MEGAFON
FRANKFURT 2009
Presse:
Frankfurter Rundschau, 12.1.2009"
Vom Material ergriffen werden, bevor
man es begreift",
Interview von Tim Gorbauch mit Oliver Augst
Herr Augst, wie sind Sie auf das Haus in der Gutleutstraße gestoßen?
Und wie kam die Idee, seine Geschichte musikalisch zu thematisieren?
Ich habe vor etwa einem Jahr in dem Haus mein Ton-Studio eingerichtet und
arbeite seitdem dort. Davor war ich zu der Zeit als es noch als Institut
für Lehrerfortbildung genutzt wurde einmal als Referent tätig, interessanterweise
tauchte damals mein ehemaliger Kunstlehrer als Teilnehmer meines Workshops
zu dem Thema "Klang und Raum" auf. Die davorliegende Geschichte
des Hauses wurde bereits in den 90er Jahren von dem frankfurter Musiker
und Heiner-Goebbels-Kollegen Alfred Harth, mit dem ich damals zu tun hatte,
in seinem Projekt "Gedankenhotel" beleuchtet aber nicht wirklich öffentlich
verfolgt.
Und wenn ich jetzt tagtäglich am Klavier oder an meinem Computer sitze,
versuche ich mir das vorzustellen: erst Hotelzimmerchen, dann Nazibüro, über
Kommunisten-Politzentrale, Lehrerfortbildungsort jetzt zu mir, zu den frankfurter
Künstlern. Unter meinem Fenster hing einmal das Hakenkreuz und dann
als Großtransparent Stalins Konterfei, wahnsinn! Und niemand weiss
was drüber, wo man sich eigentlich aufhält.. welche Haltung dazu
einnehmen, wenn man das nicht ignorieren will? Im Prinzip findet sich solcherlei
geschichtlicher Wandel in jedem 2. Haus in Frankfurt. Aber hier ist das unglaublich
geballt, und seitdem ich Bescheid weiss, schau ich irgendwie die Räume,
die Eingangshalle, die Mauern usf. anders an.
Mit meinen Kolleginnen vom "Electronic Music Theater", Marcel
Daemgen, Michaela Ehinger und jetzt als Gast Sylvi Kretzschmar aus Hamburg,
arbeiten wir schon lange an dem Thema, das wir für uns intern "Archiv
Deutschland" nennen. Das ist Bearbeitung und Fortschreibung von unserer
ureigenen Geschichte in größeren Themenblöcken zb. des deutschen
Lieds, Brecht/Eisler, Volkslied, Marx/Arbeiterbewegung, Jugend/Romantik in
verschiedenen Medien wie CD-Veröffentlichungen, Hörspiel und natürlich
Theater bzw. Performance. Mit diesem Background und nach Jahren in denen
wir zwar in Frankfurt leben aber unsere Produktionen weitgehend an anderen
Orten, auf Festivals wie dem "Steirischen Herbst" in Graz, bei "WienModern" oder
auch in Berlin in den Sophiensaelen produziert haben, lag es auf der Hand
sich jetzt einmal explizit zu dem Ort in der Gutleutstraße zu verhalten,
eine hier-und-jetzt-Position dazu zu entwickeln und sich die Sache sozusagen
vor der eigenen Haustüre einmal genau anzuschauen und künstlerisch
vorzuknöpfen.
Was sagt die bewegte Geschichte, vom jüdischen Hotel, über das
Nazi Gauleiterhaus, KPD Parteizentrale bis zum Künstlerhaus, für
Sie aus?
Wer heute als Künstler in so einem Haus arbeitet, ist mit einem Gemäuer
als Abbild von Geschichte konfrontiert, mit einer Spur historischen Wandels.
Das ist kein neutraler Theater- oder Galerieraum. Es ist ein beredter
Ort, zu dessen Sprache sich jede künstlerische Äusserung verhalten
muß und sei es in bewusster Abgrenzung von ihrer Dimension als Repräsentant
frankfurter und deutscher Geschichte. Die Situation nehmen wir zum Anlass,
in einer "site specific work" die Resonanz dieser Mauern sozusagen
hörbar zu machen und das zu verstärken, was nachhallt.
Wie habt ihr euch der Geschichte genähert? Wie wollt ihr sie
umsetzen?
Unsere Arbeitsweise ist erst mal: Material generieren, Texte, Bilder, Fragmente
ansammeln, einen Material-Pool daraus hinwerfen, den wir untereinander gut
kennen, aus dem sich jeder bedient. Es gibt kein Skript, keinen Regisseur,
keinen Dramaturgen. Wir verstehen Musiktheater als Behauptung und Versuchsapparat,
Klang und Sprache bilden das Material.
Auf der Textebene wird "white spaces" von Paul Auster eine zentrale
Rolle spielen: "Etwas geschieht, und sobald es zu geschehen beginnt,
kann nichts mehr sein wie früher."
Jede Performance weicht von der anderen stark ab. Das Material wird zeitlich
und dynamisch immer neu arrangiert; die jeweilige Formgestalt- oder besser:
der Zeitverlauf differiert erheblich. Von Form lässt sich eh kaum sprechen,
der Begriff vermittelt zu sehr Fixiertes, das Material bleibt quasi
im flüssigen Aggregatzustand, kochend, brodelnd. Auch von Work in Progress
zu sprechen ist eigentlich ungenau, es sind weder probenhafte Annäherungen,
die das Publikum erlebt, noch ist es Unabgeschlossenes, das einem Abschluss
entgegenstrebt, es sind Endresultate.
