MARX / ARBEIT
/ CD / 2004
Arbeit an Marx - Feature Deutschlandfunk:
Deutschlandfunk
Redaktion Frank Kämpfer
Atelier neuer Musik / 22.05 Uhr
Samstag, den 08.11.2003
Arbeit an Marx
Remix: Gesänge der sozialistischen Arbeiterbewegung zwischen Klangkunst
und Pop
Oliver Augst, Stimme, Christoph Korn, Gitarren, Marcel Daemgen, Electronics,
Thomas Dézsy, Electronics, Alexandra Maxeiner, Stimme (Aufnahmen aus
dem DLF-Sendesaal vom Oktober 2002)
Hanno Ehrler
MUSIK 01
Arbeit: Auf auf zum Kampf
Oliver Augst, Stimme, Christoph Korn, Gitarren, Marcel Daemgen, Electronics,
Thomas Dézsy, Electronics
3´07´´
Das Lied „Auf auf zum Kampf“ stammt von August Bebel, dem bekennenden
Marxisten und Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
Die Gruppe „arbeit“ untermalt das Lied mit einem eingängigen
Popsound, wie ihn manche Liedermacher verwenden; und der Schlagzeugpart mit
seinen Trommeln klingt nach fahrenden Musikgruppen oder Straßenmusikern.
Dadurch weckt die Musik Assoziationen an Subkultur oder, marxistisch ausgedrückt,
an die unteren Klassen der Gesellschaft.
Von Beginn an jedoch wird der Popcharakter und mit ihm dieses Assoziationsfeld
subtil gebrochen. Dem Lied unterliegt ein elektronisch erzeugtes, mehrfach überlagertes
Echo der Gesangsstimme. Im zweiten Teil des Titels dann überwiegen solche
elektronischen Manipulationen. Statt des Solisten singt ein Chor, der mehr
und mehr verzerrt und dann langsam ausgeblendet wird. Es bleibt ein abstrakter
Synthesizerklang, ein Soundvorhang, durch den noch ein Fragment der Melodie
zu hören ist.
In ihrer Vertonung des August-Bebel-Liedes greift die Frankfurter Gruppe „arbeit“ Elemente
des Originals auf, die Melodie und auch die schlichte Form. Aber durch die
elektronische Bearbeitung wird die Schlichtheit dieser Elemente unterwandert
und schließlich verdrängt. Dabei bleibt der thematische Gehalt
des Liedes aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts, eine Apotheose des Arbeiterkampfs,
präsent. Er wird nach und nach in einen zeitgenössischen Klangkontext übertragen.
Anders die Vertonung des Gedichts „Die schlesischen Weber“ von
Heinrich Heine. Am Anfang und am Ende des kurzen Stücks erklingt eine
Klavierfloskel, so als öffne und schließe sich eine Tür.
Dazwischen wird der Text gesungen, auf eine schlichte, vom Klavier einstimmig
begleitete Melodie. Die leichte Klangverfremdung verleiht dem Ganzen Zitatcharakter.
MUSIK 02
Arbeit: Die schlesischen Weber
Oliver Augst, Stimme, Thomas Dézsy, Electronics
0´45´´
Diese beiden Lieder, „Auf auf zum Kampf“ und „Die schlesischen
Weber“, gehören zum Projekt „Arbeit an Marx“ des Frankfurter
Künstlerkollektivs Oliver Augst, Marcel Daemgen und Christoph Korn,
ergänzt um Thomas Dézsy und Alexandra Maxeiner.
O-Ton: Christoph Korn
Auf das Thema zu kommen, hat schon auch was mit der Zeit zu tun, in der wir
uns befinden, zu ner Zeit in der sozusagen wirklich die Systeme, die sich
auf den Marxismus-Leninismus berufen haben, zusammengepurzelt sind, taucht
das nicht nur bei uns auf wieder das Thema, sondern es ist ganz interessant
zu beobachten, daß auch in anderen künstlerischen Kontexten der
Marx wieder angepackt wird, was vor zehn Jahre nicht möglich gewesen
wäre, glaube ich, und bei Marx zeigt sich eben sozusagen dieses merkwürdige
ambivalente Verhältnis, das wir jetzt haben am Anfang des neuen Jahrtausends,
daß er a) zu einer Ikone geworden ist, ein Schweizer Bankenkonsortium
beispielsweise wirbt mit dem Bärtigen auf großen Plakaten, in
Kassel hab ich gesehen gibt's ein Fastfood-Restaurant, gabs den Marx-Burger,
hier in Wien grad um die Ecke, hab ich eine Collage gesehen, war Marx neben
Marylin Monroe abgebildet, und gleichzeitig hat er uns ein Werk hinterlassen,
daß eine Kritik formuliert hat an der kapitalistischen Produktionsweise,
einen utopischer Entwurf, der bis heute nirgends eingelöst wurde: 1´07´´
Die Auseinandersetzung der Gruppe „arbeit“ mit dem Thema Marx
bewegt sich direkt am Puls der Zeit. Denn das Künstlerkollektiv setzte
bei Phänomenen der Gegenwart an. Warum ist Marx heute ein Nostalgie-Phänomen?
