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REISERADIO / 1998

Projektbeschreibung

I. Hintergrund
Das Projekt ReiseRadio geht hervor aus unserer Beschäftigung mit Fragen der Mobilität und Regionalität einerseits - das wäre die Reise - und solchen der medialen Strukturierung des Alltags andererseits - das wäre das Radio.

1. Das Radio in seiner Bewegung und seiner Rezeption ist paradox: Es ist so beweglich wie ortsgebunden. Es fördert morgendliche gymnastische Übungen und warnt Autofahrer vor Staus. Die Paradoxie des Radio liegt darin begründet, dass seine Produktion selbst an einem Nicht-Ort geschieht, von den Hörern abgeschlossen in schalltoten Studios. Was das Fernsehen gelegentlich als Blick hinter die Kulisse erlaubt, scheint dem Radio nicht möglich zu sein: die Schönheit einer Kabeltrommel ist vielleicht zu sehen, im Radio aber nicht zu senden. Und seit Harddisk-Recording und CD-Wechsler die Nebengeräusche, das Aufsetzen der Nadel auf der Schallplatte, das Hochziehen der Regler im schalltoten Raum der Studios haben verschwinden lassen, ist die Produktion des Radio selbst unhörbar geworden.

Diese Entwicklungen haben ein in seiner Medialität relativ einheitliches Radio hervorgebracht, klar, sauber, serviceorientiert und so selbstverständlich wie der Strom aus der Steckdose. Mit ReiseRadio wollen wir diesen oben genannten und dem Radio als quasi natürlich untergeschobenen Setzungen nachgehen - nicht, um sie als bloss falsche zu denunzieren, sondern um ihnen alternative Formen der Radioproduktion zu untersuchen, zu erproben und vor allem zu vermitteln, oder anders: der Prozess der Untersuchung ist ein unmittelbar produktiver, der mit dem Radio als Medium von seiner Vermittlung nicht zu trennen ist. Das Ergebnis ist im besten Sinne ‚dreckiges‘ Radio, das die Spuren seiner Produktion und damit seine Materialität nicht versteckt, sondern ausstellt; was interessiert, sind die Kongruenzen und Inkongruenzen von medialer Form und medialem Inhalt. Die Arbeit wird sich dabei nicht auf das Radio beschränken; mit dem regionalen Medium Radio wird das internationale World Wide Web gekoppelt.

2. Radio meint meist: UKW-Radio: Wohl ist dessen Reichweite abhängig von Sendeleistung, Positionierung des Sendemastes und Anzahl der verwendeten Relaisstationen - meist aber ist solches Radio Regionalradio, das Ort und Alltag ebenso konstituiert wie Grussformeln, Broetchensorten und Kleingartenarchitekturen. Diese Beschränkung macht zunächst auch durchaus Sinn: Wen würden in Hamburg die Stauungen des Berliner Feierabendverkehrs angehen, wer wollte in Wien ein niederdeutsches Programm hören, wer würde in Kopenhagen Lokalnachrichten aus Zagreb verstehen und wer wollte in Budapest, dass die Hits weltweiter Charts auf schweizerdeutsch angekündigt würden? - So suggestiv die Frage, so unbefriedigend beim zweiten Nachdenken die suggerierte Antwort: Denn wie wäre es wohl, liessen sich für einige Momente die fremden fernen Welten im eignen Alltag hörbar machen und erwiesen sich als eigentümlich vertraut: Auch in Berlin gibt es Staus, in Norddeutschland reden die Leute so komisch wie in Kärnten, das Zagreber Lokalgeschehen findet auch jenseits der Schlagzeilen statt, die Charts sind in Europa allerorts recht ähnlich. Das soll nicht Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern und Sendern wegreden; bloss wäre an Stelle der Fremde und ihrer leisen Drohung schlicht ein anderer Alltag zu finden, der mit Ähnlichkeiten so ausgestattet ist wie mit Unbekanntem. ReiseRadio ist weniger ein Versuch, eine multikulturelle Verständigung der Völker zu inszenieren, indem ihre Fremdheit zunächst enthüllt und dann als Folklore vermittelt wird, sondern die Absicht, einer Flaschenpost gleich Bruchstücke der Alltage als auch bekannte erfahrbar zu machen. Insofern ist das Medium des Projektes nicht allein das Radio und das Internet, sondern auch die Reise selbst - Ortswechsel, um die Permanenz der Unterschiede zu bemerken.

