JOHANNA
VON ORLÉANS - MEINE INNERE STIMME / 2007
von und mit Michaela Ehinger
mehr:
1) Eckdaten
"Es kann sein, dass Ihr mich Dinge fragt,
auf die ich Euch wahrheitsgetreu antworten werde, auf andere nicht."
(22. Februar 1431, Johanna im Verhör mit Jean Beaupère)
Titel:
Johanna von Orléans
meine innere Stimme
eine Collage mit Texten von Marlene Steeruwitz, sowie literarischen Bearbeitungen
des Jeanne d‘Arc Themas von Jean Anouilh, Friedrich Schiller, Bernhard
Shaw und Berthold Brecht
Thema
Die historische Figur Johanna von Orléans war über die Jahrhunderte
hinweg immer wieder der Stoff, der zur Bearbeitung einlädt. In der Literatur,
der Bildenden Kunst, dem Film und in der Musik gibt es bis heute dafür
zahlreiche interessante Beispiele.
Die Schauspielerin Michaela Ehinger nimmt nun die aus der Geschichte herausragende
Figur der Johanna von Orléans als Reibefläche für eine Art
Selbstbefragung - Selbstverortung.
Wie findet frau heute zu ihrer inneren Stimme? Was hilft und was verhindert
sie die inneren Stimme zu erkennen, zuzulassen und zum Ausdruck zu bringen?
Wie stark sind wir geprägt vom Christentum und den patriarchialen Gesellschaftsstrukturen?
Wie können wir diese Prägung in unseren Gedanken, in unserm Sein
aufspühren, um weniger allein Geprägte, als vielmehr Prägende
zu werden? Wie groß ist aber auch die Verführung "altbewährtes" fortzuführen?
Welche Kraft, welche Lust lässt sich aus dieser Reibung gewinnen?
Der Umgang mit der Sprache spielt in dieser Auseinandersetzung die zentrale
Rolle:
Wie entwickle ich öffentlich eigene Gedanken? Eine erstmal ganz und gar
ungewohnte Position für eine Schauspielerin, die ja gewohnt ist einen
gelernten Text öffentlich vorzutragen.
Kann denn gelernter Text zum eigenen Gedanken werden?
Können also angenommene Gedanken zu eigenen werden? Welche Gedanken möchte
ich annehmen und welche nicht? Welche formuliere ich besser selbst?
Dichtung, also verdichtete Sprache und Umgangssprache bilden die zwei Sprachebenen
der Arbeit.
Der Versuch zur eigenen Sprache zu finden, sich selbst zu befragen nach dem
eigenen "Sein. Und Schein. Und Erscheinen". Das Koordinatnensystem,
die Konditionierungen zu betrachten in welchem frau sich befindet und welches
Sie bewusst oder unbewusst mitgestaltet.
Öffentliches Denken, Erinnern, Bewegen.
Form:
Bühnenperformance für eine Schauspielerin, Videoprojektion und
Klangebene
Textmaterial:
1) Texte von Marlene Streeruwitz:
a) Ausschnitte aus den Poetikvorlesungen "Sein. Und Schein. Und Erscheinen."
und "Können. Mögen. Dürfen. Sollen. Wollen. Müssen.
Lassen."
b)Der Monolog "Lisa Liebich / Eine Kindheitserinnerung
c) Marlene Steeeruwitz wird für dieses Projekt einen Text zum Thema Rüstung/Panzer
- Haut schreiben
2) kurze Ausschnitte aus literarischen Bearbeitungen des Jeanne d‘Arc
Themas von Jean Anouilh, Friedrich Schiller, Bernhard Shaw und Berthold Brecht
3) Ausschnitte aus den Spuren der Orginalakten des Verurteilungsprozesses
von 1431.
4) Ein noch zu entwickelnder eigener Text. Dieser wird aus subjektiven, persönlichen
Erfahrungen von Michaela Ehinger bestehen, welche durch Selbstbefragung und
Improvisationen entstehen wird.
Raum/Bild:
Johanna:
"Schon vor des Eisens blanker Schneide schaudert mir,
Doch wenn es not tut, alsbald ist die Kraft mir da,
Und nimmer irrend in der zitternden Hand regiert,
Das Schwert sich selbst,
als wär es ein lebend‘ger Geist."
