AN DEN DEUTSCHEN
MOND / ARBEIT / CD / 2001
Radio-Feature / DLR:
Musikforum: An den deutschen Mond
Hanno Ehrler
Neubearbeitungen deutscher Volkslieder für Stimmen, Elektronik und Sampler
von und mit Oliver Augst, Marcel Daemgen und Christoph Korn
Sprecher: Olaf Oelstrom (vom DeutschlandRadio Berlin)
Musiknachweis: Musik 14 und 15 Reporterband, alle übrigen von der CD: "An
den deutschen Mond"
Sendung: 16. 10. 01, 21:05 - 22:50 Uhr, DLF
Teil 1
Am Mikrofon begrüßt Sie Hanno Ehrler. Heute stelle ich Ihnen unter
dem Motto "Revised German Folksongs" Neubearbeitungen deutschsprachiger
Volkslieder vor, gesetzt für zwei Stimmen, Elektronik und Sampler von
und mit Oliver Augst, Marcel Daemgen und Christoph Korn. Die Gesangs- und Instrumentalaufnahmen
mit den Sängern Alexandra Maxeiner und Oliver Augst und dem Cellisten
Frank Cox wurden im Sommer vergangenen Jahres in den Studios des Kölner
Deutschlandfunks realisiert.
Musik 1 - 3 Maria durch ein´ Dornwald ging --- 3´01´´
Aus dem 16. Jahrhundert stammen Text und Melodie des Liedes "Maria durch
ein´ Dornwald ging". Es besteht aus einigen Strophen mit einer schlichten
Melodie, weshalb es Volksliedcharakter trägt. Unter den Volksliedern zählt
es allerdings zu den unbekannteren und wenig populären. Anders als bei "Maikäfer
flieg", "Auf einem Baum ein Kuckuck saß" oder "Der
Mond ist aufgegangen" klingt es nicht gleich im Ohr. Dennoch: die Melodie
wirkt eingängig, anheimelnd, irgendwie vertraut.
Ganz anders die Begleitung des Gesangs: sie trägt nur Spuren von Vertrautem,
Reste musikalischer Klischees, die man mit einem Volkslied in Verbindung bringen
könnte. Dazu gehören die schlichten, Popmusik-ähnlichen Rhythmen,
die immer wieder abbrechen und neu ansetzen, sowie ein paar Klänge, die
die Melodie in ein sanftes harmonisches Licht tauchen. Doch dieses Vertraute
ist eingestreut in eine Collage aus hauptsächlich geräuschigen, aufstörenden
Klangschnipseln: man hört Knistern wie vom Abspielen alter Vinylplatten,
leicht wabernde Pfeiftöne in hohen Lagen und steriles Knacken, wie es
bei der Verwendung elektronischer Geräte entsteht.
1. O-Ton Daemgen --- 0´16´´
daemgen - Wir haben unsere eigene ganz subjektiv persönliche Rangehensweise,
unsere eigene musikalische Geschichte, und die kommt zum Teil aus dem popmusikalischen
Kontext, aber aus dem Kontext der neuen Musik natürlich auch und der experimentellen
Musik, der elektronischen Musik, also es fließen da einige Stilistiken
ein.
Mit den mannigfaltigen Mitteln dieser verschiedenen Stilistiken haben die Frankfurter
Musiker Oliver Augst, Marcel Daemgen und Christoph Korn eine Reihe von Volksliedern
bearbeitet, unter ihnen auch einige wohlbekannte.
Musik 2 - 7 Heidenröslein --- 3´05´´
2. O-Ton Augst --- 1´11´´
So fern liegt es insofern überhaupt nicht, weil wir uns als Gruppe uns
mit Liedern befaßt haben, schon immer, seit dem letzten Projekt Brecht
Eisler, wo wir das Verfahren in die Tat umgesetzt, Neubearbeitung bis Neukomposition
von diesen Vorlagen zu machen, so haben wir folgerichtigen Fortsetzungsschritt
gemacht, weiterhin das Thema des deutschsprachigen Liedes, es ist quasi unsere
sprachliche und wie thematische Heimat, ist gar nicht son wilder Schritt, man
denkt, experimentierfreudige Musiker sitzen immer am Computer und drehn an
Knöpfen rum, aber die können durchaus noch andere Empfindungen in
sich regen haben und übergreifende Themen bearbeiten wollen, das heißt
also in diesem Volksliedkomplex ist uns ganz schnell klar geworden, man kann
mit einer CD, die nur 12 oder 14 Titel beinhaltet, so was nur anschubsen, ist
eigentlich wie sone Steinbruchgeschichte, wo immer man klopft gibst immer neue
Ecken und Ösen.
Sprecher
Volkslied, von Johann Gottfried Herder 1773 dem englischen "popular
song" nachgebildeter Begriff, der von Gottfried August Bürger,
Johann Heinrich Voß, Johann Wolfgang von Goethe und anderen aufgegriffen
und durchgesetzt wurde. Er ersetzte die bis dahin gebräuchlichen Begriffe
wie Bauernlied, Gassenhauer, Straßenlied und andere, bezeichnete also
weniger eine neue Sache, als vielmehr eine neue Wertung jener literarisch-musikalischen
Gattungen, die als Gegenposition zur zeittypischen Gelehrten- und Individualpoesie
verstanden wurden, heißt es in einem Lexikon zum Schlagwort Volkslied,
und:
Sprecher
Das Volkslied unterscheidet sich von anderen Formen der Kunst- und Gebrauchspoesie
durch die Anonymität des Autors, durch Alter und Langlebigkeit, durch
eine mündliche Überlieferung und die daraus resultierende Veränderlichkeit
des Textes und der Melodie. Nur für wenige Arten des Volkslieds sind
spezifische musikalische Formen feststellbar.
Verbreitet ist die sogenannte Volksliedstrophe mit dem Reimschema ABAB oder
ABBA. Daneben gibt es vielfältige andere Formen. Sie sind meist gereimt,
teilweise assonierend und reich an metrischen und rhythmischen Entsprechungen
und Wiederholungsfiguren.
Musik 3 12 O du stille Zeit --- 2´42´´
Die Faktoren, die ein Lied als Volkslied charakterisieren, sind eher außermusikalische,
inhaltliche, wenn sie sich auf die Herkunft oder den Text beziehen, soziologische,
wenn der gesellschaftspolitische Kontext die Verwendung eines Liedes und
seine Einstufung als Volkslied bestimmt.
