F.A.Z.24.02.2018
F.A.Z. - KULTUR
Die Moritat des größten Verbrechers aller Zeiten
„Kurt Weill jagt Fantômas“ als Live-Hörspiel von Oliver Augst und Kollegen im Frankfurter Mousonturm
Hat Kurt Weill dieses höllische, fiese Lachen nach jedem Schlag gehört? Erst ist die Musik weg, die Arbeit, dann das Zuhause, die Frau und das Geld, am Ende die Gesundheit. Der junge Komponist war noch keine 33 Jahre alt, als das Grauen begann. Der größte Verbrecher aller Zeiten ist, in diesem Fall, allerdings nicht Adolf Hitler, noch nicht, muss man sagen – sondern „Fantômas“.
Oliver Augst, die eine Hälfte des Frankfurter Komponisten- und Autorenduos Textxtnd, hat sich zusammen mit Françoise Cactus und Brezel Göring, bekannt als Duo Stereo Total, einem Gedankenspiel gestellt. Die Ausgangsfrage: Was ist mit Kurt Weill geschehen, damals, von 1933 bis 1935? Was ist dem schon durch die „Dreigroschenoper“ berühmt gewordenen, höchst erfolgreichen Komponisten Kurt Weill widerfahren, als er, knappe zwei Jahre lang, im Pariser Exil ausharrte, bevor er über Großbritannien nach Amerika emigrierte? Einige seiner schönsten Chansons sind damals entstanden, die „Complainte de la Seine“ oder „Youkali“. Sie alle sind zu hören in der guten Stunde von „Kurt Weill jagt Fantômas“ im Frankfurter Mousonturm, daher der Untertitel „Musical“, in Anspielung auf Weills spätere Erfolge am Broadway.
Augst, der das Konzept des Live-Hörspiels erdacht hat, bringt die reale Bedrohung Weills durch die Nationalsozialisten zusammen mit einem Erzschurken, der damals, 1933, gerade wieder einmal das französische Publikum begeisterte: Fantômas. Der Grund: Im Pariser Exil hat Weill doch tatsächlich als Auftragswerk für Radio France eine Fantômas-Moritat komponiert, die lange verschollen war. Hat Fantômas selbst sie verschwinden lassen? Das phantastische Gedankenspiel, erzählt auf Deutsch und Französisch, hat einen großen Reiz, zumal Göring und Cactus als Texterduo Augsts Recherchen aufgreifen: Briefe zwischen Weill und seiner Frau Lotte Lenya, Kommentare anderer Künstler über den zugezogenen Juden Weill, aus denen die aufgeladene fremdenfeindliche Stimmung in Paris herauszuhören ist. Im Retrosound nachgesprochene Originaldokumente und Kritiken. Weills tapferer Humor nach jeder neuen Hiobsbotschaft aus Berlin.
Was, wenn Fantômas seine Finger im Spiel gehabt hätte bei all den Demütigungen und Schäden an Leib und Leben, die Weill hat einstecken müssen? Augst als einer der Erzähler, vor allem aber als Fantômas, hält nun auch die Bühne zusammen, auf der außer ihm und Brezel Göring als Erzähler Alexandre Bellenger an Computern und Turntables den Knistersound sich drehender Schallplatten, düsteres Windsgebraus, Pop, Rock und natürlich Weill in allen Schattierungen erzeugt. In der Mitte gibt Charlotte Simon vom Frankfurter Duo Les Trucs Lotte Lenya und allerhand andere Personen, singt alle Weill-Songs, nur leider nicht ganz so stimmgewaltig und tonsicher wie Augst. Dass Simon unterdessen an Keyboards und Elektronik Weills Musik eine weitere schräge Ebene verpasst, passt ganz gut – hat Weill sich doch fast wie ein Chamäleon den musikalischen Umständen angepasst. „Kurt Weill jagt Fantômas“ tut es gewissermaßen auch, eine lehrreiche Phantasie aus dunklen Zeiten.
Eva-Maria Magel
http://plus.faz.net/rm-kultur/2018-02-24/3ad0e556df84327ae2067ef0d1badb97?GEPC=s9
Frankfurter Rundschau, v. 24.02.2018, S. 33, Ausgabe: Deutschlandausgabe / Feuilleton | Deutschlandausgabe
Hans-Jürgen Linke
Das Lachen des Erzschurken
Was ist in Paris passiert? Kurt Weill hatte sich im März 1933 dorthin gerettet, während seine künstlerische und materielle Existenz in Deutschland ruiniert wurde: Konten gesperrt, Honorare nicht mehr ausgezahlt, und Lotte Lenya trieb sich irgendwo herum und schrieb hinhaltende Briefe. Immerhin hatte Weill zu tun. Unter anderem schrieb er im Auftrag von Radio Paris „La grande complainte de Fantômas“ und das Singspiel „Marie Galante“. Rätselhafterweise sind Noten, Texte und selbst die Aufnahme der „Fantômas“-Arbeit verschollen; Jacques Loussier hat sie später aus einer unklaren Material-Situation heraus rekonstruiert.
