FASSBINDER
RABEN / ARBEIT / CD 2010
Paradoxe Räume – "eine Sprache aus Trauer und Licht"
ARBEIT ehrt Raben. Mit einer sehr besonderen Hommage, einem Universum von Raunen
und Rauschen, Knacken und Blinken. Einer "Sprache aus Trauer und Licht." Kein
Lied ist, wie es sein sollte, sie alle besitzen ein "Sein ohne Sein",
ein Sein als klanglich musikalische Oberfläche, das von den medialen Untertönen
seiner Gewissheit beraubt wird. Wo eigentlich spielen sich diese Töne ab?
Stimmungsvolle Melodien, poetische Texte und sparsam stützende Harmoniefolgen,
gegebene Zusammenhänge eines entspannt emotionalen Hörens, werden zersplittert
in klangräumliche Untiefen, erreichen und erfordern ein gebanntes Hören.
Als ginge es darum, aus den räumlichen Qualitäten den Sinn, die Sinnlichkeit
zu spüren. Aus Texten werden Subtexte, aus Klangräumen Subräume,
aus Emotionen Submotionen. Untergründige Bewegungen, Bewegungsspuren, die
nicht so richtig zueinander passen wollen und auf diese Art paradoxe Szenen kreieren;
Klangbühne eines doppelt Imaginären.
Jeder Klang, jede vokale Inszenierung bringt in "FASSBINDER RABEN" eine
Unzahl von Atmosphären mit sich. Der dosige Sound von Augsts Stimme durch
ein Funkgerät ruft die Couleur des technisch vergilbten wie zugleich anonym
gefährlichen auf. Der poetische Tiefgang von "Sein ohne Sein" verformt
sich vor unseren Ohren zu einer bizarren Durchsage, begleitet von Daemgens intelligent
knisternden Sound-loops, die längst das Imitat des Schallplattenkratzers
abgelegt haben und dem digitalen Klangarchiv die Reverenz erweisen. In dieser
medialen Behinderung von Musik gerät in "Nietzsche in New York" nur
ein Moment befreit in amtlicher Klangmischung, deren Sauberkeit aber nicht löst,
sondern beängstigt. Was für eine einschüchternde Wucht doch gut
ausgesteuerte Musik besitzt! ...
Aber hier handelt es sich nicht um Inszenierungen von Elektro-Smog, oder Techno-Punk.
Hier wird ein Ton angeschlagen, der der Sentimentalität und Erinnerung von
Dichtung auf paradoxe Weise entspricht. Jedes gesungene Wort, jeder Knackbeat
gewinnt eine eigene Räumlichkeit zwischen Dosenenge und Meeresweite. "Die
grossen weissen Vögel" spielen am Hafen, das weiss man vom ersten
Klangmoment. Der Hafen aber ist nur ein Klangbild, mit Schiffen, die von Disney
entworfen sein könnten. Irgendwo verliert sich die Stimme in der Ferne,
am Ende des Klavierechos. Dort, ganz weit hinten am Horizont, geht ein Beat auf,
dessen Näherkommen nicht seinem Puls entspricht, er fährt mit der Geschwindigkeit
eines Schnellbootes an die Klangszene heran, er attackiert die croonend intime
Stimmlage. Aber es kommt nicht zum klassischen Kampf der Klangfarben, sondern
zum hinreissenden Kitsch, der ebenso weit hinten als aufgehende Sonne sich ankündigt,
um im grell leuchtenden Mittagsklang die Intimität des morgendlichen Stimmgefühls
klanglich zu exhibitionieren, umspült von einer stereofonen Flutwelle.
Die kunstvoll inszenierten Klangwelten führen ein Eigenleben. Sie werden
mit den Liedvorlagen konfrontiert, nicht umgekehrt. Dadurch entsteht Umsetzung,
keine Abbildung. Eine Hommage an einen grossen Namen, der sich in die Geschichte
immer mehr einschreibt in Form der musikalischen Erinnerung, auch durch Ehrungen,
wie durch den seit 2009 eingerichteten Peer Raben Filmmusikpreis. Die Atmosphäre,
die den Namen selbst umgibt, indem er auf Filmabspannen umhergeistert und sich
in einer fast haptischen Qualität mit den Filmklängen amalgamiert,
taucht bei ARBEIT auf als musikalische Raben-Sprache, verwandelt und übersetzt,
und doch dokumentiert vom Lebensgefühl, auch der BRD (vergangen wie die
DDR), die sich im Wirtschaftswunder-Mäntelchen zu erkennen gibt als Atmosphären-grau-in-grau,
als Sprache zwischen Trauer und Licht.
Daemgen und Augst haben einen schillernd komplexen Klang-Stimm-kosmos entworfen,
der nicht nur ehrt, sondern erinnert, an hammond-orgelnd technoide Begeisterungspeinlichkeit
zwischen authentischer Bierhumpengemütlichkeit und dem nackten "Sein
ohne Sein". Das geht ganz ohne Attitüde von Angriff oder Aggressivität,
nicht in einer Antigeste vor sich. Liebevoll, kunstvoll werden die Erinnerungsräume
hervorgeholt als Trophäen eines Ichs, das sich seiner selbst nur noch vergewissern
kann durch den Ankerwurf in die medialen Fluten.
Dr. Steffen Schmidt (Institut for Cultural Studies in Art, Media and Design at
Zurich University of the Arts)
Booklet Info
Presse
mehr Presse
"Paradoxe Räume"
von Steffen A. Schmidt
Bild
CD-Cover
Live-Konzert 2010
Titelauswahl hören
Musikclip "Nietzsche In
New York"
CD-Bestellungen