EISLER PROSPEKT / 2000
Presse:
"Eisler-Prospekt". Ein Hörspiel
Der Titel trifft. Vieles ist in ihm enthalten, was die beiden in Frankfurt/M.
lebenden Künstler Oliver Augst und Christoph Korn in ihrem Hörspiel
als Panorama-Perspektive aufreißen möchten: mit Hanns Eisler wird
(s)ein Zeitalter besichtigt, das der katastrophischen ersten Hälfte des
20. Jahrhunderts. Der zweite Aufriß gilt der Innensicht. Wer war Eisler?
Und wer oder was waren seine persönlichen Bezugspunkte, seine künstlerischen, ästhetischen,
politischen Koordinaten? Der dritte schließlich ist die Perspektive beider
Autoren auf Eisler: in einer Unschärferelation, einer Distanz, die zugleich
eine subjektive Annäherung herstellt, weil sie nicht "rekonstruieren", "objektivieren" will,
sondern Leerstellen aufzeigt.
Geschichte wird nicht linear entlang am Biographischen vermittelt, sondern
in Brüchen, Sprüngen, Überblendungen, Rückgriffen wird
die mögliche Geschichte eines "anderen" Eislers erzählt,
eines Eislers per Rückblick aus einem anderen Zeitalter, unternommen von
einer "entfernten" Generation.
Das Hörspiel (als CD auf dem Autoren-Label TextXTND erschienen) wurde
im Juli vom Hessischen Rundfunk urgesendet. Es ist - mit 47 Minuten Spieldauer
- aus 128 Einheiten (Ton-, Klang-, Geräuschereignissen) zusammengesetzt.
Sätze und Worte, Fragmentarisches und Zitiertes werden wie aus einem Steinbruch
der Geschichte zu einer Klangcollage montiert. Sie stammen von Hölderlin,
Walter Benjamin, Eisler, Hegel, Silone, Berthold Viertel, Herder, Becher, Korsch,
Brecht, Berlau, Marx, Karl Kraus, aus politischen Wörterbüchern der
DDR und Liedern von Eisler.
Dies mischt sich zu freien Assoziationsfeldern, die eher "einstimmen" als
sachlich informieren. Hier ist ein Hörstück entstanden, das nicht
didaktisch zu Eisler führt, sondern das ihn mit Zitaten, Worthülsen,
unbeantworteten Fragen umkreist. So ist eine Hommage an Eisler entstanden als
ein Versuch, sich über ihn seiner selbst zu vergewissern: "Der Eisler,
Brecht, Busch, die waren ja, wenn man so will, Stars innerhalb der Arbeiterbewegung
vor 33... Im Exil scheint das alles abhanden gekommen... Aber genau da, wo
der Eisler so depotenziert und schwach erscheint, ist das Wesentliche vielleicht
am Subtilsten formuliert worden... Verstehst Du, ich meine auch unseren eigenen
Blick... ein Schauen vom Schwachen, Minoritären her"
(Oliver Augst,
in einem Email an Christoph Korn)
Dieser "eigene Blick", so notwendig er für eine diskursive Eisler-Rezeption
ist, wird aber - und das ist (bei aller Fürsprache) mein Kritikpunkt an
diesem Hörstück - immer wieder verrätselt und dem "Blick" der
Hörer entzogen. Augst hat die Gefahren dieses künstlerischen Ansatzes
klar erkannt, wenn er in einem weiteren Email formuliert: "Wenn ich auch
Deine Spracharbeiten richtig verstehe, so arbeiten sie mehr mit dem Sprachklang
als dem semantischen Inhalt, mehr mit einer diffusen Konnotation von Bedeutungen:
man kann diese Arbeiten von der Mitte aus zum Anfang hin lesen oder um einen
beliebigen Punkt herum abtasten. Nun, es könnte hier auch etwas ganz anderes
schlüssig sein: eine Kombination von Sprachklang, Dokumentation, konkret
und und und. Ja, in diesem Punkt sollten wir Klarheit gewinnen."
Dies wäre beiden Künstlern (die bereits mit anderen
Brecht/Eisler-Arbeiten auf sich aufmerksam machten: der TV-Musikfilmkompilation "Winterspruch",
der CD "arbeit" und der Bühnenperformance "Arbeit für
Eisler") für Zukünftiges zu wünschen.
Joachim Lucchesi
Oliver Augst, Christoph Korn: Eisler Prospekt
Und weil der Mensch ein Mensch ist, arbeitet er. Hört oder schreibt er
Musik. Beschäftigt er sich mit Sprache, indem er spricht, liest, dichtet,
singt. So einfach ist das, in Wirklichkeit natürlich viel komplizierter.
Christoph Korn und Oliver Augst haben im Zuge ihrer nun schon längeren
Beschäftigung mit Hanns Eisler ein Hörspiel produziert, das Sprache
als Material verwendet und Musik als Fugenmörtel und V-Effekt benutzt.
Mit großem Ernst und leisem Pathos sind Textfragmente von Brecht, Eisler,
Hölderlin, Marx und anderen so montiert, dass nicht ein Gesamttext, sondern
eher eine Textur entsteht, ein vielstimmiges Mischgewebe. Es arbeitet und formt
sich an Eislers Biographie entlang, über die Nazi-Zeit, das Exil und die
DDR-Zeit, wird aber nie erzählerisch, sondern verharrt auf einer Meta-Text-Ebene
von Kommentierung und Infragestellung. Wortfelder werden abgegrast ("Arbeiterarmee,
Arbeiteraristokratie, Arbeiteraufstände, Arbeiterbewegung . . ."),
Themen angedeutet ("Was ist aber wirklich die Aufgabe der Musik?"),
Namen ("Karl Korsch, Fritz Lang, Arnold Schönberg ...") fallen
gelassen. Und manchmal stehen plötzlich Fragen im Raum: "War da ein
Schrei des Entsetzens, als Sie hörten, dass Ihre Freunde langsam geschlachtet
werden?"
All das geschieht unter souveräner, formvollendet dramatischer Nutzung
der Stille und von elektronischen Stör- und Verfremdungsgeräuschen
zur Herstellung von Distanz. Wie man das von der Musik kennt, gibt es Reprisen,
die aber nie als Wiederholung wirken, sondern als Wiederkehr von Unerledigtem
oder Beharren auf ungelösten Fragen: Ein Eisler-Hörspiel also, das
von Eisler selbst gelernt hat und darum nie naiv wird. Und es ist jetzt als
CD erhältlich.
Copyright © Frankfurter Rundschau 2000 , Erscheinungsdatum 19.07.2000
Hintergrund
Home