAU UND AUFFÜHRUNGEN
Das M#TTER Musical feierte am Donnerstag, den 16. Juni 2022 um 20 Uhr die Uraufführung. Das Team, bestehend aus der 18-Köpfigen Big-Band, dem Leiter, Dirigenten und Arrangeur, dem Sänger, zwei Darstellerinnen, einem Darsteller probte in der Zeit vom 24.04.2022 bis zur Uraufführung bereits teils unabhängig voneinander in musikalischen Satzproben sowie reinen Text- beziehungsweise Sprechproben.
Pascale Schiller als Mutter mit dem Marburgjazzorchestra im Hintergrund
Fotografie: Pauline Schey
“Schöpferin, Lebensspenderin – seit jeher ist die Mutter Gegenstand der Kunst. Sei es in der positiven Form der Madonna, fromm und liebend, oder negativ konnotiert als Medea, rachsüchtig mordend. Auch Oliver Augsts und Marcel Daemgens „M#TTER“ schenkt der Mutterschaft im Frankfurter Gallus Theater Beachtung, wenn auch einer bislang eher unbeleuchteten Randgruppe: den Künstlermüttern. Mit dem Hinweis „Keine Chronologie“ bereitet die Produktion von textXTND auf die sprunghafte Inszenierung des Themas vor. Das Resultat ist ein auf musikalischer und textueller Ebene erzeugtes Wechselspiel. (...) So legt die Mutter, empathisch-makaber gespielt von Pascale Schiller, dem Publikum ihre Beziehung zum berühmten und talentierten Kind, leidend dargestellt von Göring, in Form kurzer Psychogramme offen.”
Oliver Augst bei der Uraufführung
Fotografie: Pauline Schey
Oliver Augst und Marcel Daemgen als Initiatoren des Projektes und als sich durchziehender Strang auf musikalischer Ebene waren in der gesamten Probenzeit dabei. Je nach Bedarf probte das Duo, auch bekannt unter dem Label textXTND gemeinsam mit dem Marburgjazzorchestra (Bigband) und Christoph Klenner (Dirigat, Arrangements, Bigband Leitung), Brezel Göring (Text, Regie, Sprache), Petra Beck (Dramaturgie, Sprache) und Pascale Schiller (Sprache).
Probe am 05.06.2022 in Marburg mit allen
Die Probenzeit war auf musikalischer und menschlicher Ebene ein Prozess der Annäherung, der vom gesamten Team besonders unter den aktuellen Bedingungen als bedeutsam und wertvoll empfunden wurde: mit jeder Zusammenkunft und mit jedem Durchgang formte sich das Musical unter Beobachtung und Berücksichtigung vieler Stimmen bis kurz vor der Urauffühung zum Ergebnis.
Ab Dienstag, dem 14. Juni wurde das Team organisatorisch durch Julian Glunde (Produktionsassistent) unterstützt, der zugleich die Rolle als assistierender Bühnenbildner einnahm. Bei der Gestaltung der Kapaplatten orientierte sich Isabella Koeters an den Farben und Formen von Vliestapeten aus den 70er Jahren.
Bühnenbild Probeaufbau und Detailaufnahme mit Bühnenbildnerin Isabella Koeters
und Assistent Julian Glunde
Bühnenbild Modell von Brezel Göring
Während der Arbeit am Text tauschten sich Brezel Göring und Isabella Koeters telefonisch aus. Vor Ort fügte sich das Bühnenbild Stück für Stück (mit Ankunft der Bigband und Rücksprachen mit Sänger Oliver Augst) das fragmentarisch zusammengesetzte, Notenpultverkleidung-anmutende Bühnenbild, das der ursprünglichen Idee von Brezel Göring fernblieb. Nichtsdestotrotz stellten wir sein Exemplar im Foyer vom Gallustheater zur Ansicht für Gäste und Einsicht hinter die Kulissen aus.
In den Durchlaufproben vom 15. und 16.06. in Originalzeit von 90 Minuten, an denen die Verzahnungen von Text und Musik geprobt wurde, und an deren Anschluss Eindrücke und Feedback ausgetauscht wurden, hat auch das Feedback von außen eine wichtige Rolle gespielt. Dieses haben die Produktionsleiterin Setareh Alipour, die ab Dienstag vor Ort war, und der Projektassistent gegeben.