Diese recht amorphe Überlieferungs-Situation inspirierte Oliver Augst und das Duo Stereo Total (Françoise Cactus, Brezel Göring) zu einer forschenden Re-Kompositionsarbeit. Ihr Hör- und Spiel-Stück „Kurt Weill jagt Fantômas“ interessiert sich weniger für den Stoff als für den Komponisten und liest dessen Zeit in Paris als künstlerische und lebenspraktische Anpassung an ein Leben im Exil. Implizit wirft das Stück einen zutiefst erschrockenen Rückblick auf den deutschen Nationalsozialismus und den virulenten Antisemitismus in Frankreich.
Die Bühnen-Uraufführung im Mousonturm präsentierte ein komplexes Werk. Weill wird durch den Sampler gejagt, mit Turntables aufgemischt und mit beunruhigenden Geräuschkulissen verdüstert. Das minimal-theatrale Hörstück geht nicht Weills Weg, der bekanntlich später zu großen Broadway-Erfolgen führte. Es bohrt vor allem in den Wunden, die Weills Leben während der zweieinhalb Jahre in Paris so schmerzhaft machen. Der fantastische Erzschurke Fantômas ist dabei eine Metapher des Bösen, das Weills Schmerz gern mit einem emblematisch-trivialen Bosheitslachen kommentiert – es muss ja ein Schurke von geradezu leviathanischem Ausmaß hinter all dem stecken!
Die Texte, die Augst und Göring sprechen, markieren Lebenssituationen des Exilanten. Die Lieder, die Charlotte Simon und Augst mit intensiver Präsenz darbieten, stammen aus der „Fantômas“-Moritat und aus „Marie Galante“. Sie sind melodisch intakt, aber von Turntables und Sampler (Alexandre Bellenger) eher bedroht als nur begleitet; dass die Texte größtenteils französisch sind, liegt einfach daran, dass der Komponist sich auf eine andere Sprache, andere Verhältnisse umzustellen hatte. Soviel Fremdheit muss ertragen werden. Merkwürdig bekannt sind einige Motive in den Liedtexten: Die „Complainte de la Seine“ hat ein fernes Vorbild in der Moritat von Mackie Messer, und „J’attends un navire“ – das sich zur heimlichen Hymne der Résistance entwickelte – ist der Seeräuber-Jenny verwandt. Dennoch liegen Welten – und Bedrohungen – zwischen den Stücken der zwanziger und denen der dreißiger Jahre.
Am Ende freut sich Kurt Weill sehr auf den Broadway. Wird Fantômas ihm auch dorthin folgen?
Frankfurt Neue Presse vom 24.02.2018, Seite 28 / Kultur und Service
Dem König des Verbrechens auf der Spur
Musical "Kurt Weill jagt Fantômas" im Frankfurter Mousonturm
Mit "Kurt Weill jagt Fantômas - Ein Musical mit Liedern von Kurt Weill" begibt sich Oliver Augst im Frankfurter Mousonturm auf Spurensuche.
Fantômas galt als der König des Verbrechens. In der Fiktion. Kein Geringerer als Kurt Weill erhielt in Frankreich den Auftrag, das Gedicht "La grande complainte de Fantômas" zu vertonen. Da war Weill, der jüdische Wurzeln hatte, auf der Flucht aus Nazi-Deutschland in Paris. Eine schwere Zeit, in der er praktisch alles verlor: seine Heimat, Haus, Tantiemen und noch dazu seine Frau an diverse Liebhaber. Manch einer wäre vielleicht an all dem zerbrochen.
Die stürmische Nacht, in der Weill in Paris ankommt, steht am Anfang von "Kurt Weill jagt Fantômas - Ein Musical mit Liedern von Kurt Weill". Alexandre Bellenger lässt den unheilverkündenden Sturm mittels seiner Platten erklingen. Dann knipst der an einem kleinen Tisch sitzende Brezel Göring von "Stereo Total" sein Leselicht an und liest einen Text, der die Geschichte Weills mit Fantômas verwebt, und die Frage aufwirft, wie der Weill der "Dreigroschenoper" zu dem späteren Broadway-Komponisten werden konnte. Mit Charlotte Simon (Gesang und Keyboards), Göring als Sprecher und Alexandre Bellenger (Turntables und Sprecher) begibt sich Oliver Augst auf eine Spurensuche. Vielschichtig und anspielungsreich sind Briefe zwischen Lotte Lenya und Weill Tagebuchaufzeichnungen und Zeitungsartikel mit Liedern aus Weills Pariser Zeit zu einer dichten Musik- und Text-Collage verwoben, durch die immer wieder etwas Fantômas spukt.
Auch wenn die Inszenierung als Musical deklariert ist, ist klar, dass, wo Augst, Cactus und Göring draufsteht (auch der andere Teil von "Stereo Total" Françoise Cactus hat die Textfassung für den Abend miterarbeitet), keine gutgeölte Broadway-Maschinerie drinsteckt. Im Gegenteil: So wie Bellenger die Turntables verwendet, um den Platten neue Klänge abzugewinnen, nutzen die drei das Musical, um es dekonstruierend zu rekonstruieren. Die harte Lebensrealität eines Flüchtlings, das Unvollkommene wird geradezu herausgestellt, und selbst bei dem ebenfalls gesungenen "Youkali" macht der Text am Ende klar, dass es die Trauminsel nicht gibt.
