FESTSPIELE IM WALDE / 2017 - 2018
Schaffhauser Nachrichten 30. November 2017
«Erschliesst sich nicht auf Anhieb»
Autor Martin Edlin
Eine Collage aus Tagebuchtexten von Henry Thoreau und aus Geräuschen und Tönen verblüffte an der Schaffhauser Buchwoche.
F.A.Z. - KULTUR LEBEN, 03.05.2018
Der Ruf der Beinahe-Wildnis
Oliver Augst hat sich schon Arbeiterlieder vorgeknöpft, die Mainzer Fastnacht und nun ein Idol der Städter: Henry Thoreau. Von Eva-Maria Magel
Dem Mann, dem war zu kalt, da ging er in den Wald. Das macht Oliver Augst allerdings erst am letzten Tag seiner Frankfurter Auftritte: Am Sonntag um 11 Uhr kann jeder, der mag, bei freiem Eintritt zur Schutzhütte am Jacobiweiher im Stadtwald kommen. Vielleicht aber doch besser noch vorher, von heute bis Samstag, immer um 20 Uhr, ins Gallus Theater, den Club Voltaire oder das Polizeigefängnis Klapperfeld kommen. Wie der Wald haben auch diese Orte einen guten Grund: Oliver Augst, bekannt als Teil des Kollektivs textXTND, widmet sich der Legende aller Aussteiger, Henry David Thoreau (1817–1862).
Den Mann, den vor allem zentralheizungsverwöhnte Städter so lieben, schätzt Augst, weil „richtig zu leben“ seine große Frage war. „Thoreau bewegte spätere Generationen, uns eingeschlossen, wie nur wenige Köpfe. Seine bekanntesten Werke ,Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat‘ oder das Buch ,Walden‘ sind für uns seit Jugendjahren wegweisende Begleiter“, so Augst. Schon vor einigen Jahren hat er, der deutsche Arbeiterlieder, die Mainzer Fastnacht und zuletzt Fantômas zu Musiktheater gemacht hat, einen Liedzyklus zu Texten Thoreaus geschrieben. Nun sind daraus mit Reto Friedmann und Annette Schmucki, die für „Sprechen“ und „Töne basteln“ zuständig sind, „Festspiele im Walde“ geworden, gesungen von Augst, gespielt an Orten, die mit Thoreaus Gedanken zu tun haben: Theater, Gefängnis, politischer Club, Wald.
„Mit den Festspielen im Walde wollen wir den heutigen technisierten und kommerzialisierten Alltag Thoreaus Welt des einfachen Lebens gegenüberstellen“, erklärt Augst. „ Thoreau nahm sich Zeit, beobachtete die Natur und stellte Fragen. Sein Ziel war das Leben als Kunstwerk. An diese Wertschätzung des alltäglichen Lebens knüpfen wir inhaltlich und formal an und aktualisieren Thoreaus Gedanken in einer neuen Zeit auf dem alten Kontinent.“
Wer Augst je gehört hat, weiß, dass so etwas nicht ohne mehrere doppelte Böden und Falltüren abgeht, mit einer gewissen Ironie im Ernst. Die Vorpremiere fand im frühen Winter 2017 in einer kleinen Hütte im Schweizer Klettgau statt, „unsere Zuschauer sind bei strömendem Regen etwa 40 Minuten den Berg zu uns hinaufgewandert“, erinnert sich Augst. In Frankfurt hingegen liegt selbst der Wald in der Stadt.
Festspiele im Walde
Heute im Gallus Theater, 4. Mai Club Voltaire, 5. Mai Klapperfeld, jeweils 20 Uhr. 6. Mai
11 Uhr Jacobiweiher.
F.A.Z. - KULTUR, 05.05.2018
Rascheln, Piepen, Quaken
„Festspiele im Walde“ feiern den Walddenker Thoreau
Alle reden von Karl Marx. Dabei ist der wahre Mann der Stunde doch der amerikanische Naturphilosoph Henry David Thoreau, dessen 200. Geburtstag schon auf das Jahr 2017 fiel. Während Marx den Kapitalismus analysierte, floh Thoreau vor der alles verschlingenden modernen Zivilisation in die Wälder; Marx stilisierte sich zum Vorkämpfer der Massen, Thoreau zur gleichen Zeit als eremitischer Einzelgänger und Hippie avant la lettre.
Mit „Festpiele im Walde“ ist Reto Friedmanns, Oliver Augsts und Annette Schmuckis Hommage an den großen Früh-Aussteiger also mehr als treffend überschrieben. Die von Friedmann gelesenen, von Augst gesungenen Tagebucheintragungen Thoreaus umkreisen das Leben in der Wildnis, die Schönheit, aber auch die brutale Gleichgültigkeit der Natur, die Hinwendung zum winzigen Detail. So wie Thoreaus Texte immer auch eine Wahrnehmungsschule sind, zwingt die ebenso knappe wie skurrile Performance der drei, die nun im Foyer des Gallustheaters gezeigt wurde, zum sehr genauen Hinhören.
