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VOLKSLIEDMASCHINE / 2002

Presse:

"Endlich mal Ruhe!" seufzte Christoph Korn, als er hinter sich die Tür ins Kleine Studio schloss, wo die von ihm und Oliver Augst entwickelte Volksliedmaschine für eine Weile stillgelegt worden war. Vor kleinem Publikum wurde hier angeboten, was auf der intermedium ansonsten weitgehend absent geblieben war: Theorie.
Springerin 04/02

Das Ergebnis des Projekts "Volksliedmaschine" von Oliver Augst und Christoph Korn ist ein bemerkenswertes Spektrum bekannter Text- und Liedelemente in unbekannter Präsentationsform - eine Wiederentdeckung der Oralität in der Klanggestalt des 21. Jahrhunderts.
Funkkorrespondenz 15/02 (Götz Schmedes)

Medienkünstler auf der Medienkunst Biennale "intermedium2" des ZKM Karlsruhe verwenden die Datenreproduktion als Code für die eigene Arbeit, wie etwa Oliver Augst und Christoph Korn in ihrer "Volksliedmaschine", die das Material - deutsches Liedgut in Wort- und Tonfetzen - hörbar macht: eine Art postromantisches Klangkunstwerk.
Badisches Tagblatt, 25.3.02

Frankfurter Rundschau v. 20.03.2002, S.28
Von Hans-Jürgen Linke

Im März morgens
Die elektronische "Volksliedmaschine" von Korn und Augst

Wenn die Maschine erst einmal läuft, ist sie kaum mehr zu stoppen. Sie sagt mit verfremdeten Stimmen eigenartige Dinge wie "die schöne Jungfrau", "ein Schloss", "der Schneider", oder singt "der Winter ist vergangen" und "die Mutter ist in Pommerland", echot das Gesagte und Gesungene hin und her, verfremdet alles, spielt mit Jungfrau und Pommerland, fängt plötzlich an, aufdringlichen Lärm zu produzieren und schweigt dann. Um nach zehn Sekunden "In Trauer muss ich schlafen gehn" zu flüstern. Man könnte der Maschine den Strom abschalten, sie liefe trotzdem auf andere Art weiter.
Die elektronische Volksliedmaschine, die Christoph Korn und Oliver Augst jetzt für den Hessischen Rundfunk und demnächst für die Intermediale 2 im Zentrum für Kunst- und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe gebaut haben, ist ein Hörspiel, das sich selbst generiert. Sie hat den Vorteil, dass sie sich weitgehend technisch beschreiben lässt: In einem Audio-Archiv sind etwa 15 000 Stimm-, Gesangs- und Sprachsamples (Segmente) abgelegt; es gibt etwa 1000 Module, das sind Stimm- und Klanggeneratoren, die unter kompositorischen Gesichtspunkten aleatorisch auf das Audio-Archiv zugreifen; die Module interagieren miteinander auf der System-Ebene, und alle Systeme bilden gemeinsam ein Netz, das die Oberfläche der Volksliedmaschine ist. Partikel dieser Oberfläche erscheinen in diesen Tagen als überfallartige Einsprengsel im Hörfunkprogramm hr 2. Als Klanginstallation wurde die Volksliedmaschine jetzt bei der Deutschen Ensemble Akademie in Gang gesetzt und ist demnächst im ZKM in Karlsruhe zu erleben.
Das Endprodukt der Maschine ist ein nicht determinierbarer Text, der wie ein Hilfsmotor unsere innere Volksliedmaschine in Gang setzen kann. Sie allein ist in der Lage, aus dem, was die elektronische Volksliedmaschine liefert, einen Zusammenhang zu konstruieren. So ist die elektronische zugleich eine Methode, unsere innere Volksliedmaschine erfahrbar zu machen. Die ist vor allem ein bisher wenig erforschter Bereich des im deutschen Sprachraum sozialisierten menschlichen Gehirns. In ihm lagern große Mengen an bedeutungstragenden Audio-, Geruchs- und Bildfiles, nicht so gut geordnet wie in der elektronischen Version und nicht so übersichtlich kombiniert. Wenn man beispielsweise im März morgens aufwacht, die Sonne scheint und die Vögel zwitschern, sagt die innere Volksliedmaschine "der Maien Schein" oder singt "Frühling will nun einmarschier’n". So leicht ist die elektronische Volksliedmaschine nicht zu beeinflussen; so lernen wir in Auseinandersetzung mit der einen etwas über die andere: daher über uns selbst.
Da die elektronische ein gut durchdachtes Abbild der inneren Volksliedmaschine ist, greifen beide leicht ineinander. Ihr Name klingt nach Konstruktion, Postmoderne und Ironie, aber mit der Distanzierungstechnik Ironie ist so eine Maschine nicht in Gang zu bringen. Die elektronische Volksliedmaschine braucht nicht nur Hard- und Software sowie Strom, sondern, genau wie die innere, auch eine kleine Dosis Naivität und unverwundetes Pathos: Sie braucht die Überzeugung, dass neben all dem widerlichen Kitsch und dem penetranten Getümele und der gewaltförmigen Einfachheit des deutschen Volksliedgutes auch emotionale Intensität und Authentizität vorhanden sind – und vielleicht sogar Rebellion als Spurenelement.
Bis 28. März im Hörfunkprogramm hr 2, vom 22. bis 24. März auf dem Medienkunstfestival "Intermedium 2" in Karlsruhe sowie im Internet unter www.hr-online.de/volksliedmaschine. Auch die Homepage der Künstlergruppe www.textxtnd.de hält Material bereit.

