ARBEIT FÜR EISLER
/ 1998
Ausgangspunkte
dieser Bühnenarbeit sind im sprachlichen und musikalischen
Sinne eine Auswahl weitgehend unbekannter Brecht/Eisler Lieder, die in ihren
kleinen Formen, quasi miniatürlich (oder als Sample), nicht nur das politische
und geschichtliche, sondern auch das ästhetische Interesse beider Urheber
verdichten.
textXTND ist an der politischen Haltung Eislers und Brechts nicht allein aus
historischen Gründen interessiert - sich 1998 mit Brecht/Eisler auseinanderzusetzen,
heißt auch: sich politisch zu formulieren.
"Alle Klänge sind Immigranten … keiner hat es darauf abgesehen
eine Vergangenheit zu kreieren."
(Andrew Jones, Wembley, 1995)
Die Bühne dient als Sammel- und Ausstellungsfläche vorbereiteter,
angehäufter Materialien - Text/Sprache, Musik/Klang, Darstellung/Aktion
- die mittels verschiedener Sound-Maschinen (Audiocomputer, Sampler, Hard-Disc-Systeme,
Kassetten- bzw. DAT-Geräte, Plattenspieler, Loop-Maschinen und Internetschaltungen)und
live-Stimmen von dem Ensemble von Musikern, Schauspielern und visuell arbeitenden
Künstlern nicht reproduziert, sondern im Ablauf der Performance konzeptionell
improvisatorisch-situativ zu jeweils neuen Ebenen verarbeitet, kommentiert,
dekonstruiert, verzerrt oder restlos zerstört werden. Analog zu einer
Studiosituation sollen diese Klangmaschinen live gespeist und abgerufen und
der technische Produktionsprozeß offen gelegt werden.
"Jeder Klang ist für jeden da, der mit ihm arbeiten will, jeder Klang ist
JETZT."
(Peter Niklas Wilson in "Pop- und Hoch-Kultur", Neue Zeitschrift
für Musik 2/97)
Der exemplarische Charakter des Projektes besteht u. a. darin, den Begriff
des Samples in die theatralische Arbeit einzubringen. Dieser Begriff wird direkt
der epischen Struktur, wie sie Brecht für das Theater formulierte und
wie sie Eisler auf die Musik anwandte, abgeleitet. Kristallisationspunkte dieser
Arbeitsweise sind im Wesentlichen Aspekte der Verfremdung, Unterbrechung und
der Montage, welche exemplarisch am Beispiel der im Vergleich zu den "großen
Werken" Brecht/Eislers (Theaterstücke, Orchesterwerke etc.) auch
im Jubiläumsjahr '98 kaum beachteten Liedern untersucht werden sollen.
Die Beschäftigung mit dem Brecht/Eisler-HörBild versteht sich durchaus
im Kontext der Ästhetik und Arbeitsweise des zeitgenössisch fortschrittlichen
und sublimen Pop.
"Die Arbeit mit dem Sampling ist Musik über Musik, Spiel mit den
Identitäten,
Lobpreis des Uneigentlichen, der Pose - auf seine heitere Weise nicht minder
entsubjektiviert, ausdruckslos als Cages programmatischer Abschied vom Ego,
doch gewürzt mit einer gehörigen Prise Selbstironie und Zynismus."
(Peter Niklas Wilson)
Künstlerische Zielsetzung:
1.
Die Zusammenarbeit Brecht/Eislers, wie sie sich vor allem in ihren Liedern
aufs äußerste komprimiert hat, zu beleuchten (Themen: Exil, damaliges
politisches Klima) und dadurch inspiriert und weiterverfolgt
2.
die Vernetzung verschiedener künstlerischer Positionen (Musik, Schauspiel,
bildende Kunst) im Rahmen des heutigen freien Theaters etablieren, die auch
nach der Produktion "virulent" bleibt
3.
An die aktuelle Ästhetik und Arbeitsweise der DJ- und Recyclingkultur
(mit bereits vorhandenem Material Neues entstehen zu lassen) in Kunst und Musik
anknüpfen und mit den Möglichkeiten und Perspektiven des Theaters
fortsetzen.
Parallel zum theatralischen HörBild wird eine CD mit "komponierten" Neuinterpretationen
von Brecht/Eisler-Liedern erscheinen und über efa records europaweit vertrieben.
An dieser CD wirken neben den Produzenten (Augst, Daemgen, Korn) auch verschiedene
Gastmusiker mit, wie etwa Alfred 23 Harth oder Ali Neander (Sabrina Setlur
Band). Die für diese Produktion erarbeiteten Materialien (Samples, Gesangsstimmen,
O-Töne etc.) sind unter anderem die klangliche Grundlage für das
HörBild.
In enger Zusammenarbeit mit den Audio- und Theaterproduktionen entstehen darüberhinaus
kleine abstrakte künstlerische Filmbeiträge (etwa von Oliver Hardt/arte/TAT
und Judith Ammann/Institut für neue Medien Ffm), die als TV-Sendung für
arte und zur Teilnahme am hessischen Filmpreis 1998 eingereicht werden.
Mit den Hörspielabteilungen des Bayrischen Rundfunks und des Hessischen
Rundfunks finden Verhandlungen für eine Kooperation und weiterführende
Sendeverwertung statt.