Jede Performance ist ein mehrstimmiges Ich, das sich zwar in der Zeit zu
einem Wir-Ganzen verknotet als Simultaneität, aber es wird nicht homogen,
es bleibt bei der unaufgelösten und heterogenen Vielstimmigkeit.
Entsprechend unserer verschiedenen Ansätze als eigenständige Künstler-Persönlichkeiten
mit zum Teil dissonanten Erfahrungen und Interessen transformieren wir das
Material. In diesem quasi alchimistischen Vorgang begeben wir uns in ein
Reich zwischen Dokumentation und Fiktion, in dem es weniger darum geht, zu
werten oder zu einer heutigen und gemeinsamen Aussage ÜBER dieses Material
zu gelangen.
Wir vergegenwärtigen uns den Raum, in dem wir uns befinden, mit den
Mitteln von elektronischer Musik, Schlager, Tanz, Text, Performance und Video/Installation.
Statt auf eine Aufführung als Endergebnis unserer Zusammenarbeit zu
zielen, planen wir eine offene Form. Nach einer relativ kurzen gemeinsamen
Probenphase vor Ort, der individuelle Recherche und Vorbereitung der einzelnen
Künstler vorangegangen sind, eröffnen wir die Präsentation
unserer Arbeit mit einer Aufführung, die formal Elemente eines
Konzertes trägt.
Nach dieser ersten Aufführung wird der Raum jedoch nicht wie im Theater üblich,
in seinen Urzustand "zurück gesetzt", damit die selbe Aufführung
wieder von vorn beginnen könnte. Im Gegenteil wird es in der Live-Performance
gerade um eine Transformation des Raumes gehen.
Es soll versucht werden metaphorisch die Aura des Hauses spürbar zu
machen, indem sinnbildlich die Gemäuer mit moderner Technik angezapft,
nach alten Frequenzen und Stimmen abgehört und mit Hilfe einer Vielzahl
von Lautsprechern verstärkt werden.
Dabei suchen wir besonders nach den Resonanzen dieser Zeit, also nach den akustischen
Ereignissen, die während des 3. Reichs durch die politische Situation
ausgelöst wurden. Die Unterhaltungsindustrie spielte dabei für
uns eine auffällige Rolle. Schlager von Zarah Leander, wie z.B. "Ich
weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen" oder Rühmanns "Das
kann doch einen Seemann nicht erschüttern", sind zum Teil dirket
von Joseph Goebbels in Auftrag gegeben worden, um der immer schlechter werdenden
Stimmung in Deutschland entgegen zu wirken. Wir zitieren aus diesem Fundus
auf unterschiedliche Weise: Verstärken oder verzerren es (inhaltlich,
musikalisch, übernehmen und entwickeln Choreographien, versuchen die
grausame Absurdität einerseits abzubilden oder bis zur Unkenntlichkeit
zu abstrahieren.)
Konzert/Performance/Installation, so untertitelt ihr MEGAFON - was
reizt euch an den Schnittstellen? Welche Kräfte kann man nur da freisetzen?
Von Hanns Eisler wissen wir, dass "wer nur von Musik etwas versteht,
auch davon nichts versteht". Und da wir alle auch aus verschiedenen
künstlerischen Ecken stammen, haben wir eigentlich immer schon in diesen übergreifenden
Kategorien gedacht. Mit verschiedenen Schwerpunkten.
Unser Kollege Marcel Daemgen zb. sagt, dass für ihn als Musiker wichtig
ist, dass unsere Aufführungen mit dem EMT immer auch als reine Konzerte
wahrgenommen werden können.
Das Theatralische ergibt sich zwangsläufig durch die spezielle "künstliche" Anordnung
der Positionen, durch Licht, Bühnenbild und besonders durch die inhaltliche
Verbindlichkeit, getragen durch die ausgwählten Texte und Lieder.
Aktuell kommt jetzt noch Tanz/Bewegung hinzu. Es findet eine Verstärkung
und Ergänzung der einzelnen Disziplinen statt.
An anderer Stelle sprecht ihr von einer "dokumentarischen Séance" -
was bitte ist das, eine dokumentarische Séance?
Der Begriff "Séance" ist sowas wie eine Metapher für
die Art unserer konzertanten "Sitzung". Die Idee einer "Geisterbeschwörung" markiert
einen bestimmten Umgang mit historischem Material, der einen Raum ZWISCHEN
Dokumentation und Fiktion öffnet. Wir glauben nicht an Geister, wohl
aber an die Möglichkeit, sie zu beschwören. Wir wissen, dass die
Mauern eines Hauses nicht wirklich Vergangenes speichern. Die Vorstellung,
ein Gebäude könnte wie ein Dauersender funktionieren, dessen Frequenzen
man nur hörbar machen muß, ist dennoch der Ausgangspunkt. Einem
spiritistischen Medium wird die Fähigkeit zugesprochen, mit Vergangenem
in Kontakt treten zu können, Nachrichten aus einer anderen Welt zu empfangen
und mit Geistern zu kommunizieren. Es gibt also viele Parallelen zu einer
Radioantenne. Das Radio als Propagandamittel im Dritten Reich, die Lieder
aus der Zeit, die Nachrichten und Grüße der Soldaten und Kriegsgefangenen
in die Heimat spielen deshalb in der Aufführung eine zentrale Rolle.
Eine dokumentarische Séance eröffnet uns die Möglichkeiten
und Gefahren, vom Material ergriffen zu werden, bevor wir es begreifen.
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