II. Durchführung
Die Durchführung des Projektes Reiseradio wird sich wie folgt gestalten: Zum Ende dieses Jahres wird eine erste Website produziert und auf den Server gestellt, um über den Stand der Vorbereitungen zu informieren, das Programm und die Reiseroute zu planen und die vorbereitenden Arbeiten zu koordinieren. Mit einem vom Freien Radio in Hannover geliehenen Übertragungswagen und einem Bus wird sich das Kernteam im August/September nächsten Jahres (1998) auf eine Tour durch einige europäische Länder zu den Stationen begeben; zudem werden andere Künstler und Künstlerinnen die Reise quasi als Artists in Residence auf einige Tage zu begleiten und Sendungen allein oder mitzugestalten. Ziele der Fahrt sind dabei verschiedene öffentlich-rechtliche (wie z.B. Danmarks Radio in Københaven, der Oesterreichische Rundfunk in Wien, der Sender Freies Berlin) und nicht-kommerzielle Radiostationen (wie z.B. Radio X in Frankfurt, Radio Lora in Zürich, Tilos Radio in Budapest, fsk in Hamburg), die Kunstradio-Sendungen im Programm haben. Die Sendungen werden ausserhalb der Studios sowohl von den Mitreisenden wie auch von Künstlern und Passanten vor Ort und schliesslich von Internetusern produziert. Die Produktionen werden nicht allein terrestrisch gesendet, sondern ebenfalls wieder ins Internet eingespeist und dort auch als Audiofiles archiviert. Die Website wird täglich verändert über die Reiseroute und über den gegenwärtigen Aufenthaltsort der Reisegruppe Aufschluss geben. Aus dem gesammelten und gesendeten akustischen Material wird schliesslich im Oktober eine CD mit ausfürlichem Beiheft als Dokumentation produziert.- Die gegenwärtig geplante Reiseroute von Frankfurt über Hannover, Hamburg, Køpenhaven, Dresden, Zuerich und Wien; weitere Stationen der Reise können Berlin, Nürnberg, Rimini, Graz und möglicherweise Linz sein; Abstecher nach Zagreb, Sarajewo und Budapest werden ebenfalls ueberlegt.

Eine finanziell und organisatorisch unabhängige Behandlung und Umsetzung von Fragen des Radios und der Kunst unternimmt ein Filmteam unter der Leitung der schweizer Regisseurin Doris Schmid, das ReiseRadio begleiten wird.


das ReiseRadio kommt!

zum Beispiel nach Stuttgart


"Performance" 17:00 -18:00 Uhr Württembergischer Kunstverein (Kunstgebäude am Schloßplatz) im Rahmen der Ausstellung "Downtown und andere unbekannte Orte" und 0:00-1:00 Uhr im "freien Radio für Stuttgart" (97,2 MHz, 102,1 Kabel)
präsentiert von "BÄR ON AIR"
mit freundlicher Unterstützung der Akademie Schloß Solitude, Stuttgart


"Der Raum der 'white cubes' der Museen und Galerien saugt seit
seiner Etablierung auch die Gegenstände des Alltags an und deklariert sie
als Kunst: für Industrieschrott, Suppendosen und Sanitärkeramik schlägt er
vor, deren Gebrauchswert gegen ihren Ausstellungswert zu tauschen. Diese
definierende Kraft ist ihm zugeschrieben, doch selten lässt die Konvention
zu, dass sie überbordet: Solang Aufsichtskräfte und Luftbefeuchter nicht
signiert und mit erklärenden Schildchen versehen sind, bleiben sie der an
Feuilleton und Kunstgeschichte geschulten Rezeption entzogen."

(E.F. Jettini, Vorwort zu: J. Zeitgren: Vanishing Artists, London 1980, p. IX)


Die Eingriffe, die das Projekt ReiseRadio vornimmt, sind subtiler und kaum so invasiv wie der von Jettini vorgeschlagene. Aber dennoch gilt das Interesse dem gesamten musealen Raum, oder genauer: dem
gesamten Raum, der nicht Objekt ist. Ihm allein widmet sich der Kommentar des Senders: Mit einem der kleinen Empfänger versorgt werden Besucher und Besucherinnen von den Signalen des Reiseradios in jeden Raum verfolgt. Der 'white cube' erweitert sich; auch die Kasse, die Büroräume und die Aborte
zählen dazu, selbst die abgelegensten Winkel, wo nichts zu sehen ist und nichts zu hören wäre, werden für einen Moment erfasst, der so flüchtig ist wie die meisten Erkenntnisse, die Kunst zu vermitteln vermag.
Auf andere Weise flüchtig ist auch das ReiseRadio. Während der Tour im Sommer 98 sind die Methoden, Topographien und Unschärfen des Mediums Gegenstand verschiedenartiger Experimente. Die Reiseroute berührt dabei neben Stuttgart Zürich, Frankfurt, Köln, Amsterdam, Hamburg, Kopenhagen,
Leipzig, Dresden, Wien, Linz und Graz. Nähere und aktuelle Auskünfte können erfragt werden unter
augst@textxtnd.de

Das ReiseRadio kommt!
Presse

 

 

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