DIE TROMMEL PASST SICH ZORNIG AN / 2019
Zum 100. Todestag von Gustav Landauer
Die Trommel passt sich zornig an
Eine Produktion von Reto Friedmann (CH) und Oliver Augst (D)
Musik- und Sprachperformance:
Jaap Achterberg (Sprecher, Sänger)
Jörg Fischer (Marschtrommel)
Reto Friedmann (Text)
Oliver Augst (Komposition)
Dr. Siegbert Wolf (wissenschaftliche Begleitung)
In der heutigen medialen Aufarbeitung der revolutionären Ereignisse im Nachgang des Ersten Weltkriegs wird oft übersehen, dass an den damaligen Umtrieben neben den Kommunisten auch anarchistische Kräfte massgeblich beteiligt waren, ja manchmal sogar die Nase vorn hatten.
Diesen anarchistischen Gruppen und Bewegungen gehörten überproportional viele Künstlerinnen und Künstler an. So bestand beispielsweise die Leitung der Ersten Münchner Räterepublik grösstenteils aus Schriftstellern und Lyrikern wie Erich Mühsam, Ernst Toller, Gustav Landauer und Kurt Eisner und das Programm des damaligen „Rats geistiger Arbeiter“ unterschrieben u.a. Oskar Maria Graf, Paul Klee, Heinrich Mann, Robert Musil und Rainer Maria Rilke. (1)
Aus künstlerischer Perspektive lohnt es sich also, einen Blick auf diese Facette der revolutionären Bewegung dieser Zeit zu werfen. Massgeblicher Theoretiker und Vordenker der anarchistischen Verbindung von Kunst und Politik war Gustav Landauer. Die Produktion „Die Trommel passt sich zornig an“ orientiert sich deshalb an dessen politischer Philosophie in seinem Hauptwerk „Skepsis und Mystik“. Wissenschaftlich begleitet wird die Produktion durch Dr. Siegbert Wolf, Herausgeber sämtlicher Schriften von Gustav Landauer.
(1) Die Bewegung war stark von Männern dominiert. Frauen finden sich in diesem Kontext fast keine.
1. Die Bedeutung von Dichtung und Musik bei Gustav Landauer
Jahrzehnte lang war es still um den quer zum Zeitgeist liegenden Sozialphilosophen, Anarchisten, Pazifisten, Germanisten und Mystiker Gustav Landauer. Seit einigen Jahren ist jedoch eine Zunahme wissenschaftlicher Publikationen über Landauer zu beobachten. Diese Entwicklung dürfte durch die erstmalige Veröffentlichung seines Gesamtwerks im Verlag Edition AV durch Siegbert Wolf weiteren Schub erhalten. Zum anstehenden 100. Todestag wollen sich Oliver Augst (D) und Reto Friedmann (CH) dem unbequemen Visionär aus einer künstlerischen Perspektive annähern.
Gustav Landauer (1870-1919) kämpfte als antimilitaristischer Anarchist unermüdlich für eine gerechtere Gesellschaft. Dazu strebte er nicht eine politische, sondern eine soziale Revolution an, hin zu einer Gemeinschaft, die sich durch Freiwilligkeit, Vielheit, Freiheit und Gerechtigkeit auszeichnet. Heute würden wir von einer aktiven Zivilgesellschaft sprechen. Höhepunkt und zugleich Ende dieses Engagements war seine Beteiligung an der Münchner Räterepublik, bei welcher der Literat Kurt Eisner federführend war und zahlreiche Schriftsteller und Dichter mehr oder weniger aktiv beteiligt waren. Dichtung, Musik und Kunst hatten für Gustav Landauer eine zentrale Funktion für die Transformation der Gesellschaft. Der Lyriker ist für Landauer ein ewiger Empörer, ein Prophet, der an vermeintlich Festgefügtem zu rütteln vermag. Visionen für eine bessere Welt scheinen für Landauer in den präzisen Unschärfen der Poesie auf. An der Stelle, wo sich Sprache und Musik treffen, entsteht nach seiner Ansicht eine zukünftige Sprache, die Voraussetzung ist, um Neues zu denken.
Landauers soziale Revolution beginnt mit der Zerstörung der alten Sprache, führt in eine schweigende Innerlichkeit und schliesslich zur Welt schöpfenden Musik. Die Zerstörung der Sprache begründet Landauer mit der Sprachkritik von Fritz Mauthner, wonach die erstarrte Begrifflichkeit dem Zugang zur Wirklichkeit nicht förderlich sei. (2) Da die äussere Wirklichkeit durch die Sinne nur schlecht erschlossen werden könne, soll sich der Mensch, in Anlehnung an den spätmittelalterlichen Mystiker Meister Eckhart durch Absonderung auf die innere Wirklichkeit sensibilisieren. In seinem Innern soll der Mensch die Welt horchen. An dieser Stelle kommt die Musik ins Spiel. Musik versteht Landauer als primitiven Anfang einer neuen Sprache zur Schaffung von Welt. Als Geist gewordenes Sinnesleben vermöge die Musik einen Prozess zur Schaffung von Welt auszulösen. Die daraus entstehende Sprache ist dynamisch und bildhaft. Als bildhafte Poesie sei diese neue Sprache Künderin einer „neuen starken Aktion“ zur Entwicklung anarchistischer Gemeinschaften.