Auf die Frage, warum Weill später Broadway-Musik schrieb, liefert die Inszenierung lediglich Antwortangebote: Fluchterfahrungen, Brüche im Leben. Beeindruckend sind die unheimliche Präsenz von Augst und seine geradezu umwerfende Chanson-Stimme.
VON ASTRID BIESEMEIER
Journal Frankfurt Februar 2018
Folgenreiche Begegnungen
Als Frankfurter in Paris heftete sich Oliver Augst an die Fersen von Fantômas ...
Mit einer „L‘Amour à Trois“ – um gleich StereoTotal zu zitieren – gibt sich Komponist und Hörspielautor Oliver Augst nicht zufrieden. Neben Françoise Cactus und Brezel Göring, die die Bühnentexte schrieben, hat der Sänger noch Alexandre Bellenger an Gitarre und Turntables sowie Charlotte Simon für Gesang und Electronics mit dabei, wenn es diesmal heißt: „Kurt Weill jagt Fantômas“. Ein Hörspiel? Musiktheater? Ein Musical? „Gesang, Sprache und Musik in einem wechselseitigen, dialogisch-reflektierenden Verhältnis, das sich zu einer multi-historischen Live-Performance, letztlich zu einem besonderen Blick auf und einer Hommage an Kurt Weill verdichtet“, konkretisiert Augst. Den Berliner Weill an der Seite Bert Brechts kennt man, Stichwort: „Dreigroschenoper“. Der New Yorker Weill schrieb grandiose „amerikanische Opern“ und Musicals wie „Street Scene“, „One Touch Of Venus“ oder „Lost In The Stars“. Dem Pariser Weill hat sich Augst, der auch einige Jahre an der Seine lebte, angenommen. „Ausgangspunkt sind die weitgehend unbekannten Lieder Kurt Weills, die während seiner Pariser Emigration entstanden“, erklärt Augst. Da ließ sich der gebürtige Dessauer (Papa war da Kantor in der jüdischen Gemeinde) auf den skrupellosen Schurken Fantômas – ein kontrovers diskutierter Mythos – ein.
Detlef Kinsler
Kurt Weill jagt Fantômas - Zwischen Exil und Neuerfindung
von Sarah Franck
Art Chipels, 9. September 2017, Paris (Übersetzung aus dem Französischen)
Es ist eine der seltenen besonderen Gelegenheiten, ein Stück zu sehen, dessen Attraktivität darin besteht, als eine innovative Einladung zur persönlichen Auseinandersetzung verstanden werden zu können.
Oliver Augsts Performance verbindet Entdeckungsfreude mit einer wahrlich belebenden intellektuellen Stimulation.
In einer stürmischen Nacht im März 1933 kommt ein Mann in einem schwarzen Mercedes an die Tür eines bescheidenen Hotels in Saint-Germain des Prés. Es ist der Komponist Kurt Weill, der in Berlin mit Bertold Brecht insbesondere an der Dreigroschenoper und Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny zusammenarbeitete.
Begleitet vom Bühnenbildner Caspar Neher flüchtete er aus Deutschland, wo die Nazis die Macht übernahmen, um im September 1935 in die Vereinigten Staaten weiter zu ziehen.
Während seines kurzen Aufenthalts ermöglichten ihm einige Kompositionsaufträge die Verbindung mit der französischen Bühnenwelt: es entstanden Lieder, aber auch die Musik für eine Radiosendung über Fantômas - nach dem Text von Robert Desnos.
Seine Zeit in Frankreich ist, im Gegensatz zu den erfolgreichen vergangenen Jahren, nicht gerade entspannend. Lucien Rebatet wütet in der Zeitung l’Action française gegen den "deutsch-jüdischen Virus", während der französische Komponist Florent Schmitt mitten in einem von Weills Konzerte "Heil Hitler!" brüllt.
Eine Radio-Liveperformance
Auf der Bühne stehen drei Charaktere: zwei Musiker, Sprecher und der Autor. Sie erzählen uns eine Geschichte aus Musikstücken, aus Korrespondenz zwischen Kurt Weill und Lotte Lenya, aus Presseauszügen, aus Zeugenaussagen, die so eng miteinander verflochten sind, dass sie wie einen kontinuierlichen Strom zu bilden scheinen, der sich unter der lachenden Silhouette des Fantômas ausbreitet, dessen anarchistischer und zerstörerischer Schatten wie eine Bedrohung über der Stadt schwebt.
Wir hören Anklänge an Weills musikalisches Schaffen in Paris, die Complainte de la Seine oder Fantomas' Grande complainte (nach einem Text von Robert Desnos), Es Regnet (nach Cocteau) oder gesungene Ausschnitte aus Jacques Devals Stück Marie Galante (1934). Der kratzender Klang einer Schallplatte begleitet diese Beschwörungen, während die Stimmen in dem ganz besonderen Ton des Radios dieser Zeit gefärbt sind: gedämpft, nasal, angeschlagen...
