AN DEN DEUTSCHEN
MOND / ARBEIT / CD / 2001
Booklet-Text:
Erwünschte Rückkopplungen
Frank Kämpfer (DeutschlandRadio)
Unaufdringlich und zugleich beinahe distanzlos tasten die zwei Stimmen sich
vor. Die der Frau gilt dem Kindlein am Herzen und der Verwandlung der Dornen,
die des Mannes dem Jäger, der dunklen Wolke und der überstandenen
Zeit. "Vibrierende Intensität": Unvermittelt ein Zögern,
unvermittelt der Einschlag von Lärm. Dann wieder glättet ein Synthesizerakkord
und trägt beider Sprechgesang fort wie im Flug. Der Sound wechselt,
Techno-Rhythmen kommen ins Spiel, die rückkoppelnde Elektrogitarre,
verzerrte Stimmen, gestörter Radioempfang. Bedeutsam wird das Geräusch,
es bricht in Leerstellen ein und spricht - nonverbal - vormals Verschwiegenes
an.
Oliver Augst, Christoph Korn und Marcel Daemgen aus Frankfurt/Main interessiert
nicht die Pflege und Wiederbelebung des Volksliedersingens, sondern die im
Genre aufbewahrte kollektive Erfahrung und deren persönlich-utopischer
Mitteilungswert. Ihr Zugang ist unsystematisch, das subjektive Interesse
bestimmt die Titelauswahl. Kernpunkt der Beschäftigung ist die Bearbeitung
aus eigener Hand. Stete Variation, die ursprüngliche Existenz- und Überlieferungsform
des Volkslieds, legitimiert dazu. Die heutige Praxis der "Variation" ist
für die drei Arrangeure die Form des "remix", die das historische
Material mit moderner Zeit- und Medien-Erfahrung verschweißt.
Der künstlerische Zugang rührt aus einem sozialkritischen Gegenwartsblick
und aus sehr verschiedenen Musiziererfahrungen: Christoph Korn studierte
Politologie, Soziologie und Philosophie. Neben seiner Konzerttätigkeit
entstanden zahlreiche Kompositionen für verschiedene Besetzungen, audio
art-Arbeiten, Sprechstücke, hermeneutische Aktionen, Filmmusiken, Texte.
Vokalist Oliver Augst versteht sich als Performer, Komponist und Bühnenbildner.
Marcel Daemgen hat eine klassische Musikausbildung mit Schwerpunkt Klavier
und Studiotechnik, ist Komponist, Produzent und Live-Musiker in den Bereichen
Elektronik-, Noise- und Popmusik.
In bewußt unakademischem Zugang geht all dies ästhetisch zusammen.
Collagen, überraschende Tempi, Pausen, Störungen und sperrige Formen
bergen und leisten Widerstand gegen Beliebigkeit und Nostalgie. Ein Lied
aus dem Dreißigjährigen Krieg und ein Song von Eisler bilden die
historischen Pole; unverbrauchte, zum Teil vergessene Titel wechseln mit
Hits, deren Botschaft in neuer Gestalt anzurühren und/oder aufzustören
vermag.
In der Arbeit des Künstlerkollektivs Augst, Daemgen und Korn hat das
Volkslied-Projekt zwei wichtige Vorläufer. Es handelt es sich um das
1999 beim eigenen Label TEXTxtnd erschienene Konzeptalbum "Reiseradio" und
um das 1998 realisierte Brecht-Eisler-Projekt. "Reiseradio" verstand
sich als künstlerische Dokumentation eines medienkritischen Kunstradio-Projekts,
das Performer verschiedener Sparten in mehreren europäischen Städten
realisierten. Die Erfahrung gestörter Frequenzen und medialer Entleerung,
die auch auf vorliegender Platte gelegentlich Kunstmittel ist, fand dabei
eine neue ästhetische Form. Der Versuch, Brecht und Eisler aus historisch überholten
Darbietungsweisen zu lösen, ist für das Volkslied-Projekt in mehrerlei
Hinsicht als gelungener Testlauf zu sehen. Denn hierher rührt der Grenzgang
zwischen avanciertem Pop und akustischer Kunst, hier begann das verändernde
Bewahren von Früherem aus einer "Jetzt-Position".
Dokumentiert ist die Beschäftigung mit den zwei Schlüsselfiguren
politisierender Kunst in Gestalt einer Bühnenarbeit, einer TV-Produktion,
eines Hörspiels und einer konzeptuellen CD. Auch das Volkslied-Projekt
ist ähnlich mehrgleisig angelegt. Hierzu gehören das "electronic
music theatre 'heimat'" sowie die "Volksliedmaschine", eine
Audioarbeit im Auftrag des Hessischen Rundfunks und der Medienkunst-Biennale "Intermedium
2" (ZKM Karlsruhe), die sich als selbst generierendes Hörspiel
versteht. Vorliegende Audio-CD "An den deutschen Mond" entstand
gleichfalls in Zusammenarbeit mit dem Hörfunk. Die Gesangs- und Instrumentalaufnahmen
wurden in Co-Produktion mit dem DeutschlandRadio im August 2000 im Mehrzweckkomplex
des Funkhauses Köln realisiert. Bearbeitet und gemischt wurde in mehreren
Schritten in den Studios von Augst, Daemgen und Korn.
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