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JUGEND / ARBEIT / CD / 2007

Unternehmen Jugend - EMT im Kontext / NZFM

Die Frankfurter Gruppe Arbeit
Eine der populärsten Gattungen der Musik ist das Lied. Musikfragmente aus der Antike werden als Lieder tituliert. Volksmusik lebt durch das Lied, das zu allen Zeiten auf die Kunstmusik ausgestrahlt hat. Popmusik, ob kommerziell oder experimentell, nutzt das Lied als formalen Standard. Einen bedeutenden künstlerischen Höhepunkt erreicht es mit dem Klavierlied der Romantik, in dem die äußerste Verdichtung des Musikalischen angestrebt wurde - ein weites Feld, auf dem sich die Frankfurter Gruppe "Arbeit" bewegt. Sie sammelt Materialien aus der Musikgeschichte des Liedes, lädt sie mit gesellschaftlichen und persönlichen Erfahrungen auf und kleidet sie ins Klanggewand der Gegenwart.
Die Faszination gerade am wortbehafteten Lied gründet sicher auf der recht breiten, nicht nur mu-sikalischen Basis der Künstlergruppe. Oliver Augst tritt als Performer, Komponist und Bühnenbildner auf, Christoph Korn studierte Politologie, Soziologie und Philosophie, Marcel Daemgen ist am Klavier, aber auch als Studiotechniker ausgebildet und die Schauspielerin Michaela Ehinger konzentriert sich besonders auf Stimmarbeit. Seit vielen Jahren arbeiten diese Künstler nicht nur individuell, sondern immer wieder in verschiedenen Projekten zusammen; gelegentlich treten noch andere wie etwa der Wiener Musiker Thomas Dézsy dazu. Um das Ganze organisatorisch zu bündeln, gründeten sie 1998 eine Gruppe. Auf der Internet-Seite nennen sie sich "textxtnd", geben sich sonst aber den zwar prosaischen, gleichwohl jedoch sehr treffenden Namen "Arbeit".
Denn die Arbeit der Gruppe "Arbeit" endet nicht mit einem wie auch immer festen Resultat, sondern wird ständig weitergeführt. Die Künstler stellen sich ein Thema, mit dem sie sich über Monate und Jahre beschäftigen und das dann in verschiedenen künstlerischen Formen Niederschläge findet.

Beim Projekt "Heimat", war der Ausgangspunkt die Idee, Volkslieder zu untersuchen, auszuwerten und zu bearbeiten. Die Volkslied-Arbeit entstand aus dem ersten Projekt der Gruppe zu Eisler-Brecht-Liedern. Von da aus zogen die Künstler die Linie zum Liedgut des Alltags, das seit dem 18. und 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart hinein immer noch lebt. In jedem Haushalt steht irgendwo ein Liederbuch. Dort im privaten begannen die Künstler ihre Recherche mit dem Wiederbeleben eigener alter Erfahrungen und Erinnerungen, mit dem Ausweiten der Suche und schließlich mit einer fast wissenschaftlichen Forschungsarbeit im Volksliedarchiv Freiburg. Texte, Melodien und andere musikalische Strukturen wurden akribisch gesammelt, nicht aber systematisch, sondern dem ganz individuellen Interesse der Künstler folgend. Ausstülpungen des Volkslieds in die Kunstmusik wie die Ode "Freude schöner Götterfunken" wurden einbezogen, ebenso Strukturen der Popmusik, die trotz anderem Klanggewand dem Volkslied oft zum Verwechseln ähneln. Diese Materialien bildeten einen Pool aus Fragmenten, die teilweise unverändert blieben, teilweise verschiedene vor allem elektronische Manipulationen erfuhren. Dieser Pool diente der Gruppe als Basis für die unterschiedlichen künstlerischen Emanationen des Volksliedprojekts.

Eine davon ist die 2001 am Theaterhaus Frankfurt aufgeführte Performance "Heimat". Wie bei allen Bühnenauftritten der Gruppe lag ihr keine Partitur und kein dramaturgisches Konzept zugrunde. Vielmehr hatte zuvor jeder Künstler mit dem Material gearbeitet, es collagiert oder durch kompositorische Eingriffe zu kleineren oder größeren Stücken geformt oder es durch geräuschige Elektronik verfremdet. Mit diesem Erfahrungsschatz ging die Gruppe in die Aufführung und arbeitete im live-Kontext rein improvisatorisch. "Electronic music theatre" nennt die Gruppe diese Form, bei der die bisherigen Erfahrungen zum jeweiligen Thema aus der theoretischen Beschäftigung und aus den kompositorischen Experimenten zusammenfließen und live zu einem nicht prädeterminierten Stück geformt werden.
Die kompositorische Komponente des Projekt fand dann ihren Niederschlag in einer CD-Produktion. Verschiedene Volkslieder sind dort bearbeitet, unter ihnen Hits wie "Maikäfer flieg" und "Der Mond ist aufgegangen", aber auch unbekanntere Titel wie "Maria durch den Dornwald ging". Die Stücke sind bis ins kleinste ausgeklügelt, im klassischen Sinn komponiert und können als Werke betrachtet werden, als Lieder im ganz im Sinn der Gattung.