Friedrich Schiller Bühnenbild:
möglichst große Projektionsfläche im Hintergrund
Videoprojektion
Licht, Nebel
Zur Videoprojektion:
Reproduktionen von Schlachtengemälden der europäischen Malerei der
Neuzeit, deren vielfältige historische Bezüge und Hintergründe
in einer Videoinstallation quasi live um räumliche und zeitliche Dimensionen
erweitern. Dazu sind plansequentielle Fahrten virtueller Kameras durch die
Bilder vorgesehen. Das von ihnen abgefahrene Bildmaterial soll zu keinem Zeitpunkt
ein statisches Gesamtbild erzeugen, sondern sich während der Fahrt fortwähren
dynamisch verändern. Aus der einen Szene wird nahtlos eine andere hervorgehen.
Da einfache Überblendungen eine Plansequenz zur Schnittsequenz werden
lassen, sollen zur Wahrung der geforderten visuellen Ganzheitlichkeit Morphing-Effekte
eingesetzt werden. Die für Überblendungen typischen Doppelbelichtungseffekte
sollen so auf die Bereiche außerhalb der gemorphten Attraktionen begrenzt
werden. Zentrale Zeichen und Dreh- und Angelpunkte für das ineinander-morphen
der verschiedenen Bilder sollen die graphisch klar definierten und symbolisch
hochkarätigen S C H W E R T und KREUZ sein. Als universelle Zeichen jedweder
Zeit und welcher Seite auch immer zugehörig von Macht, Vision, Recht
und Gerechtigkeit, Rache etc.
Das Bild soll somit durch die Schlachten der Jahrhunderte scannen, und
die zentralen Motive, das Schwert und das Kreuz, umkreisen und anvisieren.
Die Übergabe
des Schwertes, den Moment in dem das Schwert-Symbol weiter gereicht wird an
nachfolgende Herrscher, Völker, Heere, von Bild zu Bild, von Generation
zu Generation, von Machthaber zu Machthaber, System zu System. Was bestehen
bleibt ist die Schlacht selbst und darin: das verletzliche Individuum, der
Mensch. Als große ganz langsam sich bewegende endlos-Projektion, Zeitdauer
ca. 75 Minuten. In die Gesichter schauen, die aufgerissenen festgefrorenen
Münder der Kämpfenden, an den Rand des Geschehens schauen, auf die
Toten und Verwundeten, das auf den Boden gefallene, und über die Hügel
des Umlandes hinwegschweifen und wiederkehren...
Beispiel der geplanten digitalen Videotechnik, das Prinzip der "Kamerafahrten" durch
eigentlich feststehende Bilder:
http://mkreyssig.hs-harz.de/website_c.oldendorf/blank_halb.mov
Erforderlich sind hochaufgelöste digitale Reproduktionen von historischen
Schlachtengemälden sowie Bilder von Hironimus Bosch.
Musik:
Johanna: "Hätte ich nicht meine Stimmen,
so würde ich den Mut völlig verlieren.
Ich höre meine Stimmen in den Glocken.
Nicht heute, wenn sie alle läuten, das ist ja nichts als Gebimmel.
Aber hier in dieser Ecke, wo die Glocken vom Himmel
herabklingen und dann ihr Echo in der Luft bleibt
oder auf den Feldern, wenn sie so aus der Ferne kommen,
durch die Stille des Landes schwingen, dann kommen mir meine Stimmen."
Bernard Shaw
Elektronischer Klang aus der Gegenwart und historischer
Klang aus Werken der alten Musik stehen sich als zwei Pole gegenüber, laufen nebeneinander
her, verschmelzen und vergrößeren sich gegenseitig. Wie mit einem
Hörtrichter, der in die vergangenen Musikjahrhunderte hinein horcht,
plötzlich bei einem musikalischen Moment verharrt, ihn aufsaugt und
ihn durch elektronische Windungen und Mischpultkanäle schickt, werden
Zeit- und Genrelinien, Wort und Musik, Wohlklang und Geräusch sich kreuzen.
Immer wieder Momente der unauflösbaren Irritation sind dabei durchaus
inbegriffen.
