MEGAFON
BERLIN 2008
Presse:
Arbeiterparolen mit dröhnendem Feedback
Die Sophiensæle erinnern an ihre eigene Geschichte als Ort der Arbeiterbewegung:
In der Performance "Megafon" werden mit Mischpult, Mikro und Maschine
die Geister und Sprüche der GenossInnen von damals beschworen
Arbeiter machen Lärm, in der Fabrik und wenn sie auf die Barrikaden
gehen. Früher jedenfalls war das so. In der Fabrik von heute zischt
nur noch die Espressomaschine, und Straßenkrawalle finden Feiertags
statt. So oder ähnlich kam man in den Sophiensælen auf eine Projektidee
und fragte sich: Was verbindet uns - die Stätte für freies, innovatives
Theater nämlich - mit der Tradition eines alten Handwerker- und Arbeiterbildungsvereins,
der bereits 1844 seine Adresse in der Sophienstraße 18 hatte. An
eben jenem Ort, wo sich 1918 auch der Spartakusbund zum ersten Mal versammelte.
"Megafon" heißt die vierte Folge dieser Projektreihe, die seit
Dienstag die altehrwürdigen Mauern bespielt - als ein dionysischer
Grenzgänger
zwischen Performance, Musik und Tanz. "Die Sophiensæle sind
ein Ort, zu dessen Sprache sich jede Aufführung verhalten muss, und
sei es in bewusster Abgrenzung von ihrer Dimension als Repräsentant
Berliner und deutscher Geschichte", erklären Sylvi Kretzschmarer,
Camilla Milena Fehér und Oliver Augst, die drei von "Megafon".
Ihr dreiteiliges Work in Progress begann am Dienstag mit einer Performance,
war
zwei Abende lang eine begehbare Installation und wird am heutigen Abend
seine abschließende Performance erleben: um 21.30 im Virchowsaal,
benannt nach dem Pathologen und Berliner Sozialpolitiker Rudolf Virchow.
Kretzschmar/Fehér/Augst fahren einiges auf, um all das Totgesagte,
das in den Sophiensælen an Vormietern und Taufpaten schlummert, nicht
nur in Erinnerung zu rufen - säuselnd, singend, schreiend -, sondern
zum Schwingen zu bringen. Eine "dokumentarische Séance" heißt
es in der Ankündigung, und tatsächlich beschwört die Dreierbande
mit Mischpult, Mikro und Maschine die Geister der GenossInnen von damals:
volle Pulle, volle Dröhnung, verstärkt von einem Dutzend Lautsprecherboxen. "Flutsche
Arbeit, Arbeit flutsche!" aus Bruno Schönlanks Chorwerk "Großstadt" wird
skandiert, Arbeiterparolen werden erst durchs Mikro gejagt und dann vom Feedback
hin und her gepfiffen, wie wohl einst die holländischen Zwangsarbeiter,
die während des Zweiten Weltkriegs in den Sophiensælen schufteten.
"Neben Texten, Manifesten und Reden war immer auch der Körper ein Träger
revolutionärer Bewegungen, politischer Umbrüche und historischer
Veränderung", so die drei Performance-Künstler. Sylvi Kretzschmar
und Camilla Milena Fehér wiegen hin und her, verbiegen sich, gehen
zu Boden und durchlöchern als Turboballettduo die Lüfte. Oliver
Augst intoniert ein pathetisch-dämonisches "So oder so ist das
Leben" von Theo Mackeben und wird dabei vom Sirenenchor der beiden
Damen begleitet. Dorthin, wo der Dionysoskult erst anfängt. Jenseits
der Barrikaden.
(TAZ, HOLGER FATH-TATI)
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