DAS HOHELIED SALOMOS / 1999
Sprachskulptur
mehr
Gedankenleitend für die Interpretation des Hohenliedes sind die analytischen
Betrachtungen von Klaus Reichert (Übersetzer, Herausgeber, Autor) und
der Philosophin Annegret Stopczyk. "Ich niste mich in gewisser Weise
in Worte ein, tauche durch die Bilder des 'Liedes der Lieder' und entdecke
so die jeweils spezifische Struktur und Klanglichkeit des Textes - eines
'inneren' Dialoges weiblicher und männlicher Stimmen. Diese Arbeitsweise
ist ein feingliedriges Tasten und lustvolles Freilegen von Wortgeschichte
und Gedanken - ähnlich der Tätigkeit eines Archäologen, der
liebevoll Schicht für Schicht abträgt - um den Ungrund des Gedichts
hörbar werden zu lassen. Ich stelle mich dem Text als Medium zur Verfügung." Die
Fundierung der Sprache im Körper, wie Reichert dies für den Text
konstatiert, ist außerordentlich wichtig. In gewissem Sinne soll ein
komplexes Ballett entstehen: Leib, Atem, Geste, Klang, Bild; die "Ausleuchtung" der
polyphonen Verästelung von Text/Sprache/Geschehen. Die bisherigen Übersetzungen
des Hohenliedes stellen ein gutes Beispiel für die abendländische
Entwicklung zwischen Mann und Frau dar, in der das männlichere, einschränkende
Logos-Denken dominiert. Anlehnend an die Thesen der Philosophin Annegret
Stopczyk versuche ich mit dem Hohenlied Salomos in Reicherts Übersetzung
eine leibnähere Denkweise umzusetzen und sinnliche, weibliche Wahrnehmungsfähigkeiten
als Gegengewicht zu einem bikameralen ausbalancierten Denken zu formulieren.
Es geht um eine Synthese zwischen Weiblichem und Männlichen. Und ohne
zu groß nun das hier vorgestellte Ziel mit in die inzwischen mannigfaltig
geführte Kritik der Aufklärung hineinzunehmen, liegt doch der eben
aus dieser Kritik notwendig gewordene Versuch einer Wiederaneignung des Weiblichen
- hier im akustischen Sprachgeschehen - nahe. Überdies ist in der Übersetzung
Reicherts das ja alles schon da. Es gilt allein dafür ein Ensemble autonomer "Stimmen" zu
finden. (Michaela Ehinger)
mehr presse Bild