Darüber hinaus existiert eine Realisation des Projekts Volkslied als Internet-Hörspiel, das im Rahmen der "intermedium 2" am ZKM Karlsruhe 2002 entstand. Auf einer Festplatte lagerte ein Audioarchiv mit Begriffen aus Volksliedern. Dazu entwarfen die Musiker eine Software, die diese Begriffe abruft und sie verschiedenen Klangmanipulationen unterzieht, wie Verzerrungen und Verrauschungen bis hin zum reinen Sound. Das Wort erscheint einmal als Bedeutungsträger, ein anderes Mal als musikalisches Element. Zufallsparameter generieren dabei eine vielfältige, je neue und unerwartete Kom-Position der Sprachelemente im Fluß des potentiell unendlich währenden Klangstroms.

Solches Changieren zwischen Semantik und Musik, zwischen Assoziation und dem sinnlichen Erfahren charakterisiert die spezielle Klangästhetik der Gruppe "Arbeit". Ein zentrales Element ist dabei das Geräusch. Es wird durch elektronische Verfahren erzeugt. Neben verschiedenen Collage- und Montagetechniken beherrscht es die spezifische Klangbearbeitung der Gruppe "Arbeit". Instrumental Gespieltes durchläuft meistens elektronische Schaltungen, ein Megaphon, einen E-Gitarren-Verzerrer, einen Computer oder als Besonderheit der Gruppe ein Mischpult, das die Musiker als Musikinstrument nutzen. Durch Rückkopplungsschaltungen machen sie es zum Klangerzeuger, der eine große Vielfalt an Geräuschen, Zischen, Knistern, Brummern und Pfeifen, generiert.
Mit einer solch geräuschbetonten Klangarbeit bei der Lied-Bearbeitung setzen Oliver Augst, Marcel Daemgen, Michaela Ehinger und Christoph Korn Kontraste zu den musikalischen Klischees, mit denen das Volkslied behaftet ist und die seine Identität ausmachen. Ihre Interpretationen der Volkslieder, sei es auf der Bühne, auf der CD oder im Hörspiel, sind scharfsinnige, in zeitgenössische Klanggestalten gegossene Reflektionen des Themas, die stets auch eine subtile politische Komponente enthalten.

Alle Projekte der Gruppe "Arbeit" zielen auf mehrdimensionale Realisierungen ihrer Themen. Obwohl die Resultate bei CD und Hörspiel fix sind, bröckelt doch der klassische Werkbegriff angesichts des Kontextes, in dem sie entstanden sind. Auch beim Projekt "Marx", das den Volksliedbearbeitungen folgte, ist die materiell greifbare CD "nur" ein Ausläufer des Ganzen. In ihr kristallisieren einige mögliche Manifestationen des Marx-Material-Pools, zu dem die DDR-Nationalhymne, die Internationale, Aufnahmen von Propaganda-Veranstaltungen, aber auch ein Shakespeare-Gedicht gehören. Andere Kondensate entwickeln sich dann bei den Auftritten auf der Bühne, so daß das Projekt ständig in Bewegung, in "Arbeit" bleibt. Es ist ein "work in progress" im besten Sinne des Wortes.

Das jüngste Unternehmen heißt "Jugend". Es thematisiert Konnexe zwischen Romantik und Sigmund Freud und wird im März 2005 beim Festival "Forum Neue Musik" im Deutschlandfunk Köln uraufgeführt; der Deutschlandfunk produzierte die bisher erschienenen CDs der Gruppe zu den Themen "Volkslied" und "Marx" und wird auch die "Jugend"-CD herausgeben. Diesmal füllt die Gruppe ihren Material-Pool mit Kunstliedern aus der Romantik, Schlagern von Udo Jürgens und Texten zum Unbewußten, woraus sie ein Panorama des Begriffs Jugend als Synonym für das Unverbrauchte entfalten möchte.

