MARX / ARBEIT
/ CD / 2004
Arbeit, Marx - Feature Radio Z, Nürnberg:
Grob, 2004 - 15 tracks, 53 Min.
Drücken wirs mal so aus: Begriffe wie sozial und Gerechtigkeit gehen
heute in der populären veröffentlichten Meinung nur noch unter
Jaulen und Zähnefletschen zusammen. (Ausser beim Papst-Nachruf natürlich).Wer
sich auf sie beruft, ist als vom Mantel der Geschichte überwogter Ewiggestriger
und sowieso Herzjesu-Marxist ins Schmuddeleckchen gestellt, wenn er sich
nicht selbst bereits als Angehöriger einer Minderheit definiert hat.
Ein Fall für die Archäologie, denn die Pathologie hat da schon
nix mehr auszurichten.
Speziell in Deutschland gab es ja neben dem kapitalistischen Teil eine Zeitlang
ein Territorium, das zumindest dem Buchstaben nach sich auf eine Verbindung
dieser beiden Begriffe gründete. Inwieweit dieser Versuch zu teuer erkauft
war, in welcher Hinsicht auch immer, steht auf einem anderen Blatt. Eine
nostalgische Phantasmagorie ist geblieben, der antikapitalistische Impetus
der Gründung versenkt. Melodiefetzen von dort wehen noch manchmal vorbei.
Es scheint längst müssig, dem eine Relevanz abgewinnen zu wollen,
die über ein eskapistisches Interesse hinausgeht. Doch genau dieser
Mühe hat sich das Frankfurter Trio "arbeit" unterzogen.
"arbeit" sind Oliver Augst, Marcel Daemgen und Christoph Korn.
Ihre CD heisst MARX, und ist als Auftragsarbeit des DeutschlandRadios entstanden.
Mitbeteiligt waren Thomas Dészy und Alexandra Maxeiner. Zuvor hatte
sich "arbeit" mit Liedern Eislers aus dem Exil beschäftigt
und mit zeitgenössischen Zurichtung deutscher Volkslieder in aller ihnen
innewohnenden Melange aus Innigkeit und Schrecken. Die daraus gewonnenen
Erfahrungen eignen sich bestens, dem historisch gewordenen sog. Arbeiterkampflied
vor allem Eislers jenseits aller verklärenden Gefühligkeit zuleibe
zu rücken. Es war für mich unlängst ein beinahe schmerzlich
bewegendes Erlebnis, die Gruppe Commandantes mit roher Inbrunst Klassiker
des Klassenkampfs rocken zu hören, weil für mich recht erfahrbar
wurde, welche vergangene Epoche da unreflektiert, also unmarxistisch heraufbeschworen
wurde. Auch wenn's der Antifa-Jugend und Attila the Stockbroker gefallen
hatte. Die Versionen von "arbeit" würden ihnen wohl nicht
gefallen.
Es scheint allerdings, dass das Aktivierende mancher Eislerscher Tonfindungen
selbst noch in einer analytischen Interpretation einiges von seiner Wirkmächtigkeit
aufscheinen lässt. Augst, Daemgen, Korn, Dézsy und Maxeiner machen
sichs, uns und den Stücken nicht leicht. Die Mittel der Interpretation
sind einige akustische Instrumente wie Gitarre und Harfe, ferner Tasteninstrumente
und vor allem diverse Computertechnik. Elektronische Materialästhetik
mit ihren Collagetechniken schreddert förmlich das Material, schält
das Skelett von Textkorpus und Melodie heraus, wie sie ansonsten die Winde
des Zeitgeists herausgeschliffen haben. Einiges erinnert von seiner Klanggestalt
gar an die Versuche, per Radiowellen mit Toten zu kommunizieren.
Gleichzeitig ist allen politisch bewussten Menschen natürlich klar,
dass der Textgehalt in seinem Utopieverlangen zunehmend aktueller wird. Verabschiedet
hat sich freilich eine Theorie, die geeignet wäre, aus einzelnen Aktivitäten
einen schlüssigen Handlungsansatz abzuleiten. Durch Lieder lassen sich
heute keine Bündnisse mehr schmieden und Aktivitäten bündeln.
Schon mit der scheinhaften Verwirklichung einer Utopie war alles real vergossene,
besungene Blut zur Fassade geronnen.
Die reanimierten Arbeiterkampflieder verlieren sich aktualisiert in einem
Netz totaler elektronischer Kommunikaton, wo sie nicht nur fragmentiert,
sondern auch sporadisch mit anderem Material kurzgeschlossen werden: Shakespeare,
Hölderlin, Frantz Fanon. Das es so gekommen ist, kann mensch den Leuten
von "arbeit" am wenigsten zuschreiben. Ihr Standort freilich,
Frankfurt, Stadt des Geldes, liefert dazu eher einen ironischen Kommentar.
Die früheren Exegeten eines avantgardistisch interpretierten Eisler,
Heiner Goebels und Alfred Harth, kamen übrigens auch aus dieser Stadt.
Auch ihre Versionen hatten schon etwas von erratischen Fremdkörpern.
Die Sperrigkeit und technoide Fratzenhaftigkeit, die "arbeit" ihrem
Marx-Projekt gegeben haben, ist freilich auf einer anderen Ebene verortet.
Eine Transformation hat stattgefunden. Was nicht unter blossen Aspekten des
Denkmalsschutzes betrachtet oder angehört werden will, kann seinen Informationsgehalt
nurmehr verwandelt weiterführen.
Alles Naive wird von der Kulturindustrie rotationstauglich geschreddert und
es ist ziemlich erschreckend, was da durch die Walzen gezogen wurde und als
tauglich für einen Teilmassengeschmack ans Tageslicht kam. Diesen Versionen
historischer, aber nicht grundsätzlich überlebter Lieder wird das
kaum geschehen, um den Preis allerdings einer andersartigen Wirkungslosigkeit.
Ihre fragmentierte Klanggestalt, ihr sporadisches Abgleiten in die Tonlosigkeit
macht allenfalls etwas von dem Schmerz erfahrbar, den das Projekt des Kapitalismus
bei seiner umfassenden Verwirklichung freisetzt.
"arbeit" hat "Marx" bei Grob veröffentlicht, einer
der ersten Adressen elektronischer und improvisierter Musik. In gewisser
Hinsicht sind sie damit doch wieder an der falschen Adresse.
Anspieltips: Der heimliche Aufmarsch - Spartakuslied - Der kleine Trompeter-
Die Internationale - An den kleinen Radioapparat
Hans Plesch für ZORES auf Radio Z, 5.4.2005
CD Information / Titel
Booklet-Text
Label-Info von Felix Klopotek
Arbeit an Marx - Feature Deutschlandfunk
ARBEIT, Marx - Feature Radio Z, Nürnberg
mehr Presse
Bild
Videoclip "Der heimliche Aufmarsch"
youtube Kommentare
Live 2006
Titelauswahl hören
CD-Bestellungen