Was singt in mir
von Bastian Zimmermann
1. Dein Lied ist ein Live-Album. Eingespielt mit wenigen Takes in den Studios des Deutschlandfunks in Köln, bezeugt die Musik gegenüber den früheren, stark postproduzierten Alben einen eindeutigen, musikalischen Ort, im traditionellen Sinne die Kammer. Das Instrumentarium ist klar. Schlagzeug, Gesang, Orgel und manchmal ein wenig Elektronik. Sven-Åke Johanssons vom Free Jazz getränktes Schlagzeugspiel rührt permanent, die Stöcke klappern aufs Schlag-Geschirr, der Break stolpert über die Eins hinaus – und dennoch verzweifelt man beim Zuhören nicht. Es spricht die Haltung eines faszinierenden Menschen, die prägnante und gleichsam ironische Persönlichkeit Johanssons aus den Schlägen, die den Gang der Dinge beschreiben, den Gang der Sehnsuchts-Dinge, von denen Augst am liebsten singt. Schlagzeug und Gesang bilden den vordergründigen Dialog, der von den Harmonien der Daemg’schen Orgel besänftigt, aber auch in Liedern wie dem Walzer Weine nicht konterkariert wird; hier eine paranoide Fröhlichkeit im Erinnern an die vielen Geliebten, der Walzer wird zwanghaft Eins, Zwei, Drei gezählt, zerfasert plötzlich im Aufzählen der Kosenamen und mit Es ist aus und vorbei, kein Walzer mehr im Eins, Zwei, Drei kehrt das Schlagzeug wieder zum Dreiviertel zurück. Hier zeigt sich einer der schönsten Widersprüche im Lied: Dass mit dem Besingen des abwesenden Objektes, sei es ein Mensch, eine Musik, eine Situation oder ein Gefühl, dieses dennoch weiter anwesend sein darf – im Ansingen und Grooven entsteht eine Behauptung von der Präsenz des Abwesenden.
2. Ist es dein Lied, mein Lied, unser Lied oder sogar euer Lied? Streitigkeiten um Besitzverhältnisse kennt das Lied sehr gut – im Kampf ums Allgemeine bei Völkern und Peer Groups, aber noch mehr in Verteidigung der eigenen Identität, nicht im Sinne eines Durchsetzens des Willens, sondern in der Verlautbarung des Besonderen, den eigenen Tümlichkeiten, den Eigentu(e)mlichkeiten. Das Gefühl des Besitzes ist auch nicht nur ein Monetäres. Es sind vielmehr die psychischen Prozesse der Anerkennung und des Aneignens, des Vergessens, Verdrängens und Verlierens, die das Lied, den Schlager zum Kommunikationsmittel werden lassen. Bin ich es, der im Titel des Albums stellvertretend für Jeden angesprochen wird? Dein Lied. – Es ist mein Lied, denn was singt mir, der ich höre in meinem Körper das Lied? Eine komplexe Reziprozität von klingenden und hörenden, allgemein schwingenden Körpern findet sich in dieser Sentenz wieder, die Roland Barthes einst in dem ebenso lautenden Essayband beschrieben hat. Der Ort, an dem das Lied mein wird, bleibt verworren, wird immer nur als Frage zugänglich sein. Denn sie zu beantworten hieße den Reiz der Stimme, die Verführung durch das Lied zu eliminieren und einer alles entblößenden Psychopathologie preiszugeben. Das wollen wir, im Gefolge von Oliver Augst und Marcel Daemgen, nicht. Wir lieben das Lied, besser noch: den Schlager! Denn dieses so verschmähte Genre, das einstmals von der Volkstümlichkeit verraten wurde, soll seine Auferstehung feiern. Von der Volkstümlichkeit zur Eigentümlichkeit – hin zu den privaten, intimen Gelüsten der Hörenden und den phantasmatischen Einschüben im Text: Irgendanderswo, kann man da mal hin, nach irgendanderswo, irgendanderswie. Ist es da denn so? Leben da auch Menschen? Sind die so wie wir? Irgendanders Menschen, spielen auch Klavier?