Deshalb ist das Volkslied keine musikalische Gattung, deren formal-musikalische
Eigenschaften es als solches definieren. Kunstlieder, Agitpropsongs, Tänze
oder auch Nationalhymnen können im Lauf der Zeit oder durch Übertragung
in einen anderes soziales Umfeld zu Volksliedern werden.
Selbst die Bezeichnung "Volkslied" reicht offenbar nicht aus,
um das ganze Phänomen zu umreißen. Sie überschneidet sich
mit Begriffen wie "folksong", "popsong", "Schlager" oder
einfach "Lied".
3 O-Ton Augst/Korn – ca. 3´21´´
augst - Darüber hinaus ist es auch ne Definitionsfrage, was denn eigentlich
jetzt nun ein Volkslied sei, die Frage mußten wir natürlich auch
beackern in unserer Gruppe, es ist also so, wo immer man da nachschlagen
würde, immer wieder durch Definitionen versucht wurden, den Begriff
irgendwie zu fassen, auch wir haben da unsere ganz eigenen Definitionen getroffen,
das berührt natürlich diese ganz persönliche Schiene von der
eigenen Kindheit, Kinderlieder, die man noch im Ohr klingen hat, aber auch
von uns definierte Lieder, die wir gerne als Volksmusik dastehen haben würden,
zum Beispiel Eislers Resolution, oder das Solidaritätslied, haben wir
ganz bewußt, Anmut sparet nicht noch Mühe, die haben wir ganz
bewußt mit reingekommen, auch mit diesem extrem subjektiven Background,
da es sowieso keinen Konsens gibt, was denn nun das Volkslied sei, haben
wir unsere eigene Geschichte nochmal geschrieben.
/ korn - Wir waren zum Beispiel im deutschen Volksliedarchiv in Freiburg,
eine wunderschöne alte Villa mit ganz netten Menschen drin, und eigentlich
ne richtige Fundgrube was das angeht, also wirklich ich glaub zigtausende
von Volksliedern und deren Variationen, also das ist ja auch eigentlich ne
interessante Sache beim Volkslied, daß verschiedene Volkslieder Variationen über
die Jahre sozusagen erfahren haben, für die Volkslieder, das muß man
ganz klar sagen, haben wir wirklich ein ganz subjektiv künstlerisches
Interesse walten lassen, das heißt uns genügten da die Volksliedsammlungen,
die Dinge die wir eh kannten aus unserer Kindheit und so weiter, und haben
die unter diesen Gesichtspunkten ausgesucht, das heißt da haben wir
bewußt sozusagen keine historisch profunde und sonstwas geschichtliche
Recherche machen wollen, sondern da genügte uns ne Melodie und nen Text
beispielsweise, der uns interessiert, den zu bearbeiten. /
augst - Man braucht ja eigentlich nur mal im eigenen Regal mal wühlen,
also hat garantiert jeder so eins zwei Heftchen oder kleine Bücher oder
irgendwelche Volksliedsammlungen, die sind dann immer so schön gegliedert,
Thema Frühling, oder Abschied, Tod und so etwas, und mir gings wirklich
so, ich hab also im Regal unter den Liederbüchern meiner Tochter bißchen
rumgeguckt und also Sachen entdeckt, die mir längst hätten schon
längst bekannt sein müßten, von daher gesehen, daß diese
Bücher ja in meinem Besitz waren, aber nie mit diesem Blick reingegangen,
und da bei den einfachsten wirklich so gemalten Noten so mit Blümchen
oder so was da noch mal Sachen entdeckt, auch Textfassungen, denn das ist
vielleicht das Entscheidende, wir haben, wenn man so will, was die Liedauswahl
angeht, erstmal extrem subjektiv einfach so geguckt, was ist so da, was gefällt
uns, aber dann gerade bei der Textbearbeitung festgestellt, daß in
jedem Liederbuch, in jedem Heftchen, wo auch immer, immer wieder verschiedene
Textfassungen vorliegen, ich kann sagen, ich habe mir meine Version zusammengebaut,
das hört man auch, man wird feststellen, da fehlen manchmal so Endungen
die bekannt sind, ich habs ein bißchen abgeschliffen, auch vereinfacht,
ein bißchen übersetzt.
Musik 4 11 Der Jäger längs dem Weiher ging --- 2´38´´
Sprecher
Oliver Augst, geboren 1962, ist Performer, Komponist und Bühnenbildner.
Er studierte visuelle Kommunikation mit Schwerpunkt Bühne an der Hochschule
für Gestaltung in Offenbach und Popularmusik/Performance an der Hochschule
für Musik und darstellende Kunst in Hamburg. Er arbeitet als freischaffender
Komponist, Musiker und Performer. / Marcel Daemgen, geboren 1965, absolvierte
eine klassische Musikausbildung mit den Schwerpunkten Klavier und Studiotechnik.
Seit 1989 arbeitet er als freischaffender Komponist, Produzent und live-Musiker.
/ Christoph Korn, geboren 1965, studierte Politologie, Soziologie und Philosophie
in Frankfurt am Main. Er ist Dozent für Ästhetik und Improvisation
an der University of Applied Sciences in Frankfurt am Main. Seit 1989 arbeitet
er als freischaffender Musiker und Komponist.
Oliver Augst, Marcel Daemgen und Christoph Korn arbeiten
seit vielen Jahren zusammen. Sie improvisieren in Konzerten, sie produzieren
Musik-Theater-Stücke,
Performances und Hörspiele, und sie realisieren CD-Produktionen wie
die Volksliedbearbeitungen, die unter dem Titel "An den deutschen Mond" erschienen.
Die unterschiedlichen Erfahrungshintergründe und die verschiedenen Betätigungsfelder
von Augst, Daemgen und Korn überschreiten einen rein musikalischen Horizont
und umfassen die Bereiche Performance, visuelle Kunst, Politik und Philosophie.
Auf dieser Basis können die drei Musiker sehr verschiedenartige Mittel
und Techniken bei einem gemeinsamen Projekt zusammenfließen lassen.
Die individuelle Arbeit steht allerdings im Vordergrund. Der Anteil eines
Jeden bei der einzelnen Bearbeitung sehr unterschiedlich gewichtet, weshalb
das CD-Booklet für jedes Stück einen "Hauptkomponisten" nennt.
