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DAS HOHELIED SALOMOS / 1999

Sprachskulptur

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Frankfurter Rundschau 27.10.1999:

Worte über die Liebe, geschüttelt

Michaela Ehinger wird das "Hohelied Salomos" in Bibliothek und Bar präsentieren

Von Hans-Jürgen Linke

Die Erfindung der Liebe ist viel jünger als die des Rades. Eines der ältesten literarischen Zeugnisse, die davon künden, ist das Hohelied Salomos, das in der Bibel nachzulesen ist. Allerdings in einem dem christlichen Abendland der Renaissance-Zeit angepassten Verständnis mit zudem diffuser und multipler Quellenlage.
Klaus Reichert vom Institut für Renaissanceforschung hat den Text neu übersetzt, hat die philologisch falschen Bügelfalten daraus getilgt und dem alten Gedicht seine fragmentarische, zuweilen dialogisch anmutende und eigentümlich widersprüchliche Form zurückgegeben. Die Schauspielerin Michaela Ehinger will nun daraus eine Sprachskulptur formen. Was eine Sprachskulptur ist? Das ist ein Versuch, den Text als Material zu begreifen und aus ihm etwas heraus zu meißeln: Bedeutungen, Klänge, dialogische und monologische Passagen, Gefühlslagen, Sinn und Unsinn. Also nicht einfach schulmäßig rezitieren, sondern vielleicht auswringen, ein wenig schütteln, auf ihm herumtrampeln, ihm Fragen stellen und Antworten entlocken. Vielleicht hier und da greller ausleuchten oder stellenweise verdunkeln.
Gelegentlich werden auch andere Materialien beigemischt, allerdings keine unpassenden, sondern zum Beispiel Rezitationen des hebräischen Ursprungstextes. Es geht nicht einfach darum, einen alten Text verständlich zu machen; manchmal ist es vielleicht erhellender, seine Fremdheit erfahrbar zu machen.
Außer dem Text ist Michaela Ehinger selbst Material der Sprachskulptur. Schließlich steht sie auf der Bühne als sichtbare Repräsentantin des Textes und geht damit ein beträchtliches Wagnis ein. Von dem, was sie tut, kann sie nichts mehr zurücknehmen oder übermalen oder ungeschehen machen. Es werden sichtbare und hörbare Fakten geschaffen. Die dritte Analogie zwischen ihrer Rezitation und einer Skulptur ist die räumliche Wirkung. Der Raum eines sprachlichen Kunstwerks ist sein Kontext. Darum will Michaela Ehinger die Skulptur zunächst in drei verschiedenen Räumen erproben, die je einen anderen Kontext zum Hohelied bilden ...


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