Gleichzeitig entdecken wir einen wenig bekannten Teil von Weills Werk seines französischen Transits und ergründen vergessene Melodien, die sich wie im Schlamm des Bodens unseres Gedächtnisses abgelagert haben und nun wie bunte Seifenblasen an die Oberfläche steigen.
Verweis auf das Verfahren der Brecht'schen Verfremdung.
Theatralisierte Rezitativ-, Gesangs- und Musikdramaturgie, Stimmen, die sich dem Universum des "schönen" Liedes verweigern, um etwas auszudrücken, was nur zwischen den Zeilen von Worten und Noten gefunden werden kann: Man befindet sich unbestreitbar mitten in einer echten Forschungsarbeit, ja einer Art Workshop, in dem das Thema aufgezeigt, hinterfragt und die daraus resultierenden Erkenntnisse präsentiert werden..
Auch wenn sich bestimmte Prozesse während der gesamten Show vielleicht wiederholen, auch wenn bestimmte musikalische Passagen uns irritieren, - Weills Musik wird transponiert, transformiert, um Neuerfindungen ergänzt, die die Originalkomposition umgehen -, weil wir vielleicht auch mal etwas von der unveränderten Ur-Musik des Komponisten hören möchten, so überzeugt das Ensemble doch mit ihrer starken Setzung, die uns einfach anzieht und einfängt.
Diese Produktion in französischer und deutscher Sprache, die im Goethe-Institut Paris als Vorpremiere zu sehen und hören war, verdient es, genauer studiert und weiter verfolgt zu werden.
Journal Frankfurt:
„Kurt Weill jagt Fantômas“
Wilde Mischung aus Arsène Lupin, Faust und Adolf Hitler
Als Frankfurter in Paris heftete sich Oliver Augst an die Fersen von Fantômas und überrascht im Mousonturm mit einem Musical, in dem der „König des Verbrechens“ auf Kurt Weill trifft. Mit dabei auch Françoise Cactus und Brezel Göring von Stereo Total.
Das Dreamteam Augst/Göring, zuletzt zwei Mal, 2016 und 2017, im Mousonturm mit dem „Ernst Neger Komplex" zu sehen, wagt sich auf ein anderes Terrain.
Wieder als Sänger und Conférencier? Und was ist reizvoll am Gerne Musical, den so wird „Kurt Weill jagt Fantômas“ ja angekündigt?
Oliver Augst: Diesmal könnte man eher von einer lustigen Ménage À Trois oder einer „L'Amour À Trois“, wie es in dem Song von Stereo Total heißt, sprechen. Françoise Cactus und Brezel Göring, mit denen mich ja inzwischen eine langjährige Zusammenarbeit verbindet, sind geniale Partner für dieses deutsch-französische Projekt. Als Stereo Total feiert das Duo weltweit Erfolge mit einer eigenwilligen Mischung aus Chanson, Elektro, Punk-Rock und New Wave. Die Texte, gespeist aus der deutsch-französischen und weiblich-männlichen Zweisprachigkeit, sind voller Sprachwitz und hintersinnigem Humor, kontrovers, feministisch und durchaus gesellschaftskritisch zu verstehen. Auch als Autoren von Hörspielen und Romanen zeichnen sich Cactus und Göring durch ihr Gespür für ungewöhnliche soziale, politische und gesellschaftliche Stoffe aus. Wer also könnte besser geeignet sein, einen originellen Blick auf ein weithin unbekanntes Kapitel deutsch-französischer Kultur- und Musikgeschichte zu werfen?
Wie sind die Rollen verteilt?
Françoise und Brezel, also zwei wirklich alte Hasen der „Bretter, die die Welt bedeuten“ sehen in ihrem Bühnentext natürlich eine böse, hintergründige und selbstreferenzielle Rolle für mich als Conférencier und Sänger vor. Dieser führt durch den Abend, nimmt dabei verschiedene Perspektiven ein – Moderator, Kurt Weill, Fantômas und singt – auch mal im Duett mit Charlotte Simon (als Lotte Lenya, Anais Nin etc ...), die ihrerseits Live-Elecronics spielt – begleitet von Alexandre Bellenger an den Turntables. Gesang, Sprache und Musik stehen so in einem wechselseitigen, dialogisch-reflektierenden Verhältnis zueinander und zum Geschehen auf der Bühne und verdichten sich zu einer multi-historischen Live-Performance, letztlich zu einem besonderen Blick auf und einer Hommage an Kurt Weill.
Warum ist Musical hier ein relevanter Begriff?
