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ONE MILLION YEARS (PAST AND FUTURE) / 2002

von On Kawara

Presse:

funkkorrespondenz

Eigenwilige Ansätze                Hörfunk
           
On Kawara: One Million Years – Past II / Future II / Juan Muñoz: A Registered Patent. A drummer inside a rotating Box (documenta meets radio – radio meets documenta)
HR 2 Mi 28.8. / 4.9. 22.30 bis 23.30 Uhr – jeweils montags vom 10.6. bis 9.9. 23.30 bis 24.00 Uhr
„One Million Years“ ist eine lange Zeit. Mit ihr konfrontiert, kann man sich durchaus als klein und unbedeutend fühlen. Genau dies ist zunächst auch der Eindruck von On Kawaras gleichnamigem Projekt – Exponat der Documenta 11 und in einer verkürzten Radiofassung zu hören auf HR 2.

„One Million Years“ besteht aus nichts anderem als Jahreszahlen, zusammengefasst zu zwei langen Reihen, „Past“ und „Future“, und zu einer Dimension überhöht, die sich der Vorstellungskraft entzieht – ganz dem Titel gemäß. Neben der schriftlichen Variante, der zu einer Art Loseblattsammlung in 20 Bänden zusammengefassten Schreibmaschinen-Notate, werden in der akustischen Fassung die Daten gelesen, abwechselnd von zwei Sprechern und immer in der strikten Abfolge der Chronologie. Auf der Documenta geschieht dies täglich zehn Stunden lang, die zweiteilige Radiofassung umfasst mit ihren jeweils 60 Minuten im Teil 1, „Past“, die Daten 993114 bis 992721 BC („before Christ“) und im Teil 2, „Future“, die Daten 7707 bis 8039 AD („Anno Domini“): Eine akustische Alternative zu On Kawaras berühmten „Date Paintings“.

On Kawaras Projekt ist kühn, radikal und konsequent. Akribisch hat er notiert und gesammelt, und er konfrontiert den Rezipienten nun im konkreten Erlebnis mit einem vermeintlich kollektiven historischen Gedächtnis. Er dokumentiert keine Ereignisse und protokolliert keine Erinnerungen, sondern regt dazu an, die zu Chiffren stilisierten Jahreszahlen, die jede Ereignishaftigkeit nivellieren, mit dem individuellen Erinnerungsrepertoire zu füllen. Die Vergangenheit im Teil 1, Past, ist laut Untertitel gedacht „For those who have lived and died“, Teil 2, Future, ist „For the last one“. Mit diesen pessimistischen wie realistischen Verweisen auf die Vergänglichkeit des irdischen Daseins bekommt das ansonsten rein abstrakte Ordnungsverfahren eine emotionale Komponente. Auch die stimmliche Repräsentation trägt dazu bei. Oliver Augst und Christoph Korn haben die Studiofassung für den HR realisiert und es scheint, als hätten sie sich bei der wiedergegebenen Zeit vor allem auf den gleichmäßigen Fluss und die sich irgendwann einstellende meditative Stimmung der vergehenden Zeit konzentriert: „993114 ... BC – 993113 ... BC – 993112 ... BC – ...“; „7707 ... AD – 7708 ... AD – 7709 ... AD – ...“.

Die Dimension von On Kawaras Werk erscheint einerseits etwas aufgeblasen – wer hört sich schon stundenlang vorgelesene Jahreszahlen an! Andererseits aber funktioniert das ganze Konzept nur durch und mit dieser Opulenz. Und wer sich tatsächlich in diese Opulenz fallen lässt, wird bemerken, dass es funktioniert: Nach einer gewissen Zeit entfaltet sich die Wirkung, und dies wohl am eindringlichsten für denjenigen, der sich zuhause in abgedunkelter Atmosphäre ganz den Stimmen hingibt, die unaufdringlich und doch nachhaltig auf ihn einströmen. Man stelle sich vor, man könne alle dabei ausgelösten Konnotationen sammeln und festschreiben – die Fülle an Erinnerungen und individuellen Interpretationen würde ein weiteres Großprojekt hervorbringen. Die 32 CDs des Gesamtwerks sind in limitierter Auflage beim Hörverlag erschienen: 784 Euro Subskriptionspreis, ab 16.9.2002 gibt es sie für 980 Euro. Nun denn ...
goetz schmedes



Frankfurter Rundschau v. 23.08.2002, S.29, Ausgabe: R Region
Von Dorothee Baer-Bogenschütz