4. O-Ton Augst --- 1´20´´
augst - Das ist eigentlich ne Arbeitsweise, daß jeder von uns ein komplettes
Tonstudio zuhause hat, das heißt nicht riesige Räume, das heißt
jeder hat einen guten Computer zuhause stehen mit der entsprechenden Software,
wir haben also angefangen so zu arbeiten, daß jeder seine Materialien
selbst generiert, selbst auf Endproduktion hin fertigstellt, auch auf Endqualität
hin fertigstellt, wir haben dann eigentlich nur noch Daten ausgetauscht und
die dann letztendlich zum Schluß zusammengefügt und gemixt und
so, das hat uns genau diese Arbeitsweise ermöglicht, daß jeder
seine Fragmente erzeugen kann, teilweise zur ner vorgegebenen Melodie, die
irgendwann festgelegt wurde, weils eben ein Lied ist, die einzig verbindliche
Ebene, die bei den Stücken durchgehalten wurde, das ist dieser Text
und diese Melodie, und dazu kann man beliebiges collagehaften zusammenbauen,
da ist genau diese Verschaltung, die viele Schritte später kommt, ist
Ziel, die Vorarbeiten sind lauter kleine vollkommen autonome Schritte, die
jeder von uns alleine vollzieht.
Musik 5 1 Anmut sparet nicht noch Mühe ---- 3´02´´
Oliver Augst, Marcel Daemgen und Christoph Korn arbeiten mit elektronischen
Mitteln. Das wichtigste, weil universell verwendbare elektronische Gerät
ist der Computer. Mit ihm können andere Geräte simuliert werden,
Sampler, Mixer oder sogar Plattenspieler. Er kann Klänge speichern und
nahezu beliebig verfügbar machen, und er dient als Synthesizer für
unterschiedliche Verfahren der Klangsynthese. Nicht zuletzt ermöglicht
er Klangbearbeitung, -mischung und -collagierung.
Die drei Musiker nutzten sehr unterschiedliche Klangquellen, um musikalisches
Material zu gewinnen: Violoncelloklänge und Gesang, Samples von Tonträgern,
synthetisierte Klänge und, als sehr wichtiges Element des Materialpools,
Sounds aus dem Mischpult: durch spezielle Rückkopplungsschaltungen kann
das Gerät zum Klangerzeuger und damit zum Musikinstrument umfunktioniert
werden.
5. O-Ton Daemgen --- 1´05´´
daemgen - Wir benutzen das Mischpult, mit dem wir Musik machen, nicht so
wie das ein Tontechniker im klassischen Zusammenhang benutzt, sondern wir
verwenden es gerade so, daß wir es selbst als Klangerzeuger einsetzen,
indem wir Ausgänge, die in externe Geräte führen, wieder ins
Mischpult einführen und dann wieder in diesen Ausgang schicken, und
dadurch entsteht die klassische Feedback-Schleife, die jeder Tontechniker
versucht, zu vermeiden, wir überzeichnen das Ganze, wir legen nicht
nur eine von den Feedbackschleifen, sondern drei vier bis fünf, der
Christoph hat manchmal zwei Mischpulte, dadurch fangen die Feedbacks an zu
schwingen und ergeben selbst Rhythmik, richtige klare Beats oder auch sehr
komplexe Rhythmik, und in nem ganz breites Frequenzspektrum, nicht nur Fiepsen,
spitzer Ton den alle befürchten, sondern es ist eine sehr komplexe geräuschhaftige
Rhythmik, die dann, wenn man sie in bestimmte Register führt, an Techno
erinnert, aber an eine sehr extreme elektronische Dance-Musik könnte
man sagen.
Musik 6 5 Es geht eine dunkle Wolke herein --- 1´36´´
Die Verwendung von Knistern und Knacken als strukturelles Element beim Lied "Maria
durch ein´ Dornwald ging" findet sich in ähnlicher Weise
bei der Bearbeitung von "Es geht eine dunkle Wolke herein". Ihre
Begleitung besteht aus tieffrequenten Knackgeräuschen, die durch Rhythmisierung
musikalisiert worden sind. An einigen Stellen treten zu diesem Rhythmus-Plocken
vertraute Schlagzeug-Sounds. Sie erklingen jedoch nicht in gewohnter Qualität,
sondern klanglich abgedämpft, als kämen sie aus der Ferne oder
aus einem anderen Raum. Eine solch bewußt erzeugte Verschlechterung
der Klangqualität verfremdet die Schlagzeug-Sounds.
Damit werden die Instrumentalklänge dem Geräusch beziehungsweise
dem Störgeräusch angenähert. Die Störgeräusche hingegen
erfahren eine Musikalisierung, indem sie zum Träger musikalischer Strukturen
werden.
Diese Umfunktionierung von Geräuschen und Klängen erlaubt es, ein
bestimmtes Material anstelle eines anderen zu benutzen, zum Beispiel Rhythmustracks
aus Knacken zu formulieren.
6. O-Ton Daemgen --- 0´45´´
daemgen - Da gibt’s durchaus auch ne Anleihe oder Verwandtschaft zu
Dj-Musik Techno House, die vor 15 Jahren begonnen hat, auch Hiphop, das Geräusch
zu organisieren zu Rhythmik, da erkennt man noch bass drum und snare, aber
wie viele Sachen gibt’s da wo mit Alltagsgeräuschen gearbeitet
wird, wo Loops sind, das Scratchen, letztendlich ist das ein Fundus der kommt
aus der Popmusik, ich greife Dinge auf die mir vertraut sind, wir greifen
Dinge auf, aber auch die wir auf unseren Instrument ganz eigen entwickelt
haben, die auch so in der Art keiner macht, deswegen klingt es auch ein bißchen
anders als die meisten anderen Geräusche, aber Geräusche in der
Popmusik gibt’s schon viel.
Anders als für instrumentale Klänge, die im Rahmen des abendländischen
Tonsystems systematisiert und gewissermaßen abstrakt verfügbar
sind, gibt es für Geräusche keine Systematik, noch nicht einmal
einen allgemein gültigen Katalog, auf den man zurückgreifen könnte.
Sie müssen durch Experimentieren gefunden werden.
