FESTSPIELE IM WALDE / 2017 - 2018
Interview von Eva-Maria Magel (FAZ) mit Oliver Augst zu Thoreau:
Warum Thoreau?
Richtig zu leben war das grosse Thema in Henry David Thoreaus Werk. Und das ist für uns eine ebenso wichtige Aufgabenstellung.
Mit den Festspielen im Walde wollen wir den heutigen technisierten und kommerzialisierten Alltag Thoreaus Welt des einfachen Lebens gegenüber stellen. Thoreau nahm sich Zeit, beobachtete die Natur und stellte Fragen. Sein Ziel war das Leben als Kunstwerk. An diese Wertschätzung des alltäglichen Lebens knüpfen wir inhaltlich und formal an und aktualisieren Thoreaus Gedanken in einer neuen Zeit auf dem alten Kontinent.
Uns interessiert dabei vor allem Thoreaus Selbstdefinition. Wie zeigt er sich als Mystiker beim Sammeln von Brennholz? Wonach wirft der Transzendentalist seinen Angelhaken aus? Worüber denkt der Naturphilosoph bei seinem Gang durch die Rosmarinheide nach? Thoreau ist für uns aber vor allem auch Poet. Seine Tagebucheinträge zeugen von einem Reichtum an Metaphern und Symbolen, die ihm die Natur als Rohstofflieferant bietet. Und da setzen wir an.
Thoreau bewegte spätere Generationen, uns eingeschlossen, wie nur wenige Köpfe. Seine bekanntesten Werke „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“ oder das Buch „Walden“ sind für uns seit Jugendjahren wegweisende Begleiter. „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“ wurde zum meist gelesenen amerikanischen Essay, nachdem Mahatma Gandhi und Martin Luther King sich für ihren zivilen Ungehorsam darauf beriefen. Als Vorbild diente Thoreau auch der Friedensbewegung (gegen den Vietnam-Krieg und den Kalten Krieg). Und „Walden“ zählt heute zu den bedeutendsten literarischen Werken der USA. Hermann Hesse schrieb dazu: „Die amerikanische Literatur, so kühn und grossartig sie ist, hat kein schöneres und tieferes Buch aufzuweisen.“ Geradezu zu einer Bibel wurde „Walden“ für die verschiedenen Generationen von Aussteigern. Eine besondere Beziehung zum Werk Thoreaus hatte auch John Cage (auch eine Querverbindung zu unserer künstlerischen Arbeit). So bewunderte er dessen Haltung, Ideen und Schriften und begründete als Dozent am Black Mountain College etwa das Sammeln von Pilzen mit Kompositions-Studierenden mit Verweis auf Thoreaus Tagebücher.
Warum jetzt?
Thoreau will die Kunst mit seinem Leben in Übereinstimmung bringen. In seinen 47 Tagebüchern hielt er Erkenntnisse aus seinen kontemplativen Beobachtungen fest und stellte sie in einen ökonomischen und politischen Kontext. Oft waren sie auch Anlass für ein grundsätzliches Nachdenken über das menschliche Dasein. Wir verstehen sie als eine Wahrnehmungsstudie und eine konkrete radikale und immer wiederkehrende Selbstbefragung: Wozu soll ich täglich meine Arbeitskraft verkaufen, um all die für das Leben an sich unnötigen Dinge zu erwerben? Inwieweit habe ich mein moralisches Urteilen an Staat oder Kirche delegiert? In welchen Zwängen lebe ich, ohne mir diesen bewusst zu sein?
Wir finden, dass seine Fragen bis heute nichts an Aktualität eingebüsst haben. Ganz im Gegenteil. Nur wagt die Fragen kaum noch jemand zu stellen, zu unbequem scheinen die Konsequenzen zu sein. Denn wie erginge es unserer Volkswirtschaft, wenn wir all die produzierten Dinge plötzlich nicht mehr kaufen würden? Welchen Einfluss hätte ein Verebben des Konsums auf die Klimaerwärmung? Sollte ich auf meinem Parkplatz nicht besser Grünkohl und weisse Bohnen ziehen? Wovon lebt eigentlich die kleine Spinne in der Zimmerecke? Solche Fragen sind womöglich subversiver als man auf Anhieb denkt.
Für uns gehen Thoreaus Ansätze einher mit den von uns durchaus kontrovers diskutierten aktuellen Fragestellungen nach einer "entschleunigten Gesellschaft", knüpft an utopische Ideen wie "bedingungsloses Grundeinkommen" an, als Sehnsuchtsmodell einer Gesellschaft, welche die Stress-Spirale - schneller, weiter, höher - noch zu stoppen vermag. Allerdings kann man natürlich nicht wissen, was Thoreau z.B. zum bedingungslosen Grundeinkommen sagen würde, jedoch wurde z.B. ja jetzt veröffentlicht, dass in der Schweiz seit den letzten 27 Jahren 81% der Insekten verschwunden sind (in Deutschland wird es nicht anders sein) - gibt es da nicht geradezu eine Pflicht zum Ungehorsam gegenüber einer materialistischen Gesellschaft, die zu solchen Verbrechen gegenüber der Schöpfung fähig ist?
Ist die Produktion zum 200. Geburtstag entstanden ?