"Es besteht für mich die Notwendigkeit
durch meine eigene Sprache ein Selbst zu schöpfen."
Marlene Streeruwitz
2) Fragestellung
3. Dicke: Hier sollte man dem Künstler raten...
1. Dicke: ... sich etwas radikaler daran zu erinnern...
2. Dicke: ... daß wenn schon Realität ...
3. Dicke: ... dann nur noch die jeweils ganz ...
1. Dicke: ... spezifische eigene Wirklichkeit eine Berechtigung hat.
aus dem Theaterstück "Waikiki Beach" von M. Streeruwitz
Nach 25 Jahren Bühnenerfahrung als Schauspielerin und Performerin drängen
sich Fragen, welche mich hintergründig immer wieder beschäftigt
haben, in den Vordergrund:
Seit einem viertel Jahrhundert stelle ich mich fremden Gedanken, der Dichtung
verschiedenener zumeist männlicher Autoren, zur Verfügung. Ich
arbeite solange mit dem Material, bis es mir gelingt deren Gedanken zu verkörpern.
Ich bin also konditioniert mich fremden Gedanken zur Verfügung zu stellen.
Werde zeitweise zur Projektionsfläche. Seit zwei Jahren habe ich keinen
neuen Stoff für ein Solo mehr gefunden, bis ich bemerkte , ich möchte
mich gerade auch gar keinem neuen Material zur Verfügung stellen.
Den Vorgang geprägt von fremden Gedanken zu werden kennen wir alle.
Man nennt diesen Prozess Erziehung oder gesellschaftliche Anpassung. Notwendige
Anpassung um in dieser Gesellschaft verstanden zu werden.
Natürlich verbirgt sich in der Überlieferung der Figur Johanna
von Orléans die geschichtlich und gesellschaftliche Prägung.
Daher bietet sie sich als herausragende Frauengestalt des letzten Jahrtausends
als Reibefläche an.
Schiller lässt Johanna im 4. Aufzug in der 2. Szene folgendes sagen:
Kümmert mich das Los der Schlachten,
Mich der Zwist der Könige?
Schuldlos trieb ich meine Lämmer
Auf des stillen Berges Höh.
Doch du rissest mich ins Leben,
In den stolzen Fürstensaal,
Mich der Schuld dahinzugeben,
Ach! es war nicht meine Wahl!
Zum Glück haben wir heute in einem ganz
anderen Maß die Möglichkeit der Reflexion, wenn wir sie nutzen.
Daher können wir Prägungen befragen und erkennen. Wie findet frau/man
zur eigenen Sprache, zum Eigenen.
"Das Theater kann aber auch die Expeditionen ins Jetzt unternehmen,
die aus einem intuitiven Begreifen im sinnlichen Erleben ein Verstehen und
Erkennen entstehen lassen.
Expeditionen zu den richtigen Fragen.
Ich denke, Antworten hat es über Jahrtausende genug gegeben.
Die richtigen Fragen wären aufzuspüren."
Gedanklich an meiner Seite habe ich Marlene Streeruwitz, welche in ihren
beiden Poetikvorlesungen "Können. Mögen. Dürfen. Sollen.
Wollen. Müssen. Lassen." und "Sein. Und Schein. Und Erscheinen." die
Frage: wie komme ich trotz gesellschaftlicher Konditionierung zur eigenen
Sprache, untersucht hat.
"Das zentrale Problem einer Entkolonialisierung ist die Zeit.
Wir leben sehr kurz.
Die patriarchalen Prägungen kommen von immer her.
Wir können uns nur als einzelne entwerfen."
Vielleicht ist dieser Moment des inne haltens, des Erinnerns und Betrachtens,
des wieder Eintauchens in wesentlich Prägendes, ein notwendiger Schritt
um in Würde zu altern.
"Würde beruht auf der Fähigkeit der Erinnerung."
Gibt es etwas was wert wäre von mir erzählt zu werden? Ich möchte
das verhandeln was mich beschäftigt: Wenn die Werte und Rituale fraglich
erscheinen, sich schnell wandelen, verschwinden, wenn also die äußere
Welt dem Individum keinen Halt, keine Ordnung mehr geben kann ist es an der
Zeit anzuhalten, innezuhalten um sich selbst zu orten.