3. Augst und Daemgen, die in ihren vergangenen Alben das Konzept verfolgten, bestehende Liedtexte neu zu arrangieren, ja teilweise neu zu vertonen, betreten mit Dein Lied nun das erste Mal die Bühne in klassischer Arbeitsteilung. Autoren wie John Birke, Rüdiger Carl, Johanna Milz, Julia Mantel und Wolfgang Müller haben Texte geschrieben, die anschließend von den Beiden vertont und eingespielt wurden. Einzig die beiden Schlager Muss i denn und Es fährt ein Zug nach Nirgendwo sind mit Geschichte behaftet. Augst und Daemgen nähern sich diesem Allgemeingut, diesem so nahen Fremdmaterial konzeptuell an: Christian Anders, der Texter und Star-Interpret des Zugs nach Nirgendwo, wurde ins Studio eingeladen, um diesen zum x-tausendsten Male gesungenen Text nun noch einmal einzusingen. Damit wäre aber zu wenig gesagt. Gleich einer Familienaufstellung, bei der bedeutende Akteure der Kindheit und Jugend in Stellvertretung fremder Personen zusammentreffen und prägende Personen-Konstellationen „reenacten“, tritt Anders mit seinem Lied an seine eigene Stelle. Der Star der Kindheit wird konfrontiert mit dem zeitgenössischen Lied, einem tänzelnden Schlagzeuger und nur wenig verbliebenen Harmonien seines Arrangements. Augst wagt es, ihm stimmlich beizutreten. Ähnlich ist es bei Raymond Pettibon, dem bekannten, amerikanischen Zeichner, Punkpoeten und alten Freund des Duos, der gebeten wurde ohne große Deutschkenntnisse das Volkslied Muss i denn zum Städele hinaus lautsprachlich nachzusingen, also die sprach-verquerten Heimatreminiszenzen eines in Deutschland stationierten Elvis Presleys sogleich an sich nachzuvollziehen. Mit Anders und Pettibon werden beide Male höchst eigentümliche, für sich sprechende Stimmen bloßgelegt, die eine Melodie in Szene setzen sollen – jedoch mit kaum einer harmonischen Begleitung.
4. Es ereignet sich in nahezu jedem Lied des Albums, dass die Stimme ohne begleitende Harmonie intoniert. Allein das Schlagzeug treibt voran. Was aber ist eine Stimme, eine Melodie ohne ihre Harmonie? Sie ist einsam, ihrem Lebensgrund, ihrem Beiwerk, den Vorgängen, um sie herum, durch die sie ihre Berechtigung, Legitimation erfährt, entzogen. Die Harmonien sind der Hintergrund, vor dem das Sprechen, nein, gerade der Gesang seine narrativen Dimensionen entfalten kann - ansonsten bleiben es Deklamationen ohne Kontext, ähnlich den Christusbeschwörern in deutschen Fußgängerzonen. Der Lied-Singende sieht sich immer gebettet, gesichert im Kreise seiner Musik – und Augst und Daemgen entreißen ihm zumindest zeitweise diesen Halt. Aber nicht dass die Stimme von Augst vereinsamen würde – nein, vielmehr fühlt man sich als Hörer verlassen und hintergangen. Der Text steht da als bloße Behauptung. Umso mehr freut man sich, wenn die Orgel wieder eintritt, erschrickt aber im gleichen Moment vor ihrer manipulativen Kraft: In Begleitung entzieht sich der Text plötzlich jeder Behauptungslogik, er beginnt zu verführen. Die Sehnsucht nach Harmonie(n) geriert sich in diesem Kontext als ebendieselbe Sehnsucht nach Harmonie im und mit dem Lied. Diesen Momenten aber stehen bei einzelnen Liedern des Albums der Stumpfsinn und Stillstand gegenüber. Zu schrillen Beckenklängen denk ich mir was aus, ich denk mir ein haus / im haus sitzt der klaus und denkt sich was aus. menschen erfinden dinge die dinge erfinden. Und mit der neukalibrierung des integralen / umdeklarierung des optimalen / machs hirn neu und schreite zur tat / schaff raum fürs neuhirnejakulat werden die maßgeblich unternehmerischen Worte ihres Hohl-Sinns (ein weiteres Mal) entleert. Stehen bleibt wieder die Behauptung - zu elektronisch atmenden Rhythmen.
5. Was es zu schaffen und zu lernen gilt, ist ein neuer Umgang mit dem Lied, mit dem Schlager, der im Laufe seines Lebens immer wieder auf die schiefe Bahn geraten war. Und gerade jetzt, wo sich einstige Schlagergrößen in Lohnarbeit den Jahrmärkten und Bierfestzelten verkaufen und neue deutsche Texte höchstens als Singer-Song-Writer-Allüre oder als Rock’n’popbrett in Erscheinung treten, besteht Handlungs- für den Überlebensbedarf. Nicht ein intelligenter Umgang mit musikalischen Mittel ist gefragt, sondern ein existentieller, ein Umgang der den Text (auch in seiner Ironie) ernst nimmt, bei dem die Musik keinem Standard an Instrumenten, musikalischen Mustern und Produktionsweisen folgt, sondern aufs Neue die floskelhaften Melodien der Stimme und Instrumente kennenlernt, sich aneignet und erspürt was dieser Text eigentlich behaupten will. So dass am Ende ein freier Umgang mit den Schlagern möglich ist; bei dem das Begehren des Abwesenden mit dem Begehren des Liedes zusammenfällt: Aufwärts, vorwärts, zu dir. Frei sein, mit dir sein, bei mir. Aufwärts, vorwärts, zu dir. Frei sein, mit dir.
Sprengkraft Sehnsucht (Frank Kämpfer)
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