"Theater
Ins Licht treten
Die Treffbaren, die Erfreubaren
Die Änderbaren"
(Bertolt Brecht 1954)
Die Brecht/Eisler-Interpretationen von Oliver
Augst, Marcel Daemgen und Christoph Korn hörte ich als Klang-Skizzen zum ersten Mal
vor etwa einem Jahr und haben mich stark berührt. Ich kannte einige dieser
Stücke von Eisler als aufdringliche und leere Marschlieder, die ich als
Kind bei meinen Ferien-Besuchen in der DDR gesungen habe. Jetzt entdeckte ich
in ihnen eine Ebene des Gefühls und der Berührbarkeit. Es geht nicht
mehr um Agitation, sondern um Aussage. In der radikalen und freien Neuinterpretation
von Augst, Daemgen, Korn fiel mir vor allem deren Hörspielhaftigkeit und
sensible Theatralik auf, die mich auch sofort inspirierte, basierend auf diese
Musik eine Bühnenarbeit, ein Hörstück zu entwickeln.
Im Wesentlichen werde ich als Sprecherin und Schauspielerin die Texte von
Brecht, Hölderlin und Shakespeare, die als Vorlage für Eislers Lieder dienten,
verwenden und sie der gesanglichen und musikalischen Struktur gegenüberstellen,
indem ich sie "öffentlich betrachte", sprachlich durchwirke
und versuche, ihre eigene innere Wärme und Kraft leuchten zu lassen.
Als Hörstück werden die verschiedenen Textebenen überlagert
und szenisch ergänzt. Die theatralisch-inszenatorische Arbeit findet auf
der Bühne mit dem gesamten Ensemble statt. (Ehinger)
____________
"Dies geht einem eine Weile nach …
…
Bild Eisler mit Brecht in kleinkariertestem Gaststätten-Ambiente irgendwo
im grauen Ost-Berlin der 50er Jahre, die Eingezwängtheit und Müdigkeit
im Gesicht, das schale Bier vor sich auf der Tischdecke …
…
dann das Filmdokument: Eisler erklärt mühsam beherrscht vor DDR-Kulturkommissaren
die Notwendigkeit moderner Musikentwicklung unabhängig von Anwendung,
Belehrung und Agitation, umkreist aufgeregt den Flügel, hält immer
wieder ungläubig inne im Bewußtsein der Vergeblichkeit …
…
und auch Eisler im Studio (Amiga, "Klingende Dokumente"), der der
entnervten Sopranistin nach einigen Unterbrechungen ("bitte sehr, gnädige
Frau!") sich selbst am Klavier begleitend das Lied von der Graugans
vor-singt …
…
und seine Entschiedenheit gegen die Dummheit in der Musik, und seine kraftvollen
und seine zarten Lieder ("Musik soll freundlich sein"!) …"
(Carl)
"Da ich die Oper für schwachsinnig halte - schon wegen der
Sänger, die ja unerträglich sind - und die Symphonien, wie sie sehen,
auch für schwachsinnig halte, gibt es nur etwas, was notwendig wäre:
das Schweigen."
(Eisler 1962)
"Es handelt sich vor allem darum, die Zustände erst
einmal zu entdecken (man könnte ebenso sagen, sie zu verfremden). Diese
Entdeckung (Verfremdung) von Zuständen vollzieht sich mittels der Unterbrechung
von Abläufen."
(Walter Benjamin)
"Ein wichtiges Anliegen bei Brecht/Eisler-Arbeit ist mir, diesen kleinen
Kunstwerken eine bislang kaum wahrgenommene Seite abzugewinnen; nämlich
die zarte, sinnliche, verletzliche, bittere ...
Ich bin überzeugt, daß der menschlichen Tragödie, für
welche diese Lieder stehen, erst dadurch die nötige Schärfe und Aufmerksamkeit
entgegengebracht werden kann - vom Künstler wie vom Hörer gleichermaßen.
Hören heißt Verstehen - Verstehen heißt Empfinden."
(Daemgen)
"Wir müssen lernen, auf Kausalerklärungen zugunsten von Probilitätskalkülen
und auf logische Operationen zugunsten von Propositionskalkülen
zu verzichten. Im Fall der Wert- und Erlebniskategorien ist die Sache
weit schwerer. Nur ein
Beispiel: wir werden herausgefordert, einen neuen Freiheitsbegriff
zu erarbeiten, wenn es nicht mehr darum geht Bedingungen zu überwinden,
sondern Ordnung ins Chaos zu tragen. Wir müssen lernen, nicht
mehr “Freiheit wovon?”,
sondern “Freiheit wozu?” zu fragen. Zum anderen: wir werden
herausgefordert, unsere Arbeitsmoral durch eine andere zu ersetzen,
wenn es nicht mehr darum
geht, gegebene Wirklichkeit zu verändern, sondern darum, gegebene
Möglichkeiten
zu realisieren."
(V.Flusser,1990)
"Es ist ein oft auftauchender Irrtum,
wenn behauptet wird, diese Art der epischen Darbietung verzichte
schlechthin auf emotionelle
Wirkung:
Tatsächlich
sind ihre Emotionen nur geklärt, vermeiden als Quelle das Unterbewußtsein
und haben nichts mit Rausch zu tun."
(Brecht)
"Die Lautstärke und Dynamik des Gesangs bei
Brecht/Eisler-Arbeit soll bewußt
an der unteren, zerbrechlichen Schwelle zum Verschwinden hin angelegt
werden. Es sollen hier nicht zum wiederholten Male Textformeln marschmäßig
eingebleut werden; der Hörer wird angeregt, ermutigt, selbst
zu kombinieren, zu urteilen, zu empfinden und ... zu reagieren!" (Augst)
mehr
"Eisler, experimentell arrangiert" (Frank Kämpfer, Deutschlandfunk, 21.03.1999)
Presse Bild
Trailer "Winterspruch"
Live-Video im Mousonturm, 23.10.1998