SELBSTBESCHREIBUNG / 2021
2021/10/25 medienkorrespondenz
Oliver Augst/Michael Riedel: Selbstbeschreibung (HR 2 Kultur)
Mustergültig
25.10.2021 •
Diesmal singt Oliver Augst nicht selbst, wie in so vielen seiner Hörspiel- und/oder konzertanten Projekte, wie beispielsweise in „Alle Toten 1914“ (vgl. MK-Kritik) oder zuletzt in der „Winterreise“ oder in „Lou Reed in Offenbach“. In seinem neuen Hörspiel „Selbstbeschreibung“ sprechen die Computerstimmen Bones, Bruce, Catherine, Fiontan, Marie Ork, Markus, Mieke, Sarah, Vicky, Victoria und verschiedene andere mehr. Aber was sprechen sie eigentlich? Texte kann man das Wortmaterial kaum nennen, das die Grundlage für Augsts Hörspiel bildet. Es beruht auf einer Klanginstallation zu den Werken des bildenden Künstlers, Malers und Grafikers Michael Riedel.
Es ist nicht die erste Arbeit, die Oliver Augst auf Basis eines bildkünstlerischen Werks realisiert hat. Schon mit seinem Stück „Otium“ (HR 2016) reagierte er auf ein Künstlerbuch des österreichischen Künstlers Franz West (1947-2012). Wie überhaupt das Hörspiel nicht auf Adaptionen von Romanen oder Theatertexten angewiesen ist, sondern eben auch Werke der bildenden Kunst zum Ausgangpunkt nehmen kann, wie zuletzt beispielsweise Heiner Goebbels es tat, als er sich in seinem Stück „Gegenwärtig lebe ich allein…“ mit den Bildern von Henri Michaux auseinandersetzte (vgl. MK-Kritik). Ulrike Brinkmann, ehemals Hörspieldramaturgin bei Deutschlandradio Kultur, hatte für dieses Feld sogar einmal eine langlaufende Reihe unter dem Titel „Kunststücke“ eingerichtet.
Das Stück „Selbstbeschreibung“ basiert auf der 22-stimmigen Klanginstallation zu Michael Riedels gleichnamiger, in phonetischer Umschrift betitelten Ausstellung im Leipziger Museum der bildenden Künste im Jahr 2019. In Leipzig hat der 1972 geborene Riedel eine Professur für Malerei an der Hochschule für Grafik und Buchkunst.
Die Text-to-Speech-Automaten verschiedener Software-Generationen übersetzen Riedels Werke von ihrer fixierten Zweidimensionalität in die flüchtige Linearität des akustischen Mediums. Strukturiert ist das 54-minütige Hörspiel alphabetisch von A bis Z. Eine der ersten Wortverbindungen – einen Satz möchten man sie nicht nennen – ist: „Aktionen aktiviert Aktivität aktuellen algorithmischen allerdings.“ Darauf folgt wiederholt das Wort „Aneignung“. Auch jenseits der Alliterationen bemüht sich das Hirn des Hörers, Sinnzusammenhänge und Muster zu erkennen – oder diese zu konstruieren.
Verben gibt es nur wenige, stattdessen wird das Stück musikalisch von Repetitionen gestanzter Wortbestandteile vorangetrieben und ab und zu um ein paar Fetzen Popmusik ergänzt – die man wohl nur identifizieren kann, wenn man über die entsprechende Generationenkompetenz verfügt. Denn wer erinnert sich noch an Jona Lewie und seinen Hit „You’ll Always Find Me in the Kitchen At Parties“ aus dem Jahr 1980? (Wer seiner Erinnerung nachhelfen will: siehe YouTube.)
Als Selbstbeschreibung des „Betriebssystems Kunst“ – was immer diese Bezeichnung genau meinen soll –, kommen in dem Stück Wörter aus Katalogtexten zu Riedels Ausstellungen vor, meist Substantive, Adverbien und Adjektive. Die ersten neun Minuten des Hörspiels bringen die Buchstaben A und B zum Klingen, dann geht es schneller weiter: Das C ist weitgehend den „Clubs“ gewidmet, D der „Distribution“ und so geht es weiter durch das ganze Alphabet – mit gelegentlichen Rücksprüngen.
Was man strukturell als Anlehnung an die Sprachspiele von Franz Mon oder Gerhard Rühm auffassen könnte, ist doch etwas anderes, nämlich die Emanzipation der synthetischen Stimmen von ihrer Funktion als Vorleseautomaten zu Rhythmusmaschinen. Allerdings sind die Rhythmen, die hier erzeugt werden, eher flächige Strukturen als Beats – analog zu den grafischen Werken Riedels. Manchmal aber ragen Clicks and Cuts aus den Rhythmuswellen hervor und stechen direkt ins Trommelfell.
Was nicht heißen soll, dass die synthetischen Stimmen nicht auch über eine artikulatorisch-melodische Dimension verfügen. Mit Frage- oder Ausrufungszeichen kann man eine künstliche Stimme zu bestimmten Intonationen bewegen, durch die man dann auch bloßen Alliterationen eine Satzmelodie geben kann. Und manche Stimmen haben ihren eigenen Singsang in den Betonungen. Aber gesungen wird zwischendurch auch: die A-cappella-Kantate „Oh endless is this misery“ von Hanns Eisler – natürlich von einem Gesangsstimmengenerator namens „Alter/Ego“, der Software-Firma Plogue.