Musical ist in diesem Sinn auch als Referenz zu Kurt Weills Erfolgsgeschichte am Broadway zu verstehen. Er war ja ganz eng an der Gestaltung des Genres des „modernen Musicals" beteiligt, wie es sich seit den 1920er Jahren in New York und im Londoner West End entwickelt hat. Unter Musical versteht man ja gemeinhin eine leichte Variante von Oper, die Gesang, Schauspiel und Musik in einem durchgängigen Handlungsrahmen verbindet. Bei Wikipedia findet sich: „Thematisch wird eine breite Fülle von tragischen als auch humorvollen Stoffen behandelt, die zu unterschiedlichsten Zeiten und an unterschiedlichsten Orten spielen. Auch für gesellschaftlich oder politisch sensible Themen hat sich das Musical stets offen gezeigt." Aha, schau an! Da dachte ich, das ist ja genau das, woran wir gerade arbeiten, also nennen wir das Musical. Und man darf das Feld ja auch nicht so einfach nur „Starlight Express“ & Co. überlassen. Außerdem verstehe ich Musiktheater immer als Behauptung und Versuchsapparat. Klang und Sprache bilden das Material, mit unterschiedlichen subjektiven Zugriffstechniken der einzelnen Performer. That's it. Und vielleicht machen wir ja beim nächsten Mal eine Oper …
Nicht viel anders als bei den Karnevalsschlagern und Artverwandtem beim „Ernst Neger Komplex” muss man sich dem Klischee annähern, es ernst nehmen, um es dann auf den Kopf zu stellen und neu zu definieren?
Ja, die Reihenfolge ist immer: erkennen, negieren, eliminieren und trotzdem machen. Oder wem das zu sehr nach 80er-Jahre klingt: erkennen, sich anverwandeln und besser machen. Das Hörspiel ist seit Bertolt Brechts „Lindberghflug“ immer wieder bi-medial gewesen. „Kurt Weill jagt Fantômas“ ist gleichfalls in seiner Konzeptions- und Entstehungsphase bi-medial gedacht: als Bühnen- und Hörspielversion, die sich gegenseitig ergänzen. Ausgangspunkt sind die weitgehend unbekannten Lieder Kurt Weills, die während seiner Pariser Emigration entstanden. Ich möchte die Musik als komponierte Interpretation der originären Weill-Lieder verstanden wissen, als Liebeserklärungen ans Original mit dialektischem „Weiterdenken“ in die Jetztzeit: historische Abstände werden aufgehoben und gleichzeitig klargemacht, Konturen geschärft und verschleiert, Formen dekonstruiert und neugeschaffen. Dies geschieht mit den Mitteln der Live-Elektronik, von Noise bis Sampling. Die kompositorischen Verfahrensweisen reichen dabei von avancierter Improvisation über Collagetechnik bis hin zu ausnotierten Ensemblesätzen. Durch die Einbeziehung und enge Zusammenarbeit mit den beiden Klangkünstlern Charlotte Simon (Frankfurt) und Alexandre Bellenger (Paris) erweitert sich das kompositorische Vokabular um die jeweils spezifischen Zugriffe auf aktuelle ästhetische Positionen im Spannungsfeld der zeitgenössischen Klangkunst. Hierbei stehen der Austausch und die egalitäre Zusammenarbeit zwischen den Künstlerpersönlichkeiten im Vordergrund, die das klangliche Realisat maßgeblich prägen. Also, es entsteht ein Musical basierend auf Liedern und Zwischentexten (Moderation, Biografisches zu Kurt Weill, Reflektionen zum gesellschaftlichen/politischen Geschehen). Nebenbei ist es auch eine Gelegenheit, Weills Paris-Lieder überhaupt einmal (neu) zu produzieren und zeitgemäß erklingen zu lassen. Also eine echte Entdeckungsreise in Sachen Kurt Weill. Die Zusammenarbeit mit meinem langjährigen Kollegen, dem Komponisten, Sound- und Improvisationskünstler, Turntablisten Alexandre Bellenger ermöglicht, die Begleitmusiken ganz weit zu fassen, teilweise vom Original völlig weg zu gehen, ins Abstrakte, mit ihm zusammen quasi neue Kompositionen zu erschaffen. Dadurch wird auch eine aktuelle französische Hör- und Sichtweise eingebracht.
Kurt Weill und Berlin kennt man, Kurt Weil und New York auch – von der „Dreigroschenoper" zu „Street Scene"... Wofür steht Weill in Paris?
