HEIMAT / 2001
Bei der Performance von Augst/Daemgen/Ehinger/Korn geht
es um die künstlerische
Auseinandersetzung mit dem ur-deutschen Begriff Heimat.
Unter Verwendung von sprach-klanglichen sowie literarischen Vorlagen wird Heimat öffentlich
abgearbeitet.
Die persönliche Geschichte der einzelnen Performer, die sich natürlich
aus subjektiven Erfahrungen, Erlebnissen, Vorlieben, Gefühlen usw. zusammensetzt,
wird zum Ausgangspunkt der klanglichen Aktion.
Hat z.B. der in Volksliedern gepriesene Wald wirklich etwas mit der eigenen
Auffassung von Heimat zu tun oder ist Heimat vielmehr ein persönliches
Erlebnis, der Klang der (Mutter-) Sprache oder bestimmter Musik ...?
Der Begriff "heimat" ist für die Künstler Oliver Augst,
Marcel Daemgen, Michaela Ehinger und Christoph Korn weniger eine Kategorie,
die zu bestimmen oder zu interpretieren wäre. Vielmehr dient "heimat" als
Metapher, als Platzhalter für ein geschichtliches Gedächtnis, als
Ort eines Archivs.
Von Hermann Hesse stammt der Gedanke: "Heimat ist in dir innen." Wie
aber formuliert sich dieses "Innen" und wo werden dessen gewahr? Dabei "geht
es zuallererst um strukturelle Überlegungen, und daraus ergibt sich der
Inhalt, zu dem man selbst sozusagen ein etwas zwiespältiges Verhältnis
hat. (Morton Feldman, 1987)
Parallel erscheint die CD "An den deutschen Mond" von arbeit (Augst/Daemgen/Korn)
im Vertrieb der EFA-Medien GmbH sowie das Hörspiel "Volksliedmaschine" im
Auftrag des hessischen Rundfunks
"Euch weih´ ich die Stimme des Volks,
der zerstreuten Menschheit,
Ihren verhohlenen Schmerz, ihren verspotteten Gram;
Und die Klagen, die niemand hört, das ermattende Ächzen
Des Verstoßenen, des Niemand im Schmuck sich erbarmt.
Laßt in die Herzen sie dringen, wie wahr das Herz sie hervordrang,
Laßt sie stoßen den Dolch in des Entarteten Brust"
....Aber ich weih´ Euch auch die Liebe, die Hoffnung
Und den geselligen Trost, und den unschuldigen Scherz,
Und den fröhlichen Spott und die helle Lache des Volkes,
Ü
ber erhabnen Dunst, über verkrüppelnden Wahn;
Weih´ die Entzückungen Euch, wenn Seel´ an Seele sich anschließt,
und sich wieder vereint, was auch die Parze nicht schied;
Weih´ Euch die Wünsche der Braut, der Eltern zärtliche Sorge,
Was in der Brust verhallt, was in der Sprache verklingt."
(J.G. Herder)
Die Performances mit Bearbeitungen deutschsprachiger Volkslieder schließen
an das umfangreiche Brecht/Eisler-Projekt der Gruppe TextXTND von 1998 an, als
sie ausgewählte Lieder auf einer inzwischen vielbesprochenen CD neu vertonten
und auf eigenem Label im Vertrieb von EFA-Medien europaweit veröffentlichten,
die Bühnenproduktion "Arbeit für Eisler" im Künstlerhaus
Mousonturm in Frankfurt realisierten und die Musikfilmkompilation "Winterspruch",
eine Hommage an die Liedkompositionen Hanns Eislers, verschiedener Filmemacher
für das Fernsehen initiierten und inhaltlich und musikalisch bestückten. "Winterspruch" wurde
inzwischen mit dem hochdotierten hessischen Filmpreis 1999 ausgezeichnet. Ein
Hörspiel, "Eisler-Prospekt", als Auftragswerk für den hessischen
Rundfunk wurde Anfang 2000 urgesendet, und das Projekt "Volksliedmaschine" 2002
im ZKM Karlsruhe präsentiert. (Pressestimmen liegen bei).