Denn sie machen es dem Zuhörer nicht leicht. Sie fallen einander ins Wort, lassen Sprechgesang und Lesung kanonartig versetzt erklingen, zerhacken und dehnen das Sprachmaterial bis zur Unkenntlichkeit. Thoreaus Texte werden dabei immer wieder von sehr gegenwärtigen Alltagsbetrachtungen konterkariert. So fragt Friedmann nach dem Sinne des Betrachtens eines Geldautomaten, während Augst in höchsten Tönen ein Rezitativ singt. Schmucki fungiert in diesem Trio als DJane und holt aus einem kleinen Sound-Computer Motorengeräusche, vor allem aber teils rhythmisierte Naturgeräusche wie Pfeifen, Rascheln, Quaken hervor und überlagert damit nicht selten die gesprochene Tonspur. Das macht das verstehende Zuhören mitunter mühsam.
Man geht sicher nicht fehl, wenn man dem einstündigen Unternehmen ein gerüttelt Maß an Humor unterstellt. Gerade der Bierernst, mit dem Friedmann zwischendurch die Struktur der Partitur erläutert und etwa „zwei Minuten anschwellender und abschwellender Gesang“ ankündigt, macht aus der Thoreau-Huldigung ein heiter-ironisches Fest. Konkrete Poesie, experimentelle Musik mit Zufallskomponenten, Pathos und Banalitäten ergeben hier eine ganz eigenwillige und einzigartige Mischung.MATTHIAS BISCHOFF
Weitere Aufführungen heute um 20 Uhr im ehemaligen Polizeigefängnis Klapperfeld, morgen um 11 Uhr in der Schutzhütte am Jacobiweiher (Straßenbahnhaltestelle Oberschweinstiege).
Frankfurter Rundschau 5.5.2018
„Festspiele im Walde“ Unter Aussteigern
Drei Personen, ein Autor: Henry David Thoreau.
Sprache als Musik, als Partitur: formal gesehen ein altbewährter Ansatz. Aber das schadet nichts, zumal die aphoristischen Sentenzen von Henry David Thoreau eine astreine Flanke dafür darstellen – und das Ergebnis durch seine Originalität besticht. „Festspiele im Walde“ nennt das deutsch-schweizerische Trio um den Sprecher Reto Friedmann, die Komponistin Annette Schmucki und den Sänger Oliver Augst sein Programm mit Texten aus den Tagebüchern Thoreaus, die neben seinem Roman „Walden“ als das Hauptwerk des zu Lebzeiten erfolglosen US-amerikanischen Schriftstellers und Philosophen gelten, dessen Geburtstag sich 2017 zum zweihundertsten mal gejährt hat. An die Deutsche Erstaufführung im Frankfurter Gallus-Theater schließen sich weitere Termine an handverlesenen Orten wie einer Schutzhütte am Jacobiweiher im Stadtwald an.
Thoreau ist ein prototypischer „Aussteiger“ gewesen, ein Pionier der Zivilisationskritik und der Rückbesinnung auf die Natur. Unter seinen zahlreichen Schriften findet sich eine „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“; sein Hauptwerk, der Roman „Walden“, baut auf den Erfahrungen eines zweijährigen Aufenthalts in einer selbstgezimmerten Holzhütte am gleichnamigen See in sicherer Nähe seiner Heimatstadt Concord (Massachusetts) auf.
Es geht viel um eine Dynamik von laut und leise an diesem Abend. Mitunter überdecken Annette Schmuckis geräuschhafte Klänge aus dem Sampler das Sprechen von Reto Friedmann, befördert von einer zuweilen ruckhaften Lautstärkedynamik des Vortrags. Analog dazu singt Oliver Augst mal mit in einem manieriert dünnen Singsang, dann wieder mit einem voll tönenden Bariton; die Melodieverläufe gründen im Volkslied. Zu Beginn der einzelnen Abschnitte dekliniert Schmucki jeweils eine Reihe von Tierarten durch, die wirbellosen Tiere zum Beispiel. Im Gestus des Improvisatorischen ruft sie aus dem Sampler stilisierte Formen eines Insektensurrens, Vogelgezwitschers, das Zirpen von Grillen und das Quaken der Frösche ab.
Es tun sich metaphysische Fragen auf wie jene, wonach der Fischer beim Fischen sucht. Irgendwann wird der Hörer über die Methode ins Bild gesetzt: Schmucki folgt strukturell einer Linie quer über die Landkarte um Concord und den Waldensee und nimmt Gegebenheiten auf, das Geräusch einer Straße etwa. Eine Bisamratte bahnt sich ihren Weg durch den Text. Ein Fiepen markiert ihre Bewegungen, das Ergebnis ist ein Lautgedicht.
Immer wieder gibt es schnitthafte Wechsel von der Mitte des 19. Jahrhunderts in Amerika zur hiesigen Gegenwart. „Ein Mensch“, heißt es bei Thoreau, ist so reich wie die Anzahl der Dinge, auf die er verzichten kann.“ Darauf setzt Friedmann: „Sollte ich auf meinem Parkplatz nicht besser Kohlköpfe anbauen?“
Drei Personen an ihren aufgereihten Pulten – das Resultat aus dieser fundamentalen Frontal-Anordnung könnte man auch ein Live-Hörspiel nennen. In jedem Fall ist das vergnüglich, nicht zuletzt auch ob des mitschwingenden Humors.
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