7. O-Ton Daemgen --- 0´50´´
daemgen - In meinem Fall würde es zutreffen, daß sehr viel Material,
was da drin vorkommt, viele Einzelfragmente sind durch Ausprobieren entstanden,
ich hab nichts Fertiges Cleanes im Synthesizer vorgefunden, ach das ist ein
Werksound, der ist toll, den nehm ich, sondern habe sehr sehr lang im Labor
rumprobiert, hab die eingespielt, habe 30 Sekunden von 30 Minuten genommen
für das Stück, habe wieder dreißig Minuten gespielt, habe
wieder ganz wenige gefunden, die mir geeignet schienen, also das ist immer
wieder auswerten von Neuem und dosieren und überprüfen /// korn
- von einem Gigabyte, also 1000 MB, bleiben am Schluß ungefähr
10 MB übrig, bei ganz strengem Verfahren bleibt wirklich ein Prozent
nachher sozusagen übrig, nicht.
Die Klänge und Geräusche, die nach einem solchen Prozeß des
Forschens und Experimentierens zur Verfügung stehen, gesellen sich zu
den Samples von Tonträgern und von aufgenommenen Instrumental- beziehungsweise
Vokalparts.
All diese Samples liegen nun auf der Festplatte des Computers. Sie bilden
das musikalische Material für die Volksliedbearbeitungen und können
von dort abgerufen und zusammengestellt werden.
Das ermöglicht eine nahezu beliebige Montage von formal wie inhaltlich
hochkomplexen Stücken, genauso aber plakative Kombinationen aus sehr
wenigen Elementen, wie bei der Bearbeitung des wohlbekannten Liedes "Maikäfer
flieg".
Musik 7a - 4 Maikäfer flieg 0´52´´
Christoph Korn, der Hauptkomponist dieser Bearbeitung, beabsichtigte eine
unmittelbar bildhafte Musikalisierung des Liedinhalts. Zu einem solch plakativen
Verfahren hatten ihn Kinderliederbücher angeregt. Dort werden die Liedtexte
durch einfache Bilder veranschaulicht: man sieht den Maikäfer, den Krieg,
das Pommerland. Die ganz unmittelbare Widerspiegelung der Worte in den Bildern übertrug
Christoph Korn aufs Musikalische. Das Lied wird vollständig gesungen,
und jeder Zeile ist ein dementsprechend bildhaftes Sample zugeordnet. Es
beginnt mit dem Summen des Käfers:
Musik 7b bis 0´16´´
Der Krieg wird akustisch abgebildet durch den Schrei eines sterbenden Soldaten
während der Schlacht. Christoph Korn entnahm das Geräusch dem Kriegsfilm "Die
Wildgänse kommen". Im Gegensatz zum Käfersummen ist dieses
Geräusch verfremdet; es ist stark komprimiert und außerdem mittels
eines Verzerrer-Plug-Ins des Computerprogramms bearbeitet.
Musik 7c 0´17´´ bis 0´24´´
Ein kurzer Augenblick Vogelgesang symbolisiert das Pommerland und, da es
ja abgebrannt ist, folgen einige Sekunden Stille. Obwohl nichts klingt, wird
diese Stille als akustisches Sample empfunden, als eine gewissermaßen
sprechende Stille.
Musik 7d 0´23´´ bis 0´41´´
Am Schluß wird dann, wie bei einer Reprise, der Anfang wieder aufgegriffen:
Mit dem Summen des Käfers beginnt und endet das kurze Stück.
Musik 7e Maikäfer flieg, ganz --- 0´52´´
Obwohl die Geräusche in dieser Liedvertonung sehr realistisch klingen,
sind sie nach streng musikalischen Prinzipien gesetzt. Die Begleitgeräusche
folgen dem Rhythmus, der durch die Liedmelodie vorgegeben wird. Sie füllen
als kurze Einschübe die Atempausen des Gesangs, oder sie klingen im
Metrum des Taktes, in dem zum Beispiel das Käfersummen an- und abschwillt.
Diese minutiös kalkulierte und zugleich bildhafte Vertonung dient der
Spiegelung und Interpretation des Liedinhaltes. "Maikäfer flieg" stammt
aus dem 30jährigen Krieg. Dessen Schrecken werden beklagt und gegen
die verloren gegangene Idylle des Friedens gestellt. Die sehr reduktive Methode
der Vertonung entreißt das Lied seinem behüteten Kontext als Kinderlied
und läßt über die grausame Realität reflektieren.
Die einzelnen Bestandteile der Liedvertonung, die Samples, transportieren
sehr klare Inhalte. Diese semantische Komponente gehört zum Wesen des
Samples, auch wenn seine Bedeutung nicht immer so deutlich zu lesen ist wie
bei der Vertonung von "Maikäfer flieg". Denn ein Sample ist
ein Klangbruchstück, das einem bestimmten Zusammenhang entnommen worden
ist und die Bedeutungsebene dieses Zusammenhangs in sich trägt. Beim
Komponieren kann mit diesen Bedeutungen jongliert werden.
Sprecher
Mich interessiert der Gebrauch des Samples als Haltung. Es gibt eine kompositorische
Haltung, die sich durch den schnellen Zugriff auf unterschiedlichste Materialien
definiert, schreibt der Frankfurter Komponist Heiner Goebbels in einem Aufsatz
mit dem Titel "Das Sample als Zeichen zwischen Klischee und Gedächtnis".
Heiner Goebbels betrachtet das Hantieren mit Samples als symptomatisch für
den aktuellen Umgang mit Musik, die heute ohnehin nicht mehr als eine originale
komponiert werden könne:
Sprecher
Musik erscheint uns vor allem als Transformation anderer, vorgängiger
Musik, ist nicht mehr Medium individueller Artikulation, sondern eine von
den Instanzen unserer musikalischen Sozialisation uns längst zugesprochene
Ordnung: der Komponist ist nicht mehr der Erfinder, der Herr seiner Klänge,
vielmehr dominieren diese das komponierende Subjekt, weil sie immer schon
vorher sind. Das "Eigene" kann sich nunmehr nur durch Verschiebungen
artikulieren.
Mit solchen Verschiebungen arbeiten Oliver Augst, Marcel Daemgen und Christoph
Korn. Sie betonen, karikieren oder verzerren die von den Samples transportierten
Bedeutungen, durch Bearbeitung und durch Kombination mit anderen Samples.
Und nicht selten wird Fragmentarisches zum Träger des Ganzen, wie bei
der Neuvertonung von Beethovens "Freude schöner Götterfunken".