Auch bei Brecht/Eisler gibt es den Terminus "Volkslied". Zumindestens
in dem Sinne, dass für ein Kollektiv - nämlich die Arbeiterklasse
- komponiert und geschrieben wurde. Als Scharnier zwischen dem vorliegenden
Brecht/Eisler-Projekt und den nun geplanten Volkslied-Performances haben wir "Es
geht eine dunkle Wolk´ herein" - einen Text aus dem 30jährigen
Krieg, den Eisler um 1945 vertonte - mit in unsere Auswahl aufgenommen.
Allerdings ist wohl das Spezifische des Volksliedes seine Variation durch ein
Kollektiv, in der sich die geschichtliche Entwicklung immer wieder aktualisiert
auszudrücken vermag (die Brecht/Eisler Lieder verweisen im Gegensatz dazu
eher auf die Autoren selbst, sie sind mehr zu erschließende Kunstwerke,
Kunstlieder. Sie unterliegen keiner Variation durch ein Kollektiv. Auf der anderen
Seite: Gäbe es nach wie vor eine revolutionäre Arbeiterbewegung, wer
weiß wie man heute etwa die "Resolution" singen würde .
. .)
Der Musikwissenschaftler Steinitz bezeichnet die schöpferische Liedgestaltung
durchs Kollektiv als das wesentliche Merkmal des Volksliedes. "Ohne diese
Mitarbeit gibt es meines Erachtens kein Volkslied. Die Teilnahme oder Mitarbeit
drückt sich am untrüglichsten und eindeutigsten in den Varianten aus,
im Umsingen, in der ständigen Bereitschaft, ein Lied einer neuen Situation
oder neuen Stimmungen entsprechend umzugestalten, ohne sich um die Autorität
eines Vorbildes zu kümmern." (Bei "Ein Fichtenbaum" aus
Heines "Buch der Lieder" etwa wurden allein 121 Variationen gezählt)
Es ist das, was Herder im Eingangszitat beschreibt, was im Volkslied sich ausdrücken
kann:
"
Liebe...Hoffnung...Trost...Spott...die helle Lache des Volkes...Entzückung...die
Wünsche der Braut...der Eltern zärtliche Sorge......."
Oder aber auch die Stimme der geknechteten Bauern, Soldaten, Arbeiter:
"
Schmerz...Gram...Klagen...Ächzen......"
Weniger die Reaktualisierung des Volksliedes im Sinne seiner Singbarkeit durch
die Masse interessiert uns, als mehr das Aufschimmern der in ihnen aufbewahrten
geschichtlichen Bruchstücke. Diese Bruchstücke sollen als Kulturdokument
theatralisch festgehalten und neu oder auch wieder, auf jeden Fall aber aus
unserer historischen Jetzt-Position beleuchtet werden.
Wir knüpfen an die Tradition der Variation an, indem wir die Lieder und
deren Texte in Form von remixes für das Theater, die Bühne bearbeiten.
Der remix ist, wenn man so will, die aktuelle Produktionsweise der Variation.
Unser Begriff des remix ist weit gefasst: er reicht, wie in unseren Brecht/Eisler
Liedbearbeitungen schon realisiert, vom avancierten Pop ausgehenden Fassungen
(z.B. bei "Und ich werde nicht mehr sehen, das Land, aus dem ich gekommen
bin") bis hin zu abstrakteren Formen, die eher in den Bereich der akustischen
oder Performance-Kunst verweisen (z.B. bei "An den kleinen Radioapparat").
Diesen ästhetisch weit gefassten Bogen hält die ausdrucksvolle, ganz
leise Stimme des Sängers Oliver Augst zusammen. Die Lautstärke und
Dynamik der Stimmbehandlung bei "heimat" wird bewußt an der
unteren, zerbrechlichen Schwelle zum Verschwinden hin angelegt. Es sollen hier
nicht zum wiederholten Male Textformeln marschmäßig eingebleut oder
schöne Auen blind gepriesen werden; der Hörer wird angeregt, ermutigt,
selbst zu kombinieren, zu urteilen, zu empfinden und zu reagieren. "Der
Sänger, Sprecher ist mit dem Mund so nahe am Mikro, dass beim Hören
der Eindruck entsteht, man habe das Ohr nahe am Mund des Sprechers". Ziel
ist dabei eine "vibrierende Intimität", innerhalb derer der sprachliche
und musikalische Fundus zunächsteinmal ganz direkt als pures Material betrachtet
werden kann. Bindend - jedoch nicht zwingend - bleiben Text und Gesangsmelodie
in der "ursprünglichen" (zumindest uns weitgehend überlieferten)
Form bestehen. Wie schon bei dem Brecht/Eisler-Projekt arbeiten wir mit der
aktuell zur Verfügung stehenden Technologie, dem Computer und seinen Möglichkeiten:
sampling, hard disc recording, sequenzing, Austausch von Daten auf unterschiedlichen
Systemen, technologischer Zugriff aufs Material selbst etc.