Wer oder was dieses Selbst ist, das sich im Hörspiel von Oliver Augst und Michael Riedel beschreibt, ist unklar. Dass es nicht die Autoren sind, ist offensichtlich. Dass es nicht die synthetischen Stimmen sind, ebenso, denn die haben kein Selbst. Zu vermuten ist, dass es die Schrift selbst ist, die sich hier beschreibt. Schrift und Schreiben fallen auseinander und begegnen sich in einem anderen Medium, nämlich dem der gesprochenen Sprache wieder. Einer Sprache allerdings, die von Maschinen gesprochen wird und nach musikalischen Gesichtspunkten strukturiert ist. Damit entkommt man der oft paradoxen Zirkularität der Selbstreflexion. Was schon in der phonetischen Schreibweise des Titels von Riedels „Selbstbeschreibung“-Ausstellung angedeutet wurde, hat Augst mustergültig als Radioversion umgesetzt. Schrift im Hörspiel? Mit Oliver Augst und Michael Riedel ist das kein Problem, sondern ein Gewinn für beide Seiten.
25.10.2021 – Jochen Meißner/MK
Karl-Sczuka-Preis 2021
Das Hörspiel vom Hörspiel 2021
Michael Grote, Mitglied der Jury zum Karl-Sczuka-Preis, stellt Werke für Hörspiel als Radiokunst aus dem diesjährigen Wettbewerb vor.
Regie: Michael Grote
Produktion: SWR 2021
Sendung vom
Sa., 30.10.2021 23:03 Uhr, SWR2 Ohne Limit: ars acustica, SWR2
Das Hörstück Selbstbeschreibung von Oliver Augst und Michael Riedel ist größtenteils aus dem akustischen Material synthetischer Stimmen komponiert. Ausgehend von der gleichnamigen Ausstellung Riedels hat Oliver Augst einen 22 stimmigen Soundtrack hergestellt, der in der eingereichten Kompositionen eine kürzere stereofone Form gebracht wurde. Im Mittelpunkt von Michael Riedels Arbeit steht die Kommentarbedürftigkeit von Kunst. Das Material für seine grafischen Werke sind die Selbstbeschreibungen des Kunst Systems und dessen Ankündigungsrhetorik, Mitschnitte von Ausstellungseröffnungen und künstlerischen Aktionen, Telephongespräche, Texte aus Kunst, Katalogen werden mithilfe grafischer Textverarbeitung, Vergrößerung, Vervielfältigung und Collage an die Grenze der Lesbarkeit gebracht.
Das Grundprinzip ist die Reproduktion, die den romantischen Anspruch an eine Originalität der Kunst gezielt unterläuft. Für den Soundtrack wurden die Text- Collagen mithilfe von Vorleser-Automaten wieder in akustisches Geschehen zurückverwandelt. Zu hören sind die synthetischen Stimmen aus Sprach-Programmen aller Generationen. Owens, Bruce, Katherine, Fiona, Tan, Marie, Orc, Marcus, Mike, Sarah, Vicky, Victoria und viele mehr. Diese werden in der Komposition von Augst systematisch an ihre Grenzen geführt. Die Wahrnehmung der Stimmen schwankt immer wieder zwischen Anziehung und Abweisung, zwischen Identifikation und kritischer Distanz.
Immer wieder klingt in den synthetischen Lautfolge so etwas wie eine subjektive Färbung des Sprechens etwas wie ein menschlicher Ausdruck an. Um im nächsten Augenblick in der maschinenhaften Mechanik der repetitiven Artikulationen wieder unterzugehen. Der Schein der Authentizität ist der Zielpunkt der synthetischen Stimmen. Die Namen der Computerprogramme wie Ghost Rider oder Alter Ego benennen diese Ambition mit wünschenswerter Deutlichkeit. Der Gegensatz von Sprache und subjektiver Stimme, wie er im Hörspiel immer wieder mal behauptet wurde, weicht der Einsicht, dass auch die Stimme längst kein Garant mehr für Authentizität oder Ursprünglichkeit ist.
Die Produziertheit der Stimme, die bereits mit der Aufzeichnung der Technik eingeführt war und die Stimme von ihrer Körperlichkeit löste, wird in den synthetischen Stimmen im Hörspiel an einen Endpunkt geführt. Sie haben kein reales Substrat mehr und sind, von jeder Bedeutung befreit, reine Klang-Instrumente und frei verfügbares Material der Komposition.
Jochen Meißner – epd-medien 10/2022
Die Schrecken des Realen jenseits des Kommunikativen konnte man im Hörspiel des Monats September in der bereits zweiten Hörspielfassung des Romans „Das große Heft“ (DLF/HR/SRF) der ungarischschweizerischen Schriftstellerin Ágota Kristóf hören. 1989 hatte den Text Heinz Hostnig realisiert, 2021 war es der Schweizer Regisseur Erik Altorfer. Mit Libgart Schwarz in der Rolle der Großmutter, die ihre Zwillingsenkel einem gnadenlosen Abhärtungsprozess unterzieht,
Unglücklicherweise wurde im gleichen Monat auch die Soundcollage „Selbstbeschreibung“ (HR) urgesendet, die sich mit einer lobenden Erwähnung begnügen musste. Der Hörspielmacher Oliver Augst hat zusammen mit dem bildenden Künstler, Maler und Grafiker Michael Riedel unter dem Einsatz mehrerer synthetischer Stimmen eine gewitzte Selbstbeschreibung des „Betriebssystems Kunst“ gemacht, wobei das „Selbst“, das sich hier beschreiben soll, wohl die Schrift selbst ist. Nicht nur Oliver Augst kennt sich mit der Transposition bildnerischer Werke ins akustische Medium aus.
Auch Heiner Goebbels, der 15 Jahre nach seinem letzten Hörspiel wieder einmal ein Stück für das Radio produziert hat, hat sich mit dem Werk eines bildenden Künstlers auseinandergesetzt. „Gegenwärtig lebe ich allein“ (SWR, DLF Kultur, Kritik hier) heißt sein Hörstück in neun Bildern nach Texten des Malers Henri Michaux.
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