8. O-Ton Korn --- 0´44´´
korn - Das taucht manchmal wirklich nur als Fragment auf, bleibt von einem
ganz Lied vielleicht nur noch ein Satz übrig, bei Freude bleiben wirklich
noch nur ersten zwei Zeilen übrig, wurde nicht für nötig befunden,
das ganze Lied abzusingen, sondern das taucht irgendwo auf, und mit diesem
Einzelnen ist dieses ganze Ding präsent, das steckt im Volkslied drin,
daß wenn man einen Begriff nennt, der Begriff fürs Ganze steht,
weil ihn alle kennen und dann mit individueller Erfahrung verbinden, es gibt
diese beiden Pole, wirklich nur das Sample, der Verweis aufs Ganze, bis hin
zur klassischen Liedbearbeitung.
Musik 8a - 9 Freude schöner Götterfunken anspielen 1´16´´ bis
2´15´´
Die Liedmelodie "Freude schöner Götterfunken" erklingt
leise, in der Klangqualität bewußt verschlechtert und durch einen
Vorhang aus Geräuschen verunklart. Plötzlich jedoch ist Text zu
hören, der nicht aus Beethovens Vertonung von Schillers Ode stammt,
akustisch aber im Vordergrund steht und dadurch viel näher, präsenter,
bedrohlicher wirkt. Militärische Begriffe kleben am Geräuschband,
klanglich verzerrt, als seien sie durch ein defektes Megaphon gesprochen. Ähnliches
gilt für Textausschnitte aus dem Lied "Auf einem Baum ein Kuckuck
saß", die im letzten Teil der Vertonung hinzutreten. Alle diese
Texte erscheinen nur fragmentarisch, zwei Zeilen der Ode, zwei Zeilen des
Volkslieds sowie ein paar Worte aus einem umfangreichen militaristischen
Begriffsrepertoire.
Durch die unterschiedliche Präsenz und Intensität der drei Textgruppen
transportieren sie je unterschiedliche Aspekte des historisch geprägten
Assoziationsfeldes der Schillerschen Ode: Wenn Beethovens Vertonung sich
nur mühsam durch den Geräuschvorhang arbeitet, so stellt das ihre
aufklärerische Symbolik in Frage: "Freude schöner Götterfunken" ist
durch die Kulturindustrie längst zum Konsumgut umfunktioniert worden.
Die anderen, stärker im Vordergrund klingenden Texte evozieren Gegenbilder
zur "Ode an die Freude", Kriegsgebärden und autoritäre
Gesten, wie sie dem Kampf um Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit
von der französischen Revolution bis heute entgegenstehen.
9. O-Ton Korn – 1´25´´
korn - Ich selbst komme mir manchmal vor wie ein Hermeneutiker, Übersetzer,
Archäologe, wenn man vom Begriff Übersetzer ausgeht, kürzlich
habe ich gearbeitet zum Hohen Lied Salomos, ist etliche Male übersetzt
worden, je nachdem welcher Übersetzer an den hebräischen Ur-Text
herangegangen ist, hat er andere Dinge archäologisch hervorgebracht,
zum Schimmern gebracht, eigentlich ist es sehr reizvolle Aufgabe, genau das,
was eigentlich jeder kennt, noch einmal so zu formulieren, oder anders zu
formulieren, daß es wieder formulierbar wird, etwas darin Aufbewahrtes
noch einmal zu formulieren und nochmal sagen zu können, daß es
nicht der hunderttausendste Abklatsch eines schon Gesagten ist, oder aber
ein politisches Interesse auch zum Beispiel "Freude schöner Götterfunken" auszuwählen,
was ja eigentlich ein Kunstlied ist sozusagen, aber immer wieder benutzt
wurde, um so was wie Nation zu beschwören über die geschichtlichen
Epochen hinweg, also ein Dokument der Aufklärung eigentlich, zuletzt
erklangs ja bei der deutschen Wiedervereinigung, da hieß es dann nicht
Freude, sondern "Freiheit schöner Götterfunken", also
dieses Hymnische und der Gebrauch dieses Liedes hat uns auch interessiert,
deshalb ist es beispielsweise dementsprechend bearbeitet worden.
Musik 8b 9 Freude schöner Götterfunken --- 4´25´´
Die Vertonung der "Ode an die Freude" folgt in ihrer Struktur
nicht den gewohnten volksliedhaften Formen und Klischees. Das Stück
besitzt keinen erkennbaren Beat, ebensowenig eine irgendwie durchgängige
Melodie oder eine wie bruchstückhaft auch immer vorhandene Harmonik,
die auf eine Art Liedform verwiese. Es ist das experimentellste Stück
auf der CD "An den deutschen Mond" und dem Popmusik-Kontext recht
fern, den Oliver Augst, Marcel Daemgen und Christoph Korn ihren Volksliedbearbeitungen
zugrundegelegt haben.
10. O-Ton Daemgen --- 0´50´´
daemgen - Schwerpunktmäßig kommt dann am Ende was raus was, ich
als im weitesten Sinne als Popmusik bezeichnen würde, aber schon sehr
weit gefaßt der Begriff Popmusik, da es ja doch mit Beats zu tun hat,
ist ja im weitesten Sinne Viervierteltakt bei den Volksliedern, also man
muß da gar nicht viel tun, um da keine Popmusik zu machen, und eben
auch bei "Maria durch ein´ Dornwald" ging ist ein Beispiel,
wo ich finde, es hat am ehesten Anleihen an der Popmusik, auch von der ganzen
Anlage her, und trotzdem kommen da überwiegend Noise-Klänge vor,
also eben keine harmonisch klingenden, also Geräusche, rhythmische Geräusche,
das Gegenteil wäre "Freude schöner Götterfunken",
was fast ausschließlich aus Noise besteht, wo man nur die Melodie erkennt,
die da irgendwo zwischen diesen Noisepartikeln, zwischen dieser Noisewand
heraus erkennbar ist.
Der Bereich Popmusik überschneidet sich durchaus mit der Volksmusik,
zu der das Volkslied gehört. Begrifflich leitet sich Pop von "popular" her,
was ursprünglich vom lateinischen "Populus", das Volk, kommt.
Musikalisch sind viele Ähnlichkeiten auszumachen, denn in beiden Bereichen
herrschen Strophenliedformen vor. Schließlich gibt es soziologische
Parallelen; Popmusik versteht sich wie Volksmusik als Gegenpol zur Hochkultur,
und viele "Popsongs" sind mittlerweile genauso allgemein verbreitet
wie Volkslieder.