Als Kurt Weill nach Paris kam, war er noch ganz verhaftet in der von ihm und Bertolt Brecht entwickelten Ästhetik der „Dreigroschenoper“ und er begann hier, sich zu dem eleganten Broadway- und Musicalkomponisten zu entwickeln, der weltweite Bekanntheit erzielte. Sein Schaffen zu der Zeit war zwischen E und U gelagert –würde man heute vielleicht sagen. Was hat vom einen weg-, was zu dem anderen hingeführt? Hat sich seine politische Kunst, Haltung aufgelöst oder nur verändert? Brecht hatte ihn ja später ein bisschen dafür verdammt. Zurecht? Was hat sich speziell in seiner kurzen Pariser Zeit getan, welche Einflüsse haben auf ihn gewirkt? Hat seine ästhetische Veränderung etwas mit der Tatsache zu tun, auf der Flucht gewesen zu sein? Bei Brecht, der eine andere Emigrations-Route nach Amerika nahm, hat sich dies so nicht niedergeschlagen. Bei Kurt Weill kam auf jeden Fall dazu, dass er begann, in/mit einer anderen Sprache zu arbeiten und seine besondere Fähigkeit zu entdecken bzw. zu entwickeln, sich an bestehende musikalisch-ästhetische Konventionen „anzupassen” und diese eigenständig weiter zu formulieren, wie es der Weill-Biograf Jürgen Schebera formuliert. So sucht er sofort die Zusammenarbeit mit französischen Dichtern, Musikern und Chanteusen. Kurt Weill befindet sich in Paris quasi „zwischen zwei Stühlen”, grob gesagt zwischen politischer und unterhaltender Kunst Mich beschäftigt dieses „zwischen“ und dessen besondere Qualität schon seit langem. Das Aufeinandertreffen des Sprachklangs des Deutschen und des Französischen soll hier als klingendes Beispiel für Weills biografische Situation des Wechsels, der Flucht, des Transits besonders herausgearbeitet werden. Ich zitiere mal kurz den Prolog aus den „7 Todsünden“ von Brecht/Weill, uraufgeführt in Paris.
ANNA 1: Meine Schwester ist schön, ich bin praktisch. Sie ist etwas verrückt, ich bin bei Verstand. Wir sind eigentlich nicht zwei Personen, sondern nur eine einzige. Wir heißen beide Anna, Wir haben eine Vergangenheit und eine Zukunft, Ein Herz und ein Sparkassenbuch, Und jede tut nur, was für die andre gut ist. Nicht wahr, Anna? ANNA 2: Ja, Anna.
Im Hinblick auf Weills damalige Situation ist dieser Prolog sehr faszinierend. Es ist schon alles da, Lotte Lenya sogar auch. Parallelen zur Flucht des Paares nach Paris und später nach Amerika sind nicht schwer auszumachen. Die Spaltung einer Person in zwei Persönlichkeiten ist doch ziemlich genau das, was jeder Ausländer, der Flüchtling, in der Fremde erlebt. Ein Teil von seiner Art und Weise zu denken erhält sich, ein anderer Teil versucht sich um jedem Preis an die neue Kultur anzupassen. Das hat Kurt Weill auch ästhetisch-musikalisch so gehalten.
Der Titel des Musical suggeriert eine persönliche Begegnung. Wie sah das Aufeinandertreffen von Weill und der Figur von Pierre Souvestre und Marcel Allain tatsächlich aus?
Erstmal: Weill ist auf der Flucht vor einem der gefährlichsten und grausamsten Verbrecher seiner Epoche, aus einem Land, in dem Hass und Gewalt triumphieren... In Paris wird er zwei Jahre lang versuchen zu retten, was noch zu retten ist, während die Welt, die er kennt, untergeht, Freundschaften zerbrechen, alte Neider Karriere machen, verlässliche Geschäftspartner wie Verlage oder die Gema sich in kriminelle Verbrecherorganisationen verwandeln. Als jüdischem Flüchtling werden ihm Tantiemen verweigert, sein Bankkonto eingefroren und schließlich konfisziert, die Anteile an einer deutschen Musikzeitschrift geraubt. Er ist einsam in Paris, hat seine Heimat verloren, seine Frau, Lotte Lenya, die sich mit ständig neuen Liebhabern an den Roulett-Tischen der Welt herumtreibt, sein Geld (die Nazis wollen ihn federn), sein Renommee. Die französische, antisemitisch gepolte Musikwelt versucht ihn zu boykottieren und er leidet an einer schlimmen Hautkrankheit. Zusammen genommen ist das alles ziemlich heftig und wir fragen uns, ob sich das nicht vielleicht auch durch das skrupellose amoralische Wirken eines berühmten Bösewichts mit Maske und höhnischem Lachen erklären lässt.
Fantômas?
Fantômas, der „König des Verbrechens“, der mit der schwarzen Fahne der Anarchisten im schwarzen Hemd der Faschisten weht, verstehen wir als eine wilde Mischung zwischen Arsène Lupin, Faust und Adolf Hitler. Subversiv, charismatisch, jemand, der nicht zu fassen ist, immer eine Nasenlänge voraus, moralisch unhaltbar etc. Von dieser Figur ging damals eine ungeheure Faszination aus, auch bei Künstlern der Avantgarde, besonders bei den Surrealisten: Fantômas musste ihnen mit seinen subversiven Aktionen, der Bedrohung des Bürgerlichen und der umfassenden Unterminierung des sozietäten Zusammenlebens geradezu als Gallionsfigur erscheinen. Als Symptom einer Gesellschaft am Rande der Apokalypse taucht er immer wieder in unterschiedlichen Kunstwerken auf. Die Leute sind verrück nach ihm, jenem amoralischen Schurken, der scheinbar nicht nur in den Groschenromanen jener Zeit sein Unwesen treibt. Nein, stellen Sie sich vor: Fantômas ist überall! Er freut sich über Kurt Weills Unglück und legt ihm unentwegt Steine in den Weg (und, nebenbei, er wird auch versuchen, die Aufführung im Mousonturm zu torpedieren). Wird es ihm gelingen? Wird er Kurt Weill in den persönlichen und beruflichen Ruin stürzen? Oder kann Kurt Weill das Blatt noch wenden und vom Gejagten zum Jäger werden? Wie weit ist der große deutsche Komponist der Dreigroschenoper bereit zu gehen? Die komplette Enthüllungsstory dazu: in unserem Stück.