JUGEND, Volume 01: Freud, electronic music theater
Uraufführung am 6. März 2005, Forum Neue Musik Deutschlandfunk, Funkhaus Köln
10., 11., 12. März 2005 Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt
November 2005 Festival WienModern

 

Martin Büsser
Fragen und Antworten zu CD JUGEND:
Martin Büsser: Die Romantik wird mit vielem in Verbindung gebracht, den einen gilt sie als reaktionär, den anderen als Ursprung der Moderne. Welches Bild hattet ihr von der Romantik, als ihr mit dem Projekt begonnen hat?

md: Die Romantik ist für mich eine Epoche des soziokulturellen Aufbruchs. Weg von der Unterordnung unter Kirche und Standesdünkel, hin zum zum freien selbstbestimmten Individuum. Sozusagen die Jugend unserer heutigen bürgerlichen Gesellschaft.

War es ein Anliegen, Romantik und Jugend einer Gefühls-Demontage zu unterziehen? Und dadurch zum Kern vorzudringen?
md: Die Musikepoche der Romantik und die Lebensepoche der Jugend haben insofern vieles Gemeinsam, als dass in beiden Fällen eine Trennung von überkommenen Werten und gleichzeitig wiederum eine Suche nach neuen und besseren Lebensentwürfen stattfindet. Dies ist einerseits eine hoch emotionale Angelegenheit andererseits aber auch eine intellektuelle Leistung. Das eine geht nicht ohne das andere. Beides haben wir versucht? transparent zu machen.

oa: Wir haben uns parallel in dieser Arbeit mit Liedern aus der Romantik mit Sigmund Freud beschäftigt, das dreht sich ja immer wieder auch um dieses Zeitalter von Gestern, wie Stefan Zweig es bezeichnet,  was wir verlassen haben um den zeitlichen Dreh mit Freud, und dann in die Nachjugend hineingegangen sind. das heißt, das Zeitalter von Gestern, das bricht regelrecht zusammen, da war Marx, Thoreau, da ist der 1. Weltkrieg, der 2. Weltkrieg, die Psychoanalyse, was uns förmlich
 in ein neues Zeitalter reinschaltet, in die Nachjugend, wo wir uns jetzt befinden. Ob wir auch noch mal in das Erwachsenenstadium kommen , in so etwas wie Weltbewusstsein, kann man nur hoffen.

Warum fanden auch Udo Jürgens und Hanns Eisler den Weg auf die CD? Ist Schlager eine Renaissance des romantischen Liedes gewesen? Und steckte in den Revolutionären auch ein Romantiker? 

md: 1. Eisler ist für mich so etwas wie der geistige Vater unseres Musikverständnisses. Er schrieb hochintelligente emotionale Musik! Bislang gab es auf jeder ARBEIT-CD ein Lied von Hanns Eisler.
2. "Illusionen" von Udo Jürgens und Alexandra beschreibt auf triviale und gleichzeitig emotional treffende Weise den Seelenzustand in der Jugendzeit. Mit Absicht wurde das "Lied  der Mignon "von Schuber t/Goethe "Nur wer die Sehnsucht kennt", sehr ähnlich arrangiert wie "Illusionen". Es gibt in deren emotionalen
Aussagen keinen nennenswerten Unterschied. Musikalisch wirkt (auf mich)
der Schlager sogar noch etwas geklärter, das Kunstlied emotional viel triefender. Etwas plakativ ausgedrückt: Jürgens/Alexandra werden zum Kunstlied - Schubert/Goethe zum Schlager.

oa: Das ist natürlich ne aufregende Entdeckung gewesen, daß diese Lieder aus der Romantik formal oft irrsinnig nah an dem dran sind, an dem was wir bis heute in der Popmusik um die Ohren gedudelt bekommen. wenn man sich nicht selber dahinterklemmt, und diese Stücke für sich erarbeitet, was die Wahrnehmung natürlich oft ändert,  ist es schwierig diesen zusammenahng von romantik/schlager zu sehen. durch diesen Gestus in der Inter xpretation, der bei dem romantischen Kunstlied gegeben ist, klassischer Liedgesang, Tonprägung und Klavierbegleitung, da kriegt man oft den immergleichen besetzten Zugang, aber dreht man das mal rum und erlaubt sich die Sachen an-ders anzupacken, dann gehen diese Stücke auch mit unseren Pop-Ohren auf. denn deren Schema ist heute noch gang und gäbe, die klassische Abfolge Strophe Refrain, jeder Popsong läuft genauso ab, die Harmoniegebung übrigens auch. das ist gerade beim Lied der Mignon frappierend, und darauf hat sich Marcel gestürzt. das wollen wir jetzt mal rauskitzeln, was daran eigentlich Pop ist, oder sein kann.