2. Die Trommel
Inhaltlich handelt das Hörspiel von der Trommel. Die Trommel als
Material, Ding, Skulptur, Klangkörper, Musikinstrument, Ausführer und
Sender. Als „snare drum“ bezeichnet, gibt sie in Rhythm & Blues, Pop und
Rock den Takt an. Unser Trommel-Spieler Jörg Fischer meint dazu: „Der
mit dem Rhythm & Blues und Rock 'n' Roll aufkommende harte Backbeat in
der Snare war quasi ein zentraler Bestandteil der Jugendkultur der 50er
Jahre, ihrer provokanten und rebellischen Attitüde. Ein flotter
Rock-Groove ist ein leicht abrufbarer Affekt, wirkt direkt über die
Motorik, liefert Energie für wildes Tanzen im Rudel. Gleichzeitig wird
die Musik dadurch geordnet, alles hat seinen festen Platz, keine
Überraschungen (und aus einer Freejazzer-Perspektive meine ich das an
dieser Stelle durchaus negativ wertend). Im Laufe vieler Biografien
verkümmert die wilde, beat-getriebene Musik leider allzu oft zum fernen
nostalgischen Nachhall eines einst rebellischen Lebensgefühls.“ Und ganz
im Landauer’schen Sinn beschreibt Fischer seinen Ansatz: „Was mir grad
wieder auffällt: Ich bin in meinem Denken schon ziemlich
Lachenmann-geprägt - Lachenmann hat seine ‚Schönheit alsVerweigerung
von Gewohnheit' aus einem gesellschaftskritischen Denkansatz entwickelt.
Und aus dieser Ecke kommend interessieren mich stark geräuschhafte
Hörangebote: welche Klangeigenschaften stecken in der Snare als
physikalischem Gerät? Dahinter steht ein Infragestellen des
herkömmlichen musikalischen Vokabulars und seiner gesellschaftlich
zugeschriebenen Bedeutung."
2.1. Zerstörung der Sprache
Der erste Schritt zur Text- und Musikentwicklung von „Die Trommel passt sich zornig an“ bezieht sich auf Mauthners Forderung nach der Zerstörung der Begrifflichkeit der Sprache.
Landauer stellt sich vor, wie der Zerfall der Sprache und damit die sich auflösende Vorstellung von Welt für Mauthner Fragen aufwirft: „Er muss vor sich gesehen und in sich gespürt haben, wie alle Worte zerrannen, alle festen Brücken zusammenbrachen, Stein und Mörtel sich verflüchtigten, alle Nägel sich lösten. In dieser Vernichtung aber entschied er, dass es hier zu arbeiten gebe. Nicht neu aufzubauen, sondern mit Hilfe des entsetzlich zugerichteten Materials neue Fragen zu stellen.“(3) Der Zerfall der Sprache und damit die Vorstellung von Welt werfen also zuerst einmal grundsätzliche Fragen an das Leben und Zusammenleben überhaupt auf.
Sprache und Musik stehen für Landauer also in einer spannungsvollen Beziehung zueinander. Diese Spannung wird auch in „Die Trommel passt sich zornig an“ erzeugt, indem ein Sprecher und ein Trommelspieler sich in eine konfliktgeladene Beziehung verstricken. Sie nehmen miteinander Kontakt auf, sie nähern sich gegenseitig an, prallen aneinander, stossen sich ab, flüchten, trotzen, umgarnen, lieben und umschmiegen sich. Es scheint schon fast ein Liebesverhältnis zwischen den beiden zu entstehen, eine Art Hassliebe.
2.2. Kontemplative Innerlichkeit
Der zweite Schritt von „Die Trommel passt sich zornig an“ führt in die kontemplative Innerlichkeit. Während eines Gefängnisaufenthaltes übersetzte Landauer als jüdischer Atheist Predigten des christlichen Mystikers Meister Eckhart ins moderne Deutsch. Seine Begeisterung für Eckhart betrifft dessen mystisches Konzept der Absonderung zur innerlichen Gotteserfahrung mit dem Ziel der Einswerdung von Mensch und Gott. Landauer säkularisiert diesen Gedanken, indem er den Kosmos an die Stelle von Gott setzt. Wie Mauthner sieht er in Eckharts kontemplativem Ansatz eine Alternative zur sprachlichen Erkenntnis von Wirklichkeit. Im Innern des Menschen bilde sich die Wirklichkeit nichtsprachlich direkt ab. Auf diese Weise könne der Mensch über die Gefühle zu einer Einheit mit dem Kosmos gelangen und auf diese Weise Wahrheit erfahren. Der Musik kommt dabei als eine Ästhetik der Physik eine besondere Bedeutung zu.