883841, FR , 20.03.02; Words: 524 , NO: 1188916


Der überforderte Zuschauer

"INTERMEDIUM 2" - INTERNATIONALES MEDIENKUNSTFESTIVAL IN KARLSRUHE
Von "Medienkunst" wird viel erwartet, man weiß nur nicht genau, was

Am besten gefällt uns, wenn es richtig dicht und schnell wird, also nach
Maschine klingt. Aber es gibt eben auch Phasen, da passiert sekundenlang
gar nichts, einfach Stille. Oder es gibt eine Stimme, die sagt ›und dann
war Stille‹ und danach ist auch wirklich Ruhe. Also ich würde mich so
was als Komponist gar nicht trauen, aber wenn die Maschine das bringt,
zufällig, dann ist das schön." Christoph Korn, Komponist und Dozent für
Ästhetik und Improvisation in Frankfurt, hat die Volksliedmaschine
miterfunden. Die Frage nach Erwartungen an das eigene Werk beantwortete
er im kleinen Kreis eines Publikumsgesprächs. Beim Rundgang durch die
Hallen des ZKM, beim Anhören, Ansehen und in Bewegung setzen von
Installationen stellt sie sich noch öfter. Was ist eigentlich
"intermediale Kunst", wie hat man sie sich vorzustellen, und was sagen
die Künstler selbst dazu?
Die Initiative zum Medienkunst-Festival kam von der Hörspielabteilung
des Bayrischen Rundfunks. Im Zweijahresrhythmus findet es an wechselnden
Orten und mit jeweils neuen Partnern statt; es beteiligen sich die
Hörspielabteilungen der ARD, freie Künstler, Experten. In diesem Jahr
hatte man sich als Thema für all die Performances, Installationen und
Diskussionen auf "Identitäten im 21. Jahrhundert" verlegt.
Im Vergleich zum Großteil der übrigen Installationen und Vorführungen
erschien die Volksliedmaschine eher unaufwendig und unspektakulär. In
dem ihr zugeteilten Raum gab es keine Bildchirme und Videoprojektoren,
keinen PC, der Informationen vermittelt oder zum Interagieren
auffordert. Hier gab es für die Dauer des Festivals etwas zu hören: Das
Ergebnis eines Programms, das aus einer bestimmten Anzahl deutscher
Volkslieder in ihrer schriftlichen, gesungenen und gesummten Version ein
neues "Metavolkslied" erstellt. Wie das klingt, lässt sich nicht
vorhersagen und variiert ständig. Mal spricht eine einzelne Stimme ganze
Sätze, dann überlagern sich gesummte Melodie, gelesene Worte und Gesang,
dann wiederum passiert eine Weile lang gar nichts.
Genau das wollten die Erschaffer: ein "Metavolkslied", das durch
Unvorhersehbarkeit verfremdet und es damit möglich macht, das Volkslied
neu und fern von altbekannten Assoziationen zu hören. Anscheinend aber
wirft eine derartig radikale Offenheit die Beteiligten besonders
deutlich auf ihre eigenen Erwartungen zurück - sei es, was die
Vorstellungen der Komponisten über Charakteristik beziehungsweise
Originalität maschineller Produktion angeht, seien es die Kriterien für
Sendefähigkeit beim Rundfunk. Für den Hessischen Rundfunk, dessen
Hörspielabteilung das Projekt in Auftrag gegeben hat, ist das Risiko
maschineller Zufallsproduktionen offensichtlich zu groß: Unberechenbare,
im schlimmsten Fall sogar stumme drei Minuten Volksliedmaschine senden?
Das geht den Verantwortlichen zu weit. Also suchte man den Kompromiss,
moderiert zumindest grundsätzlich an, testet Ausschnitte, bevor sie auf
Sendung gehen, und verweist auf die Hörspielversion, die von
Menschenhand ausgewählte und kombinierte Highlights bringen wird.
Die wenigsten Performances von intermedium 2 werden so aufwendig
nachbearbeitet, bevor sie als Hörspiel gesendet werden. "Life" wie zu
Anfangszeiten des Radios gingen sie ins Programm ein, die
Herausforderung des "Intermedialen" ganz unterschiedlich annehmend.
Auffällig selten wurden die Themen "Identität" und intermediale Kunst in
Texten und Aussagen reflektiert. Vielmehr schien es so, als würde sich
die Herausforderung "Intermedialität" für die meisten Organisatoren auf
Methode und Form der Darstellung beziehen und sich darin erschöpfen. Das
Gros der Ergebnisse, die das Festival präsentierte, bestach weder in der