Fiktion und Wirklichkeit – die scheinen sich hier gleich mehrfach zu überlappen ...
Wir begeben uns auf Spurensuche. Ausgehend von den vergessenen Liedern dieser Zeit – von „Au fond de la Seine“ bis „J’attends un navire“ (letzteres wurde wenige Jahre später zur geheimen Hymne der französischen Résistance) – lassen wir diese vergleichsweise obskure Phase in Weills Schaffen aufscheinen und neu erklingen. Dabei interessieren uns besonders die „toten Winkel“ in Weills Schaffen, die ein weites Feld für spielerische Mutmaßungen und Spekulationen eröffnen. „Kurt Weill jagt Fantômas“ imaginiert indessen die folgenreiche Begegnung des Herrn Weill mit dem Bösewicht., der Anti-Held, der die dunkle Bedrohung des aufkommenden Faschismus ebenso wie das Versprechen auf künstlerische Freiheit und Selbstbestimmung verkörpert. Dabei geht das Stück subversiv-hintersinnig der Frage nach, ob bei der Verwandlung Weills vom E- zum U-Komponisten etwa noch ganz andere, finstere Mächte ihre Hände im Spiel hatten, und lässt Fantômas, den Unfassbaren, Meister des Verschwindens, als Alter Ego des verfolgten und getriebenen, heimatlosen Komponisten aufscheinen... Im Bühnentext vermischen sich Realität und Fiktion, Zitate und Behauptungen zu einem abenteuerlich-erhellenden „So hätte es gewesen sein können“. Und über all dem treibt Fantômas sein Unwesen. Hahaha.
Schreiben Sie mit der Moritat, die ein Musical geworden ist, die Musikgeschichte um, haben Sie dafür eigene Musik geschrieben oder Weills tasächlich existierendes „Complainte de Fantômas" umgedeutet (ich hätte Ihnen auch zugetraut, das es das gar nicht gibt und Sie es erfunden haben, aber genau damit spielen Sie ja auch oder, Stichwort: verschollene Noten und so?
Die Geschichte ist tatsächlich ein bisschen vertrackt und eröffnet wunderbaren Raum für die kühnsten Spekulationen: Ja, Weill erhält 1933 wirklich den Auftrag von Radio Paris, „La Grande Complainte de Fantômas“ nach einem Gedicht von Robert Desnos zu vertonen. Seit der Moritat von Mackie Messer gilt er als Spezialist für Bösewichte aller Art. Damals sang das kein geringener als Antonin Artaud! Warum auch immer, es verschwanden die Aufzeichnungen. In den 60er-Jahren gab es eine Art Remake des Hörprojekts, und die Musik wurde von Jacques Loussier, dem ehemaligen Orchester-Leiter, rekonstruiert. Dann sang das Stück Léo Ferré. Nun erlaube ich mir, mich in die Reihe der illustren Interpreten der Complainte einzureihen und habe das Stück anhand von Aufzeichnungen aus den 60ern wiederum neu arrangiert.. Und Radio France ist Koproduzent der ganzen Sache. so schließt sich irgendwie der Kreis.
Warum passen Weill und Fantômas so gut zusammen, wofür stehen die beiden Namen und was macht sie relevant für die Zeit, die wir gerade erleben müssen?
Zunächst muss man klar sagen: Kurt Weill war Flüchtling als er 1933 nach Paris kam. Da war nichts romantisches dran. Dass er sich trotzdem dort ganz gut arrangierte und diese wunderbare Musik und Zusammenarbeiten geschaffen hat und, vor allem, rechtzeitig nach Amerika weitergezogen ist, muss einer gewissen Naivität, Glück, Anpassungsfähigkeit und seinem besonderen guten "Riecher" zu gute gehalten werden. Ein deutscher Flüchtling also, vor gar nicht so langer Zeit. Das kann man nicht oft genug erwähnen, in einem Moment und einem Land in dem Flüchtlingspolitik zunehmend Flüchtlingsabwehr bedeutet, riesige Gelder in das Verschließen von Grenzen gesteckt werden und gleichzeitig das große Jammern herrscht, da wolle jemand etwas von unserem schon unverschämten Wohlstand wegnehmen.. zu einer Zeit, da unsere Regierung dubiose Deals mit korrupten Machthabern eingeht, den sogenannten Türstehern Europas, um zu garantieren, dass Menschen in Not gar nicht erst hierher gelangen. „Kurt Weill jagt Fantômas“ beleuchtet einen historischen Kontext, der von aufkommendem Fremdenhass, Antisemitismus und Nationalismus geprägt ist. Indem das Stück das Schicksal eines prominenten jüdischen Flüchtlings aus Deutschland im Frankreich der 1930er Jahre thematisiert, werden somit unter anderem Parallelen zur aktuellen Situation gezogen. Das Projekt will anregen, aus der Geschichte zu lernen, d.h. sich diese gesellschaftspolitischen Vorgänge bewusst zu machen, und dabei zur Förderung einer Sensibilität und Bereitschaft beitragen, solche Entwicklungen rechtzeitig zu benennen und letztlich zu verhindern.