Sprecher und Trommelspieler begegnen sich nun beschreibend, bisweilen gar kontemplativ. Die Trommel ist nun nicht mehr Instrument und Zweck, sondern Gegenstand der Betrachtung.
2.3 Dynamische Neukonstruktion
In einem dritten Schritt kommt der Sprache wieder eine grössere Bedeutung zu. Denn auch Landauer und Mauthner kommen nicht ohne Sprache aus. Diese neue Sprache ist jedoch dynamisch poetisch. Sie schafft Neues, indem sie im Gegensatz zur wissenschaftlichen Begrifflichkeit Unschärfen, Paradoxien und Widersprüche zulässt. Das Ziel dieser Sprache ist nicht die Vereinfachung zu einem Begriff, sondern die Öffnung zur Vielfalt. Unterschiedliche Wahrnehmungen werden von Landauer nicht als zu klärendes Defizit, sondern als Reichtum aufgefasst. Aus dieser sprachlichen Neukonstruktion leitet Landauer nun die Schaffung eines neuen, anarchistischen Gesellschaftsmodells ab. Der einzelne Mensch soll die vorgegebenen Begriffe zerstören, durch einen inneren Prozess zu sich kommen und sich mit ähnlich Gesinnten zusammenschliessen und selbstverwaltete Produktions- und Lebensgemeinschaften gründen. Eine solche Gemeinschaft würde sich von unten nach oben gewaltfrei selber organisieren. Eine politische Revolution ist aus Landauers Sicht nicht nötig.
Im letzten Abschnitt von „Die Trommel passt sich zornig an“ breitet sich sprachlich-klangliche Differenziertheit und Vielschichtigkeit aus. Wörter und Klänge fransen aus, verschwimmen, transformieren sich, oszillieren zwischen verschiedenen Bildern und werden zum heiteren Spiel, wie Gustav Landauer meinte: „Zum Spiele lade ich ein.“
3. Vorgehen
Augst, Friedmann, Achterberg und Fischer treffen sich, um sich über die Marschtrommel auszutauschen. Jörg Fischer und der Sprecher erzählen dabei über ihre Beziehung zum Instrument und stellen ihr Repertoire an Spielweisen vor. Reto Friedmann schreibt darauf einen ersten Entwurf für den Sprech- und Singtext. Als Anleitung zur Textgenerierung dient ihm die Sprachkritik von Fritz Mauthner. Unterstützt wird er dabei von der Trommel. Diese traktiert den Text des Abschnitts „Zerstörung der Sprache“ bis zur Unkenntlichkeit.
Oliver Augst folgt nun für die Komposition dem inhaltlichen und klanglichen Verlauf des Sprechtextes, um dem Trommler Spielanweisungen zu notieren. Im Zusammenspiel von Jaap Achterberg und Jörg Fischer werden Text und Komposition ausgetestet, variiert und schliesslich nochmals überarbeitet.
4. Literatur
-Bündel Stefan, Zeitenwende 1914: Künstler, Dichter und Denker im Ersten Weltkrieg, München 2014.
-Graf Oskar Maria, Wir sind Gefangene. Ein Bekenntnis, Berlin 52017.
-Landauer Gustav, Skepsis und Mystik. Versuche im Anschluss an Mauthners Sprachkritik. In: -Siegbert Wolf (Hrsg.), Ausgewählte Schriften / Gustav Landauer, Band 7, Lich/Hessen 2011. -Mauthner Fritz, Beiträge zu einer Kritik der Sprache, Bd. 1-3, Leipzig 31923.
-Weidermann Volker, Träumer. Als die Dichter die Macht übernahmen, Köln 2017.
-Willems Joachim, Religiöser Gehalt des Anarchismus und anarchistischer Gehalt der Religion?. Die jüdisch-christlich-atheistische Mystik Gustav Landauers zwischen Meister Eckhart und Martin Buber, Albeck bei Ulm 2001.
Oliver Augst und Reto Friedmann setzen, nach dem erfolgreichen HUGO BALL BREVIER von 2016 und dem geplanten FESTSPIELE IM WALDE. NEUE TEXTE UND TÖNE ZU DEN TAGEBÜCHERN HENRY DAVID THOREAU von 2017/2018 mit dem neuen Projekt zu Gustav Landauer ihre künstlerische Auseinandersetzung mit Künstlern und Denkern fort, die über die Kunst hinaus an kühnen Visionen arbeiteten, wie Gesellschaft auch noch gedacht werden kann. Mit diesem dritten Projekt von Augst und Friedmann verfestigt sich die Zusammenarbeit zu einer kleinen Reihe.
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