Auf allen unseren Platten ist mindestens ein Brecht/Eisler-Stück drauf, also das gehört irgendwie ein bißchen für uns dazu. das war von Anfang an unser Anliegen, diesen Kosmos weiterzuverfolgen, es ist nur ne Frage, man setzt irgendwo einen Schwerpunkt, aber di Ze Ränder schwingen ja immer mit. von Eisler weiß man, wie er seine Exilieder komponiert in Kalifornien, mit was für einem romantischen Gestus das ablief, wenn man ihn nur mal hat alleine vor sich hinträumen lassen, was da für ne Ader eigentlich vorhanden ist, er hat zb Hölderlin Gedichte vertont, und vielleicht muß man das auch mal anerkennen und nicht nur auf das politische Rückgrat sozusagen überprüfen. Eisler hat so eine Scharnierfunktion, insofern bleibt er für uns natürlich zentral.

Romantik scheint wieder en vogue zu sein, von Blumfeld bis Tomte strotzen Pop-Texte vor starken Gefühlen ... betrachtet ihr eure CD auch als Gegenreaktion auf solche Entwicklungen?

md: Nein. 

oa: Unsere nächste CD, auch eine Produktion des DLF, wird übrigens tatsächlich „Gefühl“ heissen, zumindest ist das der bisherige Arbeitstitel. aber diese scheinbaren ak >tuellen tendenzen, von denen du sprichst (blumfeld etc.) interessieren uns wenig. da wird ja immer was ausgegraben und vertickt. das ganze retro-geschrummel ist eigentlich öde. ich kann mir das teilweise gar nicht anhören. dann schon lieber die Originale. Was wir jetzt mehr gemacht haben als Dinge dazugefügt und neu komponiert, ist eher tendenziell, daß wir die Sachen so irrsinnig abgespeckt haben, opulente Arangements, harmonische Raffinessen wurden extrem reduziert, wirklich wie eine Schablone, wie Popmusik für uns klingen könnte. das hängt ganz stark damit zusammen, daß es bei den meisten Stücken jetzt ein durchlaufendes Metrum gibt, das ist ja in den Originalfassungen nicht vorgesehen, im Gegenteil, da ist ja dieser impulsive Gestus, der Ausdruck, dieses Ausmalen der live-Interpretation, das zeichnet ja jeden Liedb 0egleiter aus, daß er mitatmet, das ist widersprüchlich zu der Auffassung mit der wir uns grade beschäftigen. da ist es erstrebenswert, dass es so was wie ein Groove, etwas Durchlaufendes gibt. das ist ein anderer Schwerpunkt, wir dekonstruieren das komplett oder bauen quasi eine neue Komposition um so ein altes Schema drumrum.

Die Platte heißt eben auch nicht „15 Lieder aus der Romantilk neu gemacht“, sondern die heißt „Jugend“, dieser Jugend-Aspekt wird sich bei all unseren Arbeiten so oder so wiederfinden lassen, und das ist das, was wir versucht haben: eher eine schillerndere Ebene einzuführen, als dass man sagt, Lieder aus der Romantik quasi neu dargeboten, das wäre dann relativ einsilbig. unter dem Logo Jugend als Behauptung, taucht Illusionen auf, im Lied wird das angespielt, wenn man das zurückscxhaltet aufs 19. Jahrhundert, kann man vielleicht jetzt sagen, da gabs noch Illusionen, denen wir heute nicht merh nachhängen können, weil wir mehr gesehen haben historisch gesehen. dieses Lied gefällt mir, und man kann diesen Verweis einfach mal bringen. man läßt das so stehen wie ein Sample. man muss sich dazu stellen, das ist trivial, bleibt auch trivial und wir haben auch diese triviale Ader. es wird fett an der einen oder andere Stelle, und bei einem anderem Stück bricht das alles wieder auseinander , weil das ein anderes Stück ist mit einer anderen Gesetzmäßigkeit, ner anderen Fragestellung, ner anderen Notwenigkeit.

 





CD Information / Titel
Booklet-Text
Presse
Atelier Neue Musik, Deutschlandfunk, 2017
JUGEND - Feature Deutschlandfunk, 2007
ARBEIT, JUGEND - Feature Radio Z, Nürnberg
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