Wie ist die Sicht auf den Philosophen und Historiker in der Nach-DDR-Zeit
und im grassierenden Neoliberalismus? Und welche Rolle spielt er überhaupt
noch in der politischen Diskussion? Solche Fragen, die politische und zugleich
historische sind, bildeten das theoretische Fundament für die Suche
der Musiker nach Texten und Liedern zum Thema.
O-Ton: Oliver Augst
Wir sind einerseits was Texte angeht bei assoziativem Material, nicht unbedingt
immer 1 zu 1 in Überschneidung mit dem, was Karl Marx selbst hervorgebracht
hat oder was seine direkten Zeitgenossen hervorgebracht haben, aber auch
natürlich ganz stark fragmentierte Dinge, die sich auch hin zu so etwas
wie plakativen Formeln hin entwickeln, also das heißt Substrate aus
ganzen Abhandlungen, letztendlich so Überschriften oder so etwas, also
auch da sone Komprimierung auch letztendlich und assoziatives Material auf
der anderen Seite, zweiter ganz großer Strang ist Liedmaterial, also
tatsächlich Arbeiterlieder, die 1 zu 1 aus dieser Zeit von Karl Marx
entwachsen sind, die auch damals schon verfaßt und gesungen wurden,
bis hin zu etwas weiter entfernterem Material, was sich so angeschlossen
hat, Studentenbewegung, auch DDR, sozusagen unser nächster sozialistischer
Zugang, da haben wir auch einiges ausprobiert und sind letztendlich bei so
einer Mixtur hängengeblieben aus klassischen Kampfliedern wie Einheitsfrontlied
oder Heimlicher Aufmarsch und so etwas, bis hin zu kleinen Eigenkompositionen,
die auratisch nochmal was aufgreifen, aber nicht 1 zu 1 umsetzen. 1´17´´
MUSIK 03
Arbeit: Der heimliche Aufmarsch
Oliver Augst, Stimme, Marcel Daemgen, Electronics
4´22´´
"Der heimliche Aufmarsch“ ist ein Text von Erich Weinert und Ernst
Busch, dem wohl berühmtesten Arbeiterlieder-Sänger der DDR. Vertont
wurde das emphatische Kampflied von Hanns Eisler. Ganz plakativ artikuliert
es,
in Text wie Musik, die sozialistische Utopie, was in der Fassung der Gruppe „arbeit“ ebenso
plakativ zum Ausdruck kommt. Die Vertonung hat eine Art dokumentarischen
Charakter. Das Lied erscheint in originaler Gestalt, ist lediglich versehen
mit einem modischen Popsound und nur wenig verhüllt durch die Klangmanipulationen
der Singstimme sowie einige geräuschhafte Elemente.
Bewegt sich dieser Titel unmittelbar am Thema Marx, schlägt die Hölderlin-Vertonung „Hälfte
des Lebens“ einen Bogen dazu. Das Gedicht formuliert eine auf Biedermeier
und Restauration bezogene Gesellschaftskritik, die jetzt mit der sozialistischen
Kapitalismuskritik assoziiert wird. Im Gegensatz zum „heimlichen Aufmarsch“ verzichtet
die Gruppe „arbeit“ bei „Hälfte des Lebens“ auf
Liedformen. Die Musik ist kurzgliedrig bis hin zum Pointilistischen und bewegt
sich im Bereich elektronischer Klänge und Geräusche.
MUSIK 04
Arbeit: Hälfte des Lebens
Christoph Korn, Gitarren, Alexandra Maxeiner, Stimme
5´19´´
Noch weiter in die Vergangenheit als die Hölderlin-Bearbeitung reicht
die Vertonung des Shakespeare-Gedichts „The Phoenix and the Turtle“, „Der
Phönix und die Taube“. Der poetische Text kann als Herrschaftskritik
gelesen werden, wodurch sich ein Bezug zum Thema Marx herstellt. Außerdem
erzeugt die Vertonung mit einfachen Lied-Elementen eine Affinität zum
Arbeiterlied.