22. Januar 2018
Detlef Kinsler
Journal Frankfurt
Offenbach Post:
Von Bösewichten und dunklen Bedrohungen
Oliver Augst auf den Spuren von Kurt Weill und Fantômas
„Die Dreigroschenoper“ kennt jeder. Kurt Weill schrieb die Musik 1928 für Bertolt Brechts Theaterstück. „Die Moritat von Mackie Messer“ daraus wurde ein Welthit. Zwischen diesem Theatererfolg im Deutschland der Weimarer Republik und Weills Musical „Knickerbocker Hoilday“ am Broadway lagen zehn Jahre. Seine Station zwischen der Flucht vor den Nazis aus Berlin und seinem Exil in New York hieß Frankreich. In Paris wurden seine „Sieben Todsünden“ uraufgeführt, dort vollendete er die „Symphonie No. 2“. Viel mehr findet sich über diese Zeit nicht in den Annalen. Grund genug für Oliver Augst, den Sänger, Komponisten, Hörspielautor und ehemaligen Studenten der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, in seiner zwischenzeitlichen Wahl-Heimat an der Seine einem Phantom nachzuspüren. Das bringt er jetzt am 23. und 24. Februar unter dem Titel „Kurt Weill jagt Fantômas“ im Mousonturm in Frankfurt auf die Bühne. „Ausgangspunkt sind die weitgehend unbekannten Lieder Kurt Weills, die während seiner Pariser Emigration entstanden“, erklärt Augst. In Weills Zeittafel findet sich „La Complainte de Fantômas“ zu einem Text von Robert Desnos für eine Rundfunksendung 1933 mit dem Hinweis, dass die Musik verloren gegangen war und später rekonstruiert wurde. „Ich möchte die Musik als komponierte Interpretation der originären Weill-Lieder verstanden wissen, als Liebeserklärungen ans Original mit dialektischem ,Weiterdenken’ in die Jetztzeit. So werden historische Abstände aufgehoben und gleichzeitig klargemacht, Konturen geschärft und verschleiert, Formen dekonstruiert und neugeschaffen.“ Dass Weill den Fantômas-Auftrag bekam, verdankte er seinem Ruf als „Spezialist für Bösewichte aller Art“. Nach Macheath also Fantômas, der Superschurke und Maskenmensch „aus dem toten Winkel in Weills Schaffen“ wie Augst betont. Er begriff genau dies als Chance, weil dadurch „ein weites Feld für spielerische Mutmaßungen und Spekulationen eröffnet wurde.“ Im Bühnentext von „Kurt Weill jagt Fantômas“ vermischen sich Realität und Fiktion, Zitate und Behauptungen zu einem abenteuerlich-erhellenden „So hätte es gewesen sein können“. Fantômas jedenfalls verkörperte für den Komponisten die dunkle Bedrohung des aufkommenden Faschismus ebenso wie das Versprechen auf künstlerische Freiheit und Selbstbestimmung. Wie schon 2016 und 2017, als Augst im Mousonturm mit seiner Interpretation von Karnevalsschlagern mit Jazz-Bigband überraschte, holte sich das Multitalent auch diesmal wieder ausgefuchste Partner an seine Seite. Françoise Cactus und Brezel Göring, die die Bühnentexte beisteuern, waren auch bei „Der Ernst Neger Komplex“ dabei. „Mit den Beiden verbindet mich ja inzwischen eine langjährige Zusammenarbeit“, erzählt Augst. „Als Stereo Total feiert das Duo weltweit Erfolge mit seiner eigenwilligen Mischung aus Chanson, Elektro, Punk-Rock und New Wave. Sie sind geniale Partner für dieses deutsch-französische Projekt.“ Cactus und Göring haben dem Conférencier und Sänger böse und hintergründige, auch selbstreferenzielle Texte auf den Leib geschrieben. Augst führt durch den Abend, nimmt dabei verschiedene Perspektiven ein, ist Moderator, Kurt Weill, Fantômas und singt. Als Duett-Partnerin unterstützt ihn dabei Charlotte Simon, die in die Rolle von Lotte Lenya oder Anaïs Nin schlüpft, zudem Live-Electronics spielt, begleitet von Alexandre Bellenger an den Turntables. Ein recht modernes Setting. „Gesang, Sprache und Musik stehen in einem wechselseitigen, dialogisch-reflektierenden Verhältnis zueinander und zum Geschehen auf der Bühne und verdichten sich zu einer multi-historischen Live-Performance, letztlich zu einem besonderen Blick auf und einer Hommage an Kurt Weill“, verspricht Oliver Augst. Detlef Kinsler
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