Architektur
Hörspielregisseur Oliver Augst erinnert an die Bedeutung der Multihalle und den Erbauer Frei Paul Otto
Gäste unternehmen akustische Zeitreise
20. August 2018 Autor: Julia Glöckner
Die einzigartige architektonische Konstruktion der Multihalle im Herzogenriedpark stand bei einer akustischen Zeitreise im Mittelpunkt.
© zeitraumexit
Auf mit Filz bespannten Holzpaletten liegend schweift der Blick der Zuschauer unwillkürlich über die leichte, offene und weite Gitternetzkonstruktion der Multihalle, die sie zum architektonischen Unikat aus dem Jahr 1975 macht. Hörspielsequenzen nehmen mit auf eine Zeitreise in die Geschichte des Baus. Regisseur Oliver Augst stellt Auszüge aus Originalinterviews mit der Architekturikone Frei Otto zusammen. Er plante die Halle für die Bundesgartenschau. Zu hören sind auch seine architekturphilosophischen Texte über das Naturverständnis.
„Es drängte mich zum Bau der leichtesten aller Häuser: der Schalen und Zelte“ und „Man fragt sich: Warum steht das Zeug und fällt nicht ein“, heißt es immer wieder zwischen den Hörspielschnipseln – eine Suggestivfrage Frei Ottos. Denn in eingespielten Sequenzen erklärt Marco Spies vom Baudezernat Mannheim die besondere Konstruktionsweise: Das Holzgittermodell hat die Form eines umgedrehten hängenden Netzes, das sich hier nicht nach unten, sondern nach oben wölbt – eine ideale statische Form, weil innerhalb des Hängenetzes Zugkräfte wirken, die der Konstruktion Standfestigkeit verleihen. Frei Otto entwickelte mit seinem Team die Hängenetzform selbst, die Halle gilt als größte Gitterschalenkonstruktion der Welt.
Beim Bau vor der Bundesgartenschau wurden die Latten am Boden durch Tellerfedern leicht verbunden, mit Gabelstaplern wurden die großen runden Schalen von unten nach oben gedrückt. Das Team berechnete die Statik und justierte nach, bis eine stabile Form entstanden war. Dann ließen sich die Verbindungsbolzen festziehen. 34 000 Knoten hat das große Holzgitternetz, verbunden durch Tellerfedern, die über die Jahre immer wieder nachgezogen werden mussten.
Entscheidung über Zukunft offen
Frei Ottos Vision war, einen offenen Raum zu schaffen, der sich in die Natur des Herzogenriedparks einfügt. Der Bau ohne festes Konzept sollte die Offenheit der Gesellschaft widerspiegeln. „Er hat Dinge gemacht, die uns exotisch vorkamen. Man hat fast gedacht, der Mann spinnt“, erzählt ein Mitarchitekt. Der experimentelle Charakter bei der Entstehung veranlasste das Baudezernat dazu, die Halle zu beobachten. „Wir müssen schauen, was die Halle macht. Seilkonstruktionen könnten eine Sicherung gegen Veränderung sein“, sagt Spies: „Die dringend notwendige Sanierung der Konstruktion wurde auf 11,6 Millionen Euro geschätzt. Dabei sind die Kosten für die Anpassung der Technik wie für den Brandschutz ausgenommen, wodurch die Halle erst für die Öffentlichkeit nutzbar wird.“ Derzeit geht es um Fördermittel und Spenden, eine endgültige Entscheidung über die Zukunft der Halle soll kommendes Jahr fallen. „Wir haben viele Ideen für die Nutzung für Kulturevents und Sportveranstaltungen. Otto war einer der berühmtesten deutschen Architekten. Er konnte den Pritzker-Preis, den größten Architekturpreis, 2015 nicht mehr entgegennehmen, weil er im selben Jahr verstarb“, sagt Charlotte Arens von Zeitraumexit, Teil der Initiative für den Erhalt der Multihalle.
Was wohl Frei Otto dazu gesagt hätte? Ein eingespieltes Zitat lässt darüber nur mutmaßen: „Langlebig konzipierte Gebäude leben nur lange, wenn die Gesellschaft sie liebt. Leichte Gebäude können ewig halten. Ein Bau, der für einen Sommer konzipiert wurde, kann jahrzehntelang existieren und unter Denkmalschutz gestellt werden.“
© Mannheimer Morgen, Montag, 20.08.2018
Noch offen ist die Entscheidung über Abriss oder Sanierung, sie soll 2019 fallen. jug
Kultur
Kunst Zeitraumexit widmet sich dem Architekten Frei Otto
Hörspiel über die Multihalle
15. August 2018Autor: rcl
Frei Otto (1925-2015) an seinem 75. Geburtstag im Jahre 2000.
© dpa
Sie ist ein Unikum und eine Problemhalle zugleich: die Multihalle im Mannheimer Herzogenriedpark. Entstanden zur Bundesgartenschau 1975, lange vernachlässigt, ist sie nun Gegenstand kulturpolitischer Debatten und einer Spendenaktion, die das originelle Gebäude retten soll. Im Auftrag des Mannheimer Künstlerhauses Zeitraumexit verbindet der Hörspielregisseur und Musiker Oliver Augst Gespräche über die Multihalle mit Originaltexten von ihrem Architekten Frei Otto und Soundschnipseln aus dem Jahr 1975 zu einer akustischen Zeitreise in die Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Multihalle.
Ein Computer kombiniert dabei die verschiedenen Schichten nach dem Zufallsprinzip immer wieder neu. So entsteht eine unendliche Erzählung über Architektur, Natur und die Liebe der Menschen zu ihren Gebäuden.
Akustische Rauminstallation
Am 18. und 19. August wird im Rahmen eines Audiothek-Spezials die Arbeit von Augst ein ganzes Wochenende lang als Rauminstallation in der Multihalle präsentiert: 30 Stunden Frei Otto. Der Eintritt kostet drei Euro und ist jeweils von 15 bis 21 Uhr (Parkeintritt frei, letzter Einlass um 20 Uhr) möglich.
Der Bermudafunk überträgt in der Sendung „frei.raum“ am 18. und 25. August sowie am 1. September, jeweils von 19 bis 20 Uhr eine live generierte Zufallskomposition von Olivers Augsts Projekt „Frei Otto und die Multihalle Mannheim“. © Mannheimer Morgen, Mittwoch, 15.08.2018