Konzept
„Die Leute glauben, daß man ein bestimmtes Thema hat und der ganze kompositorische Prozeß darauf aufbaut. Das mag für jemanden zutreffen, der Cartoons macht. Doch für die meisten Künstler geht es zuallererst um strukturelle Überlegungen, und daraus ergibt sich der Inhalt, zu dem man selbst sozusagen ein etwas zwiespältiges Verhältnis hat.“ (Morton Feldmann, 1987)
2003 jährt sich zum 65. Male das Erscheinen von Finnegans Wake, des unverständlichsten Werkes der Weltliteratur. Das Werk gilt als unübersetzbar, und dennoch, oder gerade deshalb, hat es immer wieder Übersetzer und Schriftsteller, Außenseiter und fachleute gereitzt, sich daran zu probieren.
Es ist vermutlich das befremdlichste, das unverständlichste Stück Literatur, das je geschrieben wurde (wenn von "Schreiben" bei diesem Werk überhaupt noch sinnvoll die Rede sein kann.) Es hat sich bisher noch jeder Deutung, jeder lesbarmachung gegenüber gesperrt...
Das Konzept der Performance <meermenscher mehr> basiert auf dem Wunsch der Schauspielerin Michaela Ehinger, im Rahmen des Theaters an andere Künstler und Kunstsparten heranzutreten, den Dialog um eine adäquate Theaterform unserer Zeit zu führen und die Auseinandersetzung darum zu suchen. Ihre literarische Vorlage und das schauspielerisches Ausgangsmaterial ist "Anna Livias Monolog" aus Finnegans Wake von James Joyce in der wunderbaren Übersetzung von Klaus Reichert. Dieser Text wurde von ihr als deutsche Erstaufführung in Zusammenarbeit mit dem bildenden Künstler Mathias Völcker 1993 im Künstlerhaus Mousonturm präsentiert und in verschiedenen weiteren Bühnenarbeiten immer wieder (anders) verwendet.
Für Michaela Ehinger stellt sich die Frage, wie sie als Vertreterin der "redenden Künste" mit anderen Kunstschaffenden öffentlich in Begegnung treten kann.
Joyces Sprache ist nie linear. Sie ist Auflösung bei gleichzeitiger Verdichtung, ein Scherbenhaufen von Silben und Wortfragmenten, zusammengesetzt zu einem neuen unfaßbaren Gebilde.
So stellt der zentrale Gedanke ihrer Zusammenarbeit mit dem Performance-Künstler Johan Lorbeer (Berlin) und dem Musiker Oliver Augst (Ffm) die Konfrontation der jeweiligen Medien und der Mittel des Theaters im Einsatz von Sprache, Musik/Ton, Bewegung/Aktion, Technik, Licht und Raum dar, die die literarische Vorlage nur als ein Bühnenelement unter anderen begreift.
Drei gleichberechtigte Positionen treffen aufeinander.
Dies verändert die Arbeitsweise des Theaters, die herkömmlich vorwiegend einer dramaturgisch-inszenatorischen Idee dient bzw. einem Regisseur, der glaubt, diese interpretieren und vermitteln zu müssen, und der Umgang mit der zur Verfügung stehenden Zeit wird neu zur Disposition gestellt.
<meermenscher mehr> ist ein Versuch, Raum zu schaffen, die anderen und eigenen ausgestellten künstlerischen Positionen wirklich wahrzunehmen, zu sehen, zu hören, zu verstehen …
Augst und Ehinger arbeiten seit einigen Jahren an einem erweiterten Performance/Musik/Theater-Begriff und kennen Lorbeer seit Mai 97 durch ihre Auftritte beim Performance-Festival "Viewport" (Mainz).
Bei dem "Still-Live-Objekt", das Johan Lorbeer in <meermenscher mehr> einbringen wird, geht es um den Konflikt von Skulptur und Lebendigkeit. In einem Interview erklärt er: "…anders als ein Gemälde ist Performance ein zeitabhängiges Kunstwerk, das in der Öffentlichkeit geschaffen wird. Als Kunstwerk hat Performance nur eine Chance, wenn es sich ausdrücklich an das Erinnerungsvermögen des Betrachters wendet. Ich wünsche mir, daß beim Betrachten meiner Inszenierungen die Erinnerungskette des Betrachters stimuliert wird. Das braucht Zeit…"