Jedoch ist Popmusik ein heute sehr viel breiterer Begriff als noch vor zehn
oder fünfzehn Jahren. Einbezug von Störgeräuschen, auch
in rein kommerziellen Produktionen, spielerisch ironischer Umgang mit sehr
unterschiedlichem Material und ausgiebige Arbeit mit Samples kennzeichnet
viele, vor allem experimentelle Bereiche des Pop. Diesem experimentellen
Feld stehen Oliver Augst, Marcel Daemgen und Christoph Korn nahe und verbinden
die dort zu beobachtende Offenheit dem Material gegenüber mit einem
strukturell kompositorischen Denken. Durch raffiniertes Jonglieren zwischen
vertrauten Klischees und geräuschhaften Verfremdungen beispielsweise
wird der Popsong-Charakter bei der Vertonung von "Maria durch ein´ Dornwald
ging" auf sehr subtile Weise reflektiert und verfremdet.
Musik 9 - 3 Maria durch ein´ Dornwald ging --- 3´03´´
Sie hörten den ersten Teil des Musikforums mit Neubearbeitungen
deutschsprachiger Volkslieder für zwei Stimmen, Elektronik und Sampler
von und mit Oliver Augst, Marcel Daemgen und Christoph Korn. Am Mikrofon
war Hanno Ehrler. Es folgen die Nachrichten.
Teil 2
Am Mikrofon ist Hanno Ehrler. Wir setzen nun das Musikforum unter dem
Motto "Revised German Folksongs" fort, mit den Neubearbeitungen
deutschsprachiger Volkslieder für zwei Stimmen, Elektronik und Sampler
von und mit Oliver Augst, Marcel Daemgen und Christoph Korn.
Musik 10 - 13 Ich stand auf hohem Berge --- 4´24´´
11. O-Ton Augst --- 0´42´´
augst - In dem Verfahren kann es durchaus vorkommen, daß man sagt,
man lädt Musiker ins Studio ein und sagt, versuch doch mal über
die Melodie zu improvisieren, dann kann man mal schauen, ob man damit was
anfangen kann, nicht in dem Sinne, daß etwas fertig erklingt aus einer
Session entstanden ist und das lassen wir dann so, das ist es überhaupt
nicht, es ist genau das Gegenteil davon, es ist wirklich jeder Fuzzel bis
aufs letzte überprüft und hin- und hergeschoben, und gerade dadurch
entsteht die eigenartige Künstlichkeit, die wir versucht haben aufs
Extremste herauszuarbeiten.
Die Volksliedbearbeitungen von Oliver Augst, Marcel Daemgen und Christoph
Korn sind Kompositionen im klassischen Sinn des Begriffs, vergleichbar den
Werken der E-Musik. Jedes Detail der Bearbeitungen unterliegt einer strengen
Materialauswahl, und jedes Stück folgt einer musikalischen Konzeption,
einem Strukturplan, der seine musikalische Form bestimmt und nach dessen
Maßgabe die Materialbruchstücke aneinandergereiht und geschichtet
werden.
Das Kompositions-Verfahren von Augst, Daemgen und Korn gleicht allerdings
nicht dem traditionellen Partiturenschreiben, denn es bewegt sich im Raum
elektronisch produzierter beziehungsweise aufgenommener Klänge. Es setzt
Audiotechnologie voraus und greift auf Methoden aus der elektronischen Musik
zurück. Dort entstehen Klangmaterialien und fertige Stücke durch
Klangerforschung und -entwicklung, dort wird mit Sample-Technik und Klangcollage
gearbeitet. Nah verwandt ist das Verfahren von Augst, Daemgen und Korn vor
allem den Kompositionstechniken der musique concrète, die unmittelbar
nach dem zweiten Weltkrieg entstand. Auf ähnliche Weise wie die drei
Musiker, damals allerdings technisch wesentlich eingeschränkter, montierten
Komponisten wie Pierre Schaeffer, Pierre Henry oder Luc Ferrari Musikstücke
aus geschnittenen und bearbeiteten Umweltaufnahmen.
12. O-Ton Augst--- 0´56´´
augst - Man muß da versuchen anknüpfen beim Tonbandschnipsel,
sind in der musique concrète ja nur kleine Elemente aufgenommen und
dann
zusammengefahren, im Prinzip würde ja niemand den leisesten Zweifel
hegen, von Komposition zu sprechen, wir machen das eigentlich ganz genauso,
es gibt Rohmaterialien, Fragmente, O-Töne, analog generierte Klänge,
die dann in nem relativ komplexen und langwierigen Verfahren zusammengebaut
werden, immer wieder abgecheckt mit den Kollegen, kann man das so stehen
lassen, so haben wir diese Stücke untereinander aufgeteilt, nachdem
die Auswahl feststand, verschwinden die einzelnen Produzenten in ihren kleinen
eigenen Räumen, und machen das erstmal so, und dann gibt’s diese
Gruppentreffen, da wird besprochen, verworfen und so weiter.
Musik 11 8 Ach in Trauer --- 2´06´´
Auch die Klangeigenschaften der Materialbruchstücke, der Geräusche
und der synthetischen wie natürlichen Klänge, unterliegen dem strengen
kompositorischen Zugriff. Sie können beliebig manipuliert und verfremdet
werden. Große Aufmerksamkeit widmeten Oliver Augst, Marcel Daemgen
und Christoph Korn dabei der Klangcharakteristik des Gesangs, ein zentraler
Bestandteil der Volksliedbearbeitungen, denn hauptsächlich er transportiert
die inhaltlichen und die musikalischen Bezüge zum Volkslied.
Die Aufnahmen der Singstimmen sind klanglich ausgefeilt, meist sehr behutsam
und wenig auffällig, gleichwohl bedeutsam für das kompositorische
Ergebnis. Sie erklingen entweder in fein abgestuften Graden von Präsenz,
Nähe und Klarheit, oder sie wirken ein wenig ferner, leicht distanziert
durch etwas Hall oder durch ihr Verhältnis zu den anderen Klangmaterialien.
Gelegentlich allerdings sind die Manipulationen der Stimme extrem, wie bei
den Bearbeitungen "Freude schöner Götterfunken" und "Drei
Gäns im Haberstroh". Hier gingen die Musiker vom E-Gitarrensound
aus, dessen Klangcharakteristik durch Verzerrer erweitert und gesteuert wird.
Dieser Verzerrer, beziehungsweise ein der Funktion entsprechendes Plug-In
fürs Computerprogramm, findet besonders im Lied "Drei Gäns
im Haberstroh" Anwendung. Die Manipulation belädt den Gesang mit
einer aufstörerischen Rohheit. Außerdem fügen sich zur kratzigen,
wie mit Sandpapier aufgerauhten Charakteristik der Stimme sehr grob und heftig
angerissene Gitarrenklänge.