Durch die Kooperation mit dem Deutschlandradio entsteht zusätzlich die
Möglichkeit, neben der Gesangs- und Sprechstimme auch andere akustische "konventionelle" Klangkörper
in die Produktion miteinzubeziehen. So soll z.B. für das Volkslied "Ich
stand auf hohem Berge" die Begleitung von Marcel Daemgen neu auskomponiert,
arrangiert und von einem Streichquartett im Studio eingespielt und auf der Bühne
verwendet werden.
Eine Audioversion von "heimat" wird im Deutschlandradio urgesendet.
Begriff Heimat
Zwar verhält sich unsere künstlerische Arbeitsweise per se schon sperrig
zur Volkstümelei. Durchaus jedoch ist der Umgang mit dem "deutschen" im
Thema (auch "Heimat", "Schönheit" usf.) - allein schon,
was sich in der deutschen Sprache der überlieferten Texten aufbewahrt -
wesentlicher Bestandteil der künstlerischen Bearbeitung.
Positiv formuliert: Uns interessiert der Zugriff aufs Material auch aus der
Position des Fremden.
Deswegen haben wir uns auch entschlossen, nicht eine feste Form von "heimat" zu
manifestieren und diese dann im Sinne von Gastspielen an verschiedenen Orten
einfach wiederzugeben, sondern im Zusammenhang mit den immer neuen lokalen Gastkünstlern
aus dem Theater-, Musik- und Performancebereich eine jeweils neue authentische
Fassung für deren "Heimat-Ort" zu kreieren. Berücksichtigung
finden hierbei die Aspekte der spezifischen Landessprache, Übersetzung
und Re-Übersetzung des von uns vorgeschlagenen Textmaterials, vor Ort gefundenes
Material, vom jeweiligen Künstler vorgeschlagenes Material (Musik, Text
usw.)
Archiv
Archiv meint die Sprach -Klangumgebung, die sich im Laufe der Arbeitsphasen
an den verschiedenen Orten und in der Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Gastkünstler
immer komplexer anreichert. Ort des Archivs sind alle samplefähigen Maschinen
und lesbar/textliche Aufzeichnungen.
Der Gastkünstler ist Brückenkopf zum jeweiligen Ort. Der Austausch
von Daten findet mit ihm schon weit vor der eigentlichen Realisation der Bühnenarbeit übers
world wide web statt. Übers web werden klangliche, visuelle und textliche
Materialien ausgetauscht, archiviert, gelöscht.
Die textlichen und klanglichen Bestandteile des Archivs beziehen sich keineswegs
nur auf spezifische lokale Aspekte. Die Reise und die wache Anwesenheit an Orten
schon wird zur Generierung von Material genutzt. In Wirklichkeit werden Bestandteile
der Landschaft, des Raums, der Architektur, der Aufteilung, der Sprachumgebung
mit den zur Verfügung stehenden Maschinen "gescannt" und ins
Archiv, das wiederum Grundlage und Materialpool für die Bearbeitungsvorgänge
während der Liveaufführung ist, aufgenommen.
Die Bestandteile werden nicht katalogisiert. Vielmehr werden sie im Livegeschehen
angewendet. Das Archiv bildet sich dabei weniger etwa als Ordnung oder Unordnung
ab, vielmehr zeigt es sich in Begriffsfeldern wie: das Symbolische, die Stellung,
das Differentielle, das Besondere, das Differenzierende, die Differenzierung,
das Serielle. Das Archiv ist ein immer komplexer werdendes System von möglichen
Verbindungen und Ausschlüssen.
Das Archiv wird am Ende des gesamten Projekts in Form einer CD-Box und eines
Textkatalogs unsystematisiert zur Verfügung gestellt.
Sprache
Für "heimat" ist eine kunstsprachliche live vorgetragene Ebene
und ein "Sprachkörper", der sich aus der Verkoppelung samplefähiger
Maschinen bildet, konzipiert. Die live vorgetragene Sprache/Gesang (M. Ehinger/O.