MUSIK 05
Arbeit: The Phoenix and the Turtle
Oliver Augst, Stimme, Thomas Dézsy, Electronics
1´55´´
Die Gruppe „arbeit“ verwendet sehr verschiedenartige musikalische
Mittel. Einige Klavierpassagen klingen nach klassischer Musik. Aus der Popmusik
kommen Liedformen, standardisierte Rhythmen und Klangklischees wie bestimmte
Synthesizer- oder Gitarrensounds. Auch das in Pop und Techno gebräuchliche
Remixen findet Anwendung, wenn Bruchstücke von Originalaufnahmen erscheinen
und in einen mehrschichtigen Klangkontext eingebunden werden. Des weiteren
verwenden Oliver Augst, Marcel Daemgen und Christoph Korn Klang- und Geräuschsynthese
sowie Verzerrungs- und Sample-Techniken aus der elektronischen Musik, auch
aus dem nicht-akademisch experimentellen Bereich. Zum Beispiel spielen die
Musiker auf Mischpulten, die sie über Rückkopplungsschaltungen
zu Musikinstrumenten umfunktionieren. Die Störgeräusche der Geräte
wie Knacken, Knistern, Pfeifen und Brummen dienen als Rhythmen oder Sounds,
die dann musikalisch eingesetzt werden. Die ästhetischen Wurzeln dieser
für die Gruppe „arbeit“ ganz typischen Klangwelt liegen,
unter anderem, im verzerrten Gitarrenklang der Rockmusik.
Mit all diesen Elementen wird frei jongliert, mit der gesamten Palette der
Klänge und Geräusche, mit klassischen und mit elektronischen Instrumenten,
mit Samples, mit Stilassoziationen und -vermischungen.
MUSIK 06
Arbeit: Auferstanden aus Ruinen
Oliver Augst, Stimme, Christoph Korn, Gitarren, Marcel Daemgen, Electronics
4´24´´
Bei der DDR-Nationalhymne „Auferstanden aus Ruinen“ verfremden
die Musiker die Liedzitate durch ein abstraktes elektronisches Klangfeld.
Dadurch gehen sie auf beobachtende Distanz zum Inhalt der Hymne. Zugleich
aber erhält sie eine nostalgische Note. Ähnliches geschieht bei
der Textvorlage „Warum brauchen wir eine revolutionäre Partei“.
Die Akkordeonklänge am Anfang zitieren ganz kurz die hier sonst kaum
spürbare Arbeiterliederatmosphäre.
MUSIK 07
Arbeit: Warum wir eine revolutionäre Partei brauchen
Oliver Augst, Stimme, Christoph Korn, Gitarren
3´26´´
Ganz experimentell interpretiert die Gruppe „arbeit“ das Bertold
Brecht / Hanns Eisler-Lied „Vom Sprengen des Gartens“. Mit wenigen
Geräuschen, mit Flüstern und vielen Pausen pendelt der Charakter
des Titels zwischen sehnsuchtsvoller Utopie und melancholischer Resignation.
MUSIK 08
Arbeit: Vom Sprengen des Gartens
Christoph Korn, Gitarren, Alexandra Maxeiner, Stimme
6´22´´
Die Kompositionstechnik der Stücke beim Marx-Projekt der Gruppe „arbeit“ bestimmt
die Haltung der Musiker zum Thema Marx. Sie verwenden vorgeprägtes Material,
Texte und Lieder, die einem ganz bestimmten politischen und kulturellen Zusammenhang
entstammen und stellen sie in einen anderen, nämlich gegenwärtigen
Kontexten. Shakespeare, Hölderlin und Brecht werden in das Gewand einer
zeitgenössischen Musik eingewoben.
Dabei ist meistens eine gewisse Sympathie dem Ausgangsmaterial gegenüber
zu spüren. Manchmal trägt sie Züge von Einverständnis,
ein anderes Mal von Nostalgie, oder die Musiker lassen sich vom mitreißenden
Effekt faszinieren, der von der agitatorischen Energie der Original-Lieder
ausgeht.
Affirmativ jedoch sind die Arbeiten nicht. Denn stets wird der historische
Zusammenhang aufgebrochen, werden ungewohnte, gelegentlich analytisch anmutende
Blicke gewagt, zum Beispiel auf Melodien oder Liedstrukturen. Und durch das
vornehmlich geräuschhafte Klangambiente der Titel hinterfragt das Künstlerkollektiv „arbeit“ auch
die akustische Ästhetik, die das Umfeld der sozialistischen Musikpropaganda
mit sich führte. „Hits“ wie die „Internationale“ bekommen
eine neue, jetzt mehrperspektivische Anmutung zwischen einem emphatischen
und einem vielleicht falschen Pathos, zwischen Authentizität und der
Frage, was uns eine solche Hymne heute zu sagen hat.
MUSIK 09
Arbeit: Die Internationale
Oliver Augst, Stimme, Marcel Daemgen, Electronics
4´03´´
E N D E
CD Information / Titel
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