Idee noch in der Durchführung: O-Töne eines Schriftstellertreffens von
1964, dazu Musik und auf allen vier Wänden des Raumes dahinwandernde
bearbeitete Bilder der Konvent-Teilnehmer (Konvent,
Meinecke/Melian/Moufang); eine Mini-Radioshowserie, basierend auf der
Idee, es gäbe "personal communication bubbles", die den urbanen Menschen
ständig umgeben und jederzeit alle benötigten Informationen zur
Verfügung stellen. Aus den harmlosen Pannen ergeben sich noch harmlosere
Abenteuer, die akustisch mager inszeniert und visuell modisch-manga-hipp
designet niemanden vom Hocker reißen (instant insider, Beusch/Cassani).
Eine gern eingesetzte Variante zum life-Hörspiel ist die
life-Expertendiskussionsrunde: Journalisten und Autoren schwatzen über
Pop beziehungsweise über ihre persönlichen Erfahrungen mit Popmusik in
der Jugend und wie und warum man darüber (nicht) reden kann (Diskussion:
Pop - Leben ohne Identität). Zwei Männer, die nebenbei auch Musiker
beziehungsweise Moderatoren sind, legen abwechselnd alte Sun-Ra-Platten
auf und fachsimpeln über Fremdeinflüsse, politische und prophetische
Botschaften und avantgardistische Techniken (Theweleit/ Meinecke:
Tonkopfduett). Ein Kurator, ein Autor/ eine Autorin und ein
Literaturwissenschaftler wollen feststellen, ob Identität schlecht ist,
weil sie (positive) Veränderung verhindert, oder gut ist, weil sie
Zugehörigkeit stiftet, oder ob sie einfach Tradition ist, der man nicht
entgehen kann (Diskussion mixed identities). Das alles war
unterhaltsam, wirkte zugleich aber auch sehr beliebig. Die angekündigte
politische Dimension wurde beinahe gar nicht vermittelt. Stattdessen
transportierten viele Projekte eine naive Technikbegeisterung, die
fraglos das Credo des Fortschritts reproduziert.
Nicht komplizierte Konzepte und großer Technikaufwand sind entscheidend
für die Wirkung beim Publikum, das erwies sich immer wieder, sondern die
Spannung, die im besten Fall Bühnenpräsenz erzeugt. Wie bei
Frankensteins Netz, sicher einem der ambitioniertesten Projekte des
Festivals. Das virtuelle Wesen Frankenstein wird von Besuchern der
Website mit Daten (akustischen und visuellen) gefüttert, nimmt Kontakt
zu seinen Ernährern auf und entwickelt sich zum wildwuchernden
Ungeheuer. Die alte Geschichte vom Meister, der die Geister, die er
rief, nicht mehr beherrschen kann - ins Zeitalter der Vernetzung
übertragen auf die Datenmasse, deren Wildwuchs bald die ursprüngliche
Intention, Informationen zugänglich zu machen, behindert. Die
Performance wollte das Wesen im Kampf mit seinem Erschaffer Atau Tanaka
zeigen, wobei den Kick wiederum die Vernetzung bringen sollte. Neben dem
vorher eingespeisten Datenmaterial waren Voice-Künstler in Japan und
Tokio life dazugeschaltet, die Texte zum Verhältnis Mensch-Maschine
lasen, und eigentlich sollten auch die Website-Besucher teilnehmen
dürfen. Letztere blieben dann doch ("aus Angst vor Hackern") außen vor,
und der Kampf erschöpfte sich in einer linearen Entwicklung von
langsam-leise zu schnell-laut und wieder zurück zum Ausgangsstadium der
Bild- und Tonelemente.
Laut Ankündigung ein intermediales Kunstwerk par excellence, litt die
Ausführung an verschiedenen Mängeln, technischer wie konzeptioneller
Art. Aber die Spannung im Saal vor Beginn der Performance, die
spezifische Stimmung, erzeugt von der schlechten Übertragungsqualität
und der Nervosität der Künstler, machte den Unterschied deutlich
zwischen einer glänzenden Vorstellung und einer eher lahmen Realität. So
reflektierte Frankensteins Netz eher unfreiwillig die hohe
Erwartungshaltung an intermediale Kunst, die sich immer wieder an den
realen Gegebenheiten bricht. Übrigens nicht nur aufgrund von technischen
Mängeln, sondern auch wegen des oft überschätzten Vermögens der
Zuschauer, die komplexen Konzepte und Verbindungen zu erfassen.

Sabine Wollowski
"Freitag 15" 5.4.02

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