Alle Beteiligten bemühten sich erfolgreich um die Einhaltung der festgelegten Hygienemaßnahmen. Zu diesen gehörten die Einhaltung eines Sicherheitsabstands von mindestens eineinhalb Metern sowie (fast) täglichen Schnelltests. Die klaren Bestimmungen auf organisatorischer Seite, ermöglichten die Etablierung eines künstlerisches Freiraums. Mit der bestmöglichen Annäherung an ein Gefühl der Sicherheit, konnte während der Proben mit Konzentration und Freude an M#TTER gearbeitet werden.
v.l.n.r: Marcel Daemgen, Isabella Koeters, Setareh Alipour, Julian Glunde
Fotografie: Veit Braun
Zum feierlichen Abschluss der Uraufführung und nach mehreren Applausdurchgängen übergab der Indendant des Gallustheaters Winfried Becker, der am Dienstag zuvor Oliver Augst, Setareh Alipour und Brezel Göring zu seiner Show “Gallusfenster” in das RadioX einlud, Sonnenblumen an das gesamte Team.
WERBEMITTEL
M#TTER wurde vielfältig beworben. Um ein regionales Publikum zu gewinnen, wurden zwei Wochen vor der Uraufführung sämtliche U-Bahnhöfe in Frankfurt plakatiert. Darüberhinaus erhielten alle Beteiligten einen Stapel von Postkarten und das 20-Seitige Programmheft, das an Freunde, Bekannte, Interessierte im analogen Format verteilt oder überregional verschickt werden konnte. In der FAZ erschien eine Vorankündigung zur Künstler Mutter-Kampagne.Des Weiteren wurden ca. 80 handgeschriebene Ehrenkarten mit DINA3 Poster, Flyern und Programmheft verschickt. Den Text für das Programmheft schrieb Wolfgang Müller von den genialen Dilletanten. Die Gestaltung der Drucksachen übernahmen Yvonne Pietz und Olaf Rahlwes. Die Konzeption, Die Auswahl des Gastautoren, des Aufdrucks von Papier aus Forsythe-Zeiten und die Idee, Fotos von Müttern aus dem Team zu verwenden, kam von der Dramaturgin und Sprecherin Petra Beck.
Programmheft mit Texten von Wolfgang Müller, Petra Beck und Brezel Göring und Kurzbiografien
Flyer Vorder- und Rückseite, Fotografie und Gestaltung: rahlwespietz
“(...) Vielen lieben Dank für die Einladung. Großartiges Thema, das Heftchen macht Lust!!” antwortete Stefanie Böttcher (Direktorin Kunsthalle Mainz) auf die Ehrenkarten-Einladung per Post
textXTND engagierte Setareh Alipour für die Position Social Media, die für eine große Webpräsenz sorgte und die Followerzahl fast vervierfachte. Neben einer Werbekampagne auf Facebook für die Veranstaltung selbst, lief eine Aktion für KünstlerInnenmütter: Alle, die ein künstlerisch schöpferisches Kind haben, sollten eine Freikarte bekommen. Dieses Angebot wurde von vielen Gästen dankend angenommen und von lokalen Kanälen wie dem gut frequentierten Kulturkanal der Stadt Frankfurt auf Instagram geteilt.
Filmisch festgehalten wurde das Musical von Sehstern Filmproduktion (aktuell noch in Arbeit). Den Ton mixte Norbert Zacharias. Fotos wurden während der Generalprobe und der Uraufführung von Pauline Schey gemacht. Zusätzlich machte Veit Braun zur Uraufführung Fotos. Trotz der schwierigen Startbedingungen waren sowohl der Probenprozess, als auch die Aufführungen erfolgreich. Die Veranstaltungen wurden von insgesamt 137 Zuschauenden besucht. In regionalen und überregionalen Zeitungen sowie im Radio wurde das Format angekündigt und/oder positiv rezensiert (siehe Pressespiegel).
Das Musical M#TTER konnte durch die finanzielle Unterstützung des Kulturamts der Stadt Frankfurt, des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, der Aventis Foundation, dem Verein für internationale Verständigung und interkulturelles Lernen e.V. sowie durch ein Projektstipendium im Rahmen des Förderprogrammes "Hessen kulturell neu eröffnen" und dem Gallustheater als Proben- und Aufführungsort sowie mit freundlicher Genehmigung Peer Rabens Lieder von Eckart Rahn realisiert werden. Wir freuen uns sehr über die gelungene Produktion, die ohne Ihre Unterstützung nicht möglich gewesen wäre.
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Bühnentext (Brezel Göring)
Bühnenbild (Brezel Göring, Entwurf)
Programmhefttext (Wolfgang Müller)
Presse
Exposé
Sachbereicht
Foto
Flyer/Plakat