Ursprünglich hatten wir die Idee, anläßlich des runden Geburtstags ein Radio-Hörspiel-Projekt zu machen, in Episodenformat, d.h. mit kurzen Hörspielfragmenten, die dann jeden Tag zu einer bestimmten Uhrzeit im Radio gekommen wären, immer angelehnt an die verschiedenen Themen seines Tagesbuches wie: "Der Nachbar", "Der See", "Grüne Bohnen" etc..
Das Format wollte aber scheinbar partout nicht ins gängige System der von uns angefragten Sender passen, (Thoreau stellt sich halt auf jeder Ebene quer ..) und so haben wir uns für die Umsetzung als Live-Performance entschieden.
Oder eher in einer Beschäftigung mit einem „anderen“ Amerika, analog zu dem NZZ-Zitat in Ihrer Ankündigung ?
Auch, ja! Thoreaus Kapitalismuskritik führte ja nicht etwa wie bei Karl Marx zu revolutionären Überlegungen, sondern zur Forderung nach einem individuellen Überdenken des eigenen Lebenskonzepts im Sinne des amerikanischen Transzendentalismus. Der einzelne Mensch soll für sich Verantwortung übernehmen und sich überlegen, worin die Wirklichkeit hinter Staat, Kirche, Philosophie und Religion liegt und aus der daraus gewonnenen Erkenntnis die Konsequenzen für sein Leben ziehen. "Ein Mensch ist so reich wie die Anzahl der Dinge, auf die er verzichten kann“, sagt er. Mit diesem Ansatz widerspricht er dem materialistischen Kapitalismus natürlich fundamental.
Wir verfolgen die Idee einer Aktualisierung Thoreaus im Hinblick auf die politisch/gesellschaftlichen Strömungen und Ereingnisse unserer Zeit.
Wo wurde die Produktion schon gezeigt?
- Die Vorpremiere fand im frühen Winter 2017 in einer kleinen Hütte im schweizer Klettgau statt, wo wir auch etwa eine Woche zusammen gewohnt und geprobt haben. Unsere Zuschauer sind bei strömendem Regen etwa 40 Minuten den Berg zu uns hinaufgewandert. (Himmelrich-Hütte, Löhningen, 5. November)
- Uraufführung im Rahmen der Buchwoche-Schaffhausen (Fass-Keller, 28. November)
- Live bei Radio Rabe, Bern, 3. Dezember
- Volkshaus, Zürich, 4. Dezember
Was ist Ihr Verhältnis zu Thoreau? Beschäftigen Sie sich schon länger mit seinem Werk?
Ja, ich hatte bereits vor einigen Jahren (vergeblich) Anlauf genommen zusammen mit der Frankfurter Regisseurin Heike Scharpff, das Projekt in Episodenform als Hörspiel für das Radio zu realisieren.
Dann begann ich, einen kleinen Liederzyklus nach den Texten von Henry David Thoreau zu komponieren, der, auch von mir vorgetragen, nun in die Festpiele im Walde eingeflossen ist.
Dabei handelt es sich um extrahiert Gedichte und rhythmisierbare Textsequenzen sowohl in deutscher Übersetzung wie auch im englischen Originaltext aus den Tagebüchern Thoreaus, vertont für Sologesang. Für mich sind das 'arme' Lieder; musikalische Arte Povera sozusagen, jenseits des Huldigens von Armut, sondern als Reduktion auf das Elementare, als Idee von Ökonomie, Begrenzung der Mittel und Selbstbeschränkung, Ökonomie des Bewusstseins, der Handlungen und der Materialien. Die Lieder werden solo vorgetragen und interagieren dabei improvisatorisch mit den Tierlauten und Naturgeräuschen von Annette Schmucki und den lyrischen Thesen von Reto Friedmann.
Klapperfeld und der Wald – ändern Sie etwas an der Performance für diese beiden besonders thoreauesken Aufführungsorte?
Grundsätzlich ist für uns eine Waldhütte überall dort, wo wir das Thoreau-Projekt zur Aufführung bringen. Das wird zum einen tatsächlich in einer Hütte im Wald geschehen, aber auch in einem Sitzungsraum (Club Voltaire) oder einem Kontrastort, wie in einem ehemaligen Gefängnis (Klapperfeld).
Einmal werden Megafone erforderlich sein, um z.B. dem Fluglärm im Frankfurter Stadtwald zu begegnen, ein anderes Mal darf gefüstert werden.
Auf jeden Fall sind es Orte, die mit Thoreaus Biografie etwas zu tun haben. Darüber hinaus unterscheiden sich alle Aufführungen voneinander, weil es sich bei dem Projekt nicht um eine präzise ausnotierte Gesamt-Komposition handelt, sondern alle Elemente von Sprache/Gesang/Klang (unser Motto ist ja "sprechen-singen-Töne basteln") miteinander auch improvisatorisch interagieren, sich verzahnen, aufeinander aufbauen und immer unterschiedliche Blickwinkel auf das Material freigeben.
Ich nehme an, dass der freie Eintritt im Wald auch als Konsequenz aus Thoreaus Gedanken Teil der Aufführung ist?
Genau!
mehr Presse
Kurzinfo
Interview von Eva-Maria Magel (FAZ) mit Oliver Augst
Konzept
Aufführungsorte
Kurzbiografien
Video