Musik 12 14 Drei Gäns im Haberstroh --- 1´54´´
Mit einer solchen Klangarbeit setzen Oliver Augst, Marcel Daemgen und Christoph
Korn Kontraste zu den musikalischen Klischees, mit denen das Volkslied behaftet
ist und die seine Identität ausmachen. Das Geräusch bildet einen
Kontrapunkt zu den einfachen Harmonien und schönen Melodien,
so daß dem anheimelnd Vertrauten ein befremdender Effekt gegenüber
steht, selbst in Liedern wie "Ich stand auf hohem Berge" oder "Maria
durch ein´ Dornwald ging", die sich in ihrer formalen Anlage im
Rahmen der gewohnten Formen der Popmusik bewegen. Im Spiegel der Geräusche
erscheinen die rhythmischen und harmonischen Klischees der Lieder aus einer
anderen Perspektive. Inhaltliche Aspekte werden dadurch unterstrichen und
interpretiert, und auch das rein Musikalische erscheint in ungewöhnlichem
Licht, gebrochen, in Frage gestellt und gelegentlich ironisiert.
Unvermittelt beispielsweise prallen konventionelle Klangelemente, Geräusche
und melodischer Gesang, bei der Vertonung von "Der Mond
ist aufgegangen" aufeinander. Die einem Jeden bekannte Melodie erscheint
hier durch Pausen gestreckt und zerfasert, mit Stille durchlöchert und
durch Nachhalleffekte verwaschen, schließlich, im zweiten Teil der
Vertonung, von dominierenden Bässen in den Hintergrund gedrängt.
Musik 13 6 Der Mond ist aufgegangen --- 5´51´´
Oliver Augst, Marcel Daemgen und Christoph Korn arbeiten nicht nur als Komponisten,
sondern sie produzieren auch Hörspiele und veranstalten Performances,
Improvisationen und Diskussionsrunden. Als Gruppe, zu der auch die Schauspielerin
Michaela Ehinger gehört, nennen sich die Künstler "arbeit".
Mit verschiedenen Mitteln bearbeitet die Gruppe einen je
größeren
Themenkomplex und formt ihn in verschiedenen Medien aus. So entstand das Konzeptalbum
"Reiseradio", die künstlerische
Dokumentation eines medienkritischen Kunstradio-Projekts, und 1998 ein "Brecht-Eisler-Projekt" als
Theaterproduktion und CD-Veröffentlichung.
Die CD "An den deutschen Mond" mit den vierzehn neu vertonten
Volksliedern gehört zu einem Themenbereich, den die Gruppe mit dem Begriff "Heimat" umfaßt.
Zum Projekt "Heimat" gehören neben der CD eine Theater-Performance
und ein Internet-Hörspiel, das ab März 2002 im Netz stehen und
in Teilen auch über den Rundfunk ausgestrahlt werden wird. Dieses Hörspiel
ist eine reine Textarbeit, die auf der Recherche zum Volkslied basiert. Die
gesprochenen und gesungenen Texte erscheinen geschnitten und behutsam bearbeitet,
mit Lautstärkevariationen und leichten Verzerrungen.
13. O-Ton Korn/Augst --- 1´07´´
korn - Ein Audioarchiv wird das sein, auf das eine von uns
vorprogrammierte Software zugreift und quasi über einen Monat hinweg
im Internet auf der hr2-Page einhörbar ist und jeden Tag wird 10 Minuten
in diese Volksliedmaschine hineingeschaltet, wenn man so will ne Medienarbeit
im weitesten Sinne, der Server beherbergt eine große Vielzahl von Stimmen,
Gesangsfragmente, ganze Strophen, Sprachfragmente, die von drei Männer
und drei Frauen eingesprochen eingesungen wurden, von uns geschnitten, ausgewählt,
auf die Festplatte, und das ist der Kern der Sache, durch die Software entsteht
dann die Komposition, die von uns nicht kontrollierbar ist ab einem gewissen
Punkt, das ist dann die Qualität von sowas eben, eine Maschine die das
Hörspiel über einen Monat hinweg zusammensetzt, was wir gar nicht
leisten könnten.
Als drittes Element des Themenkomplexes "Heimat" inszenierten
Oliver
Augst, Marcel Daemgen, Michaela Ehinger und Christoph Korn eine
Bühnen-Performance, die im April 2001 im Theaterhaus Frankfurt aufgeführt
wurde.
14. O-Ton Ehinger --- 1´15´´
ehinger - Dem voraus geht die Beschäftigung der drei Musiker mit den
Volkslieder, Begriff der sozusagen die Volkslieder umschließt ist die
Heimat, wir sind dadurch auf diesen Begriff gekommen, Heimat heißt
in der
Perspektive, in der wir versuchen, ihn zu untersuchen, persönliche
Betrachtung, das Herausgreifen von Begriffen, die Assoziationen zu Heimat
ermöglichen, auch ganz persönliche Betrachtungen, Fragmente aus
Volksliedern, das führt dazu, daß man diesen Begriff, der eben
nicht
glänzend und klar ist in unserer Kultur, in seiner Brüchigkeit
versucht zu
erfassen, es ist interessant, die kleinen Mosaikstücke zu entdecken,
auf
der Suche, was kann denn Heimat sein, für einen, der 2001 lebt und eine
Geschichte hat, die 30 oder 40 Jahre alt ist, was werden da für Bilder
lebendig, und welche Bilder kommen aus ner anderen Zeit zu uns herüber,
aus unserer Geschichte, die noch son Anklang von Heimat bedeuten, wo ein
Fragezeichen auftaucht, ein Widerwille, oder wo man ne Schönheit erahnt,
die man selber nicht mehr erlebt.
Auch bei der Performance war die Textarbeit die Basis. Texte wurden
teilweise visuell vermittelt, durch hochgehaltene Tafeln, vor allem aber
rezitiert, gesprochen, gesungen, erzählt. Alle berührten sie in
irgendeiner Form das Thema "Heimat".
15. O-Ton Ehinger --- 0´38´´
ehinger - Also ich habe versucht vor allen Dingen in Tagebücher von
SchriftstellerInnen Material zu suchen, Tagebücher deswegen, weil das
eine subjektive Betrachtung immer noch fokussiert, es gibt aber auch Elemente
aus Lyrik und Monologen darin, ist ne ganze Textsammlung entstanden, und
innerhalb eines Abends, der improvisiert ist, wird immer nur Teil dessen
hörbar werden, da gibt’s nen Berg von Material, kann man unmöglich
an einem Abend unterbringen, will ja auch keiner, aber natürlich ist
es textlastiger als die Cd-Produktion.
