MARX / ARBEIT
/ CD / 2004
Booklet-Text:
MARX remixed
In einer Öffentlichkeit, die aus Zerstreuungsbedarf nach dem Ungebührlichen
greift, steigt die Aufmerksamkeit für Anachronismen. Auch im Folgenden
scheint das der Fall. Mit einigen Beats und mit Techno-Rhythmen versetzt,
sind Auf, auf zum Kampf und das Spartakuslied und die anderen die dürftigen
Märsche und Melodien von einst offensichtlich nicht ohne Reiz. Manche
Titel wirken fast tanzbar, avancieren trotz überkommener Wortwahl zu
vermeintlichen Hits und wehren sich so, ohne weiteres entsorgt und vergessen
zu sein.
Um kein Missverständnis entstehen zu lassen: Oliver Augst, Marcel Daemgen
und Christoph Korn treibt kein Voyeurismus; ihre Arbeit zielt weder auf Persiflage
noch auf schrillen Kommerz. Dem Frankfurter Trio geht es vielmehr um musikalische
Archäologie. Verschüttetes und Verdrängtes wird zu Tage gefördert,
verschlissener Gewänder entkleidet, in einen neuen, heutigen akustischen
Kontext gestellt und nach Unabgegoltenheiten befragt.
Dass ausgerechnet das Lied- und Ideengut der deutschen Arbeiterbewegung ins
Visier dieser Ausgrabungsarbeit gerät, überrascht nach dem Eisler-Programm
und dem Volkslied-Projekt der Frankfurter Gruppe nur wenig. Eineinhalb Jahrzehnte
nach dem politischen Einsturz des ’Ostblocks’ kann es nicht illegitim
sein, im kulturellen Erbe des gescheiterten sozialistischen Deutschland zu
graben. Es erfordert nur Mut, dies – frei von Erwartungsklischees – ohne
Häme zu tun. Und offen zu sein bei der Suche nach Spuren all dessen,
was im Jahrhundert der Ideologien und Kriege und nach Jahrzehnten pervertierter
Staatsrealität übrig blieb von den Freiheitsideen aus proletarischer
Zeit.
Augst, Daemgen und Korn und ihre zwei Gäste haben auch für dieses
Projekt umfangreich recherchiert, schließlich fünfzehn Titel und
Texte für ihre Zwecke gewählt und diese auf die ihnen eigene Art
künstlerisch neu zum Leben erweckt. Ihre heutige Interpretation des
problematischen Repertoires ereignet sich dabei fernab historischer ’Aufführungspraxis’.
Einstiges Zelebrieren begegnet bestenfalls als Zitat, die romantische Emphase
fehlt (weitgehend) – an ihre Stelle treten als Geste die Trauer und
als Technik Collage und Schnitt.
Manche Textzeilen fallen durch Raster, Sinn komprimiert und verrätselt
mitunter, Refrain und Strophe sind zuweilen unterschiedlichen Originalen
entrissen und verklammern sich erst im Remix. Das Megaphon, einst beliebtes
Instrument sozialistischer Agitation, liefert hier ein Verfremdungsmoment.
Losungen sozialistischer Massenkultur klingen verzerrt, bewusst übersteuert,
nur mehr fragmentarisch verstehbar – so als wäre ihre Überlieferungsgeschichte
hier gleichnishaft einkomponiert. Als wären die historische belegte
Verfolgung radikaler sozialer Ideen, das Pervertieren derselben als Staatsideologie
und schließlich ihr Scheitern und Verstummen in vorliegender Interpretationsart
geradezu dokumentiert. Im Flirren der Störgeräusche, im medialen
Rauschen wird das Unkenntlichwerden, ja das Vergessen schlechthin zum Thema
und zur eigenständigen künstlerischen Form.
Dass gelebte Vergangenheit im Osten Deutschlands dämonisiert und ausgelöscht
wird und nur mehr in nostalgischer Weise medial zurückkehren darf, hat
Gründe. "arbeit MARX" – so auch der Auftrag des Co-Partners
Deutschlandfunk – ist ein Angebot gegen solcher Art neuer Tabuisierung.
Vergleichbar mit Siegmund Freuds Trauerarbeit geschieht kritische Betrachtung
und Auseinandersetzung auf vorliegender Konzept-CD subjektiv, zufällig,
ohne Anspruch auf Ordnung und Vollständigkeit. Neben ’Highlights’ des
sozialistischen Liedguts aus proletari-scher wie aus staatssozialistischer
Zeit schwemmen auf der Platte aber auch andere Fundstücke an. Es handelt
sich um Verse Shakespeares, Hölderlins, Brechts und Frantz Fanons, um
den Trauermarsch und um das solistisch begleitete Kunstlied. Sie allemal
künden vom beschädigten wie vom hoffenden Individuum und holen
MARX heim unter den Horizont seiner Zeit.
FRANK KÄMPFER, März 2004
CD Information / Titel
Booklet-Text
Label-Info von Felix Klopotek
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ARBEIT, Marx - Feature Radio Z, Nürnberg
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