Augst) interagiert in ihrem Material (ausschließlich deutschsprachige
Texte und Textfragmente) und der Nachvollziehbarkeit ihrer Hervorbringung mit
dem rein artifiziellen Sprachapparat, der eine Vielzahl von samples live bearbeitet
und wiedergibt. Dieser Apparat ist eine in sich verkoppelte und interagierende
Sprachmaschine, die über die bewußte und reflektierte Bedienung durch
die Künstler hinaus selbstgenerierend Sprachklänge synthetisiert und
hervorbringt.
Ist der Ansatz der kunstsprachlichen Ebene, "den Text selbst zum Sprechen
zu bringen", generiert die "Sprachmaschine" eher eine chorische
Vielzahl von Sprachklängen, die mehr parallel existieren, als sich durchdringen,
eher monadisch bei sich bleiben, als selbst schon was "erzählen".
Integrierend dazu untersucht die kunstsprachliche Ebene das Sprachgeschehen
nach seinen semantischen und semiotischen Verästelungen. M. Ehinger zu
ihrer Arbeit mit Texten: "Ich niste mich in gewisser Weise in Worte ein,
tauche durch die Bilder und entdecke so die jeweils spezifische Struktur und
Klanglichkeit eines Textes. Etymologische Aspekte verfolge ich von Zeit zu Zeit.
Diese Arbeitsweise ist ein feingliedriges Tasten und lustvolles Freilegen, ähnlich
der Tätigkeit eines Archäologen, der liebevoll Schicht für Schicht
abträgt. Wobei dieses Tun bereits das Ziel ist. Später, während
des Vortrags, kann ich mich auf die gesammelte Erfahrung verlassen. Ich stelle
mich, sozusagen, dem Text als Medium zur Verfügung. Dieses Verfahren steckt
ja schon im Wort "Interpretation" selbst drin: dazwischentreten.
Über die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Künstlern vor Ort hinaus,
werden für den artifiziellen Sprachapparat Künstler und Kollegen aus
den USA, Europa, Japan, Skandinavien gebeten, samples zum Begriff "heimat" anzufertigen
und uns zu schicken. Angesprochen werden: Sasker Scheerder, Maeror Tri, Aube,
Marc Behrens, Justin Bennett, BMB con, 87 Central, Das Synthetische Mischgewebe,
dj low, Tetsuo Furudate, Massimaliano Gatti, Grassy Knoll, Mike Harding, Carl
Michael von Hausswolff, Carl Stone, Edwin van der Heide, Dive/Sonar, Scott Solter,
TMRX, Aphasia, Mason Jones, Gert-Jan Prins, Artifical Memory Trace, K2, Zion
Train, s.e.t.i., Thirdorgan, Starfish Pool, Francisco Lopez, Peter Duimelinks,
John Duncan, Merzbow, Scanner, Rijk van Kooij, Lasse Marhaug, dj spooky, Willem
de Ridder, Stillupsteypa, Heimir Bulgolfsun, Twilight Circus, Soundsystem, Metamkine,
electronicat, Pimmon, Philip Samartzis, Janek Schaefer, David Cotner, Skin Crime,
Vox Barbara, Tape-beatles, Laughing Stock, Frances-Marie Uitti, Shifts, Tom
Welsch
Bühnenbild
Für die Bühnenraumgestaltung von "heimat" werden Fragen
von gestalteter Nichtgestaltung, das Beobachten und den Einsatz bzw. das Benutzen
vorgefundener raumspezifischer Beschaffen- und Besonderheiten, künstliches
aber auch natürliches (vorgefundenes) Licht, minimale Eingriffe in die
gegebene Raum-Architektur Ausgangspunkt und Gegenstand der plastischen Arbeit
sein. Zentrum der Gestaltung sind die "Werkbänke", die Schreib-,
Sprach- oder Arbeitsplätze der Darsteller, Akteure, Musiker und deren komplexe
Audio-Verkabelungen miteinander, Mikrophone, Soundprozessoren, Musikinstrumente,
Papierstapel, Noten, Texte, Trinkgläser, Wasserflaschen usw. Diese funktionalen
Werkstätten samt ihrer Bediener/Arbeiter werden als Objekte (ready mades)
hell ausgeleuchtet und ausgestellt.