Musik 14 Performance 1 Freude schöner Götterfunken --- 3´14´´
Bei der Performance im Frankfurter Theaterhaus floß Klangmaterial ein,
das die Gruppe für die Volksliedbearbeitungen gesucht und entwickelt
hatte: Melodien wie Beethovens "Freude schöner Götterfunken" erschienen
dort genauso verzerrt wie auf der Volkslied-CD, und die mit Mischpulten
erzeugten Geräusche glichen denen, die dann als Begleitsounds in den
komponierten Liedbearbeitungen verwendet wurden. Im live-Kontext setzten
die Musiker dieses Material allerdings improvisatorisch ein.
16. O-Ton --- 0´50´´
korn - Wir arbeiten ganz und gar nicht in diesem strengen Sinne, wie wir
bei der Volkslied-CD arbeiten, daß wir wirklich unter strengen kompositorischen
Gesichtspunkten Dinge handhaben, sondern wie gesagt, das
ist improvisatorisch, Zugang ist, daß wir diese Elemente jeder von
uns sehr individuell sich aus diesem Spracharchiv gesampelt hat wenn man
so will, und die werden tatsächlich im live-Geschehen improvisatorisch
interagiert, da haben wir unser Setup, dieses Setup besteht aus elektronischen
Instrumenten, Gitarren, Megaphonen, Verstärkeranlagen, einen Sampler
hat der Marcel auch dabei, ich weiß zum Beispiel jetzt
noch nicht was ich in einer Stunde tatsächlich davon auch benutze und
wie ich
mein Setup benutze und welchen Klang ich hervorhole, das ist wirklich ganz
offen.
Dabei konnte es durchaus geschehen, daß ein kompositorisches Konzept,
das für ein Stück bereits erdacht war, durch die Aktion eines Spielers
initiiert und dann im Sinne des Konzepts ausgeformt wurden, etwa beim
Volkslied "Auf einem Baum ein Kuckuck saß". Oliver Augst
begann dieses Lied durch ein Megaphon zu singen, und die anderen Performer
fielen mit der Begleitung ein.
Musik 15 Performance Auf einem Baum ein Kuckuck saß --- 2´01´´
Geräuschhafte Figuren bilden hier eine verzerrte Harmonik, die den Gesang
begleitet. Charakteristische Pausen mit völliger Stille strukturieren
den Textverlauf, und eine ironisch prononcierte Kadenz auf der E-Gitarre
beschließt
das Stück. In der komponierten Bearbeitung auf der
CD finden sich all diese Elemente wieder, nur aufs höchste verfeinert
und präzisiert. Im live-Kontext etwa hing die Länge der Stille-Pausen
von der Publikumsreaktion ab, von der ganz situationsbezogenen Spannung.
Außerdem flossen Textfragmente ein, die nicht zum Lied gehören.
Bei der CD-Produktion hingegen sind die Pausen beziehungsweise die Zeitstrukturen
des Stücks genau auskomponiert, und einige Details erscheinen in
veränderter Form, vor allem der Gesang. Er tönt nicht durchs Megaphon,
sondern erklingt direkt und sehr präsent an der Klangoberfläche.
Musik 16 2 Auf einem Baum ein Kuckuck --- 1´42´´
Mit dem Thema "Heimat" inszenierte die Gruppe "arbeit " in
Form von Hörspiel, Performance und CD keine sentimentale oder gar reaktionäre
Rückschau
auf vermeintlich verlorengegangene Werte, im Gegenteil. Die vier Künstler
betonen die Vielschichtigkeit und die Brüchigkeit des
Begriffs, indem sie versuchen, den Bedeutungsrahmen von "Heimat" mitsamt
seinenhistorischen und aktuellen Aspekten abzuschreiten, zu erforschen und
zu durchleuchten. Einige Texte berühren brisante Fragen nach Fremde
und Fremden, nach dunklen Seiten der deutschen Vergangenheit, nach individuellen
Erfahrungsmomenten sowie anerzogenen und eingeschliffenen Konventionen.
In der Performance treten diese Elemente, die auf der CD präzise komponiert
sind, zufällig zusammen, allerdings ohne daß das Moment
der Improvisation die mehrperspektivische und kritische Reflektion des Thema
mindern oder untergraben würde. Das sorgfältige Feilen am textlichen
und musikalischen Material, die Musikalisierung von Geräuschen, die
Klangmanipulationen von Vertrautem und die inhaltliche Aufladung von Samples
hat den Text- und Klangbausteinen ein reflektierendes Moment aufgeprägt.
Selbst die sanfte, scheinbar affirmative Vertonung von "Der Winter ist
vergangen" transportiert trotz aller Eingängigkeit eine
subtil reflexive Haltung dem Thema gegenüber.
Musik 17 10 Der Winter ist vergangen --- 4´29´´
Unter dem Motto "Revised German Folksongs" hörten Sie Neubearbeitungen
deutschsprachiger Volkslieder für zwei Stimmen, Elektronik und Sampler
mit dem Frankfurter Künstler-Kollektiv "Arbeit". Konzeption,
Komposition und Realisation: Oliver Augst, Marcel Daemgen und Christoph Korn.
Die Gesangs- und Instrumentalaufnahmen mit den Sängern Alexandra Maxeiner
und Oliver Augst sowie dem Cellisten Frank Cox entstanden im Sommer vergangenen
Jahres im Kölner Deutschlandfunk.
Ton und Technik der Aufnahmen: Susanne Friedrich und Hans-Martin Renz.
Unter dem Titel "An den deutschen Mond" erscheinen die vorgestellten
Aufnahmen dieser Tage auf CD, beim Frankfurter Klein-Label "TEXTxtnd".
Label-Kontakt per Telefon und Fax: 069/86009871.
In unserer Reihe Musikforum hörten Sie eine Sendung von Hanno Ehrler.
Die
Redaktion hatte Frank Kämpfer.
E N D E
CD Information / Titel
Booklet-Text
mehr Presse
Radio-Feature / DLR
Notizen zum "Volkslied"
Kommentare zur CD
Bild
Titelauswahl hören
Live 2006
CD-Bestellungen