Einemillioneintausendneunhundertfünfundneunzig

On Kawaras "One Million Years" im Hessischen Rundfunk und auf CD

One million years gilt als zentrale Arbeit von On Kawara. Als er selbst auf die vierzig zuging, startete der japanische Konzeptkünstler sein episches Projekt, mit dem er dem unerbittlichen Zeitfluss ins Auge sieht. Der Bedeutung der Zeit als Maßeinheit der menschlichen Existenz eingedenk, hämmerte er obsessiv Jahreszahlen in die Schreibmaschine. Beginnend mit dem Jahr 998 031 vor Christus und 1969 nach Christus endend, tippte er seit 1970 die "Past-Reihe". 1980 folgte die Fortsetzung - "Future" -, die auf 1 001 995 zählt. Das gesamte Werk endete für On Kawara 1989 in 20 Bänden.
Der Glaskasten auf der Documenta, in dem ein Sprecherpaar jeden Tag mit verteilten Rollen On Kawara liest, mithin die von ihm notierten Jahreszahlen herunterschnurrt - die Dame die geraden Zahlen, der Herr den Rest -, ist womöglich die zentrale Arbeit in Kassel. Mehr Memento Mori war nie.
Um das bedeutende Werk auch der breiten Öffentlichkeit erfahrbar zu machen, bietet sich das Medium Hörfunk an. Der Documentaleiter trat durch offene Türen. "Okwui Enwezor hat Interesse am Radio gezeigt, und dann sind wir eine Kooperation eingegangen", erzählt hr- Hörspieldramaturg Manfred Hess.
Sein Studio hat als exklusiver Radiopartner mit 18 professionellen Sprechern - unter ihnen Michaela Ehinger, Jochen Nix und Andreas Wellano - 32 CDs mit dem Zahlenwerk von je einer Stunde Dauer produziert. Wie bei der Soundinstallation in Kassel nahmen die Zahlenleser jeweils paarweise am Mikro Platz. In einer Holzbox werden die Compact Discs nun in limitierter Auflage als Multiple verkauft. Am 28. August und 4. September kann man auf hr2 jeweils von 22.30 Uhr bis Mitternacht schon mal gratis in das meditative Hörkunstwerk hineinhören und prüfen, ob man 32 Stunden On Kawara lauschen mag oder vielleicht Elvis besser verträgt.
"Zum ersten Mal haben wir uns in den Dienst eines Kunstwerks gestellt", erklärt Hess stolz, "der öffentlich-rechtliche Rundfunk zeigte Flagge und holte konzeptionelle Kunst ins Radio." Hess beachtete On Kawaras Sonderwünsche bis ins Detail und verpflichtete mit Oliver Augst und Christoph Korn als Aufnahmeleitern - bekannt von eigenen konzeptkünstlerischen Darbietungen - "Leute, die von der elektronischen Musik kommen und sich zurücknehmen können in der Regie". Schließlich komme es bei den einzelnen Sessions "auf die Pausen an".
Der Meister hatte verfügt, dass die akustische Umsetzung der Zahlenkolonnen von Deutschen, wiewohl in englischer Sprache erfolgt. "Die Amerikaner reden aber schneller", hat Hess festgestellt, an dessen Fähigkeit zum exakten Timing das Projekt besondere Anforderungen gestellt haben dürfte. Er selbst, der während der Produktionsphase sechs Wochen lang täglich On Kawara hörte, erlebte sich als empfänglichen Rezipienten. "Das Werk berührt so stark, weil sich ja hinter jeder Jahreszahl Ereignisse der offiziellen und privaten Geschichtsschreibung verbergen."
Ein anderer Frankfurter Kunstvermittler realisiert in Kürze einen weiteren On- Kawara-Wunsch. MMK-Direktor Udo Kittelmann - "On Kawara ist einer meiner Lieblingskünstler" - richtet gerade hinter den Date Paintings im Museum für Moderne Kunst eine Raucherecke ein, in der man sich qualmend und im Stehen der verfließenden Zeit bewusst werden darf. Zur Kippe einen Kopfhörer zu reichen mit der Aufnahme des hr, das erst wäre das wahre Gesamtkunstwerk - eine veritable Zeit-Bombe.
Das im Hörverlag München in einer Auflage von 250 Exemplaren edierte Multiple kann bis zum 15. September zum Subskriptionspreis von 784 Euro bezogen werden. Danach kostet es 980 Euro. Die hr2-Sendetermine für Sessions aus den Reihen Past und Future sind der 28. August und der 4. September, Beginn ist